Das Jahr der Schreibmaschine

TheFaulknerPortable

Eine der schönsten Volten des NSA-Abhörskandals 2013 war wohl die Nachricht, dass der russische Geheimdienst seinen Bestand an Schreibmaschinen wieder aufrüstet.

Eine entsprechende Bestellanforderung bescherte etwa dem nordrhein-westfälischen Hersteller Olympia ungeahnte neue Auftragsvolumen. Die Botschaft ist klar: Wenn es um heikle Dokumente geht, ist digital eben nicht besser, ein Papierdokument in einem Safe kann nicht so einfach gehackt werden – schöne Grüße an PRISM, TEMPORA und XKeyscore!

Es gehört vielleicht auch zu den Unwägbarkeiten des Jahres 2013, dass diese Nachricht fast zeitgleich mit einer Kolumne in der New York Times erschien, in der Schauspieler Tom Hanks seine Liebe zu den Schreibmaschinen verkündet:

Try this experiment: on your laptop, type out the opening line of “Moby Dick” and it sounds like callmeishmael. Now do the same on a 1950s Olympia (need one? I’ve got a couple) and behold: CALL! ME! ISHMAEL! Use your iPad to make a to-do list and no one would even notice, not that anyone should. But type it on an old Triumph, Voss or Cole Steel and the world will know you have an agenda: LUGGAGE TAGS! EXTENSION CORDS! CALL EMMA!

Fast ist man versucht, getreu dem reddit-Meme den Ruf What Year Is It? anzustoßen. E-Reader? Tablets? iPhone 5? 2013, das Jahr der Schreibmaschine.

Foto: William Faulkner’s Underwood Universal Portable Typewriter (Creative Commons, Gary Bridgman)

Die Mikrowelle leuchtet gnostisch

jan-skudlarek-elektrosmog

Ein schöner kleiner böser Gedichtband in diesem an tollen Gedichtbänden nicht gerade armen Jahr ist Jan Skudlareks Elektrosmog.

Zwischen Hochhäusern, am Waldrand und zum FKK-Strand weht dieser bad wind und verpestet die Idylle: Innige Stadt- oder Naturbilder sucht man hier vergebens. In die Stadt entleert sich eine Zombie-Apokalypse aus aufgeblähten Schiffsbäuchen, im Wald bezieht die Armee Stellung und am Strand träumt einer von einem halben Dutzend Arme, das ihn schlafend ins Meer trägt.

Skudlarek spielt virtuos auf der Klaviatur der Verstörung; dazu passen die gelegentlich eingestreuten Horrorfilm-Zitate. Er entwickelt in seinen Gedichten aber außerdem eine Sprache, in der sich wie ein Computervirus ein maschinenhafter Slang ausbreitet und nonchalant mit Erwartungshaltungen bricht: Wo bei Hölderlin die kalte Fahne klirrt, wehen hier Systemadministratoren im Wind, die Sprecher lesen in den „Quellcodes ihrer Kindheit“ und stellen fest: „Diese ganze Gegend muss neu gebootet werden“. Die Frage drängt sich auf: Ist hier noch ein Autor am Werk? Oder hat HAL 9000, der Supercomputer aus 2001: Odyssee im Weltraum, das Schreiben übernommen?

Die kühle Lakonie, von der dieser Band umgeben ist, gerät immer wieder in Gefahr, zur selbstgefälligen Lässigkeit zu mutieren, etwa durch ein cool hinterhergeschobenes „z.B.“, eine Mikrowelle, die (wie auch immer) „gnostisch leuchtet“ oder allzu naheliegende Wortspiele; beim dritten oder vierten Durchlesen fallen auch stilistische Unschönheiten wie die Häufung von Menschentrauben und Aggregatzuständen auf.

Am besten gelingen Skudlarek dagegen die Gedichte, in denen ein Stilmittel pointiert eingesetzt und effektvoll ausgespielt wird, wie etwa bei fehlermeldungen, wir sammeln sie samt handschuhen, das neben der Verschmelzung von Bildschirm und Himmel auf sprachliche Kunststückchen verzichtet und gerade dadurch eine umso beklemmendere Stimmung erzeugt:

und ein blue screen über der stadt, der neustart

steht bevor. vor torschlusspanik finden wir

unsre finger kaum, der wintermorgen hat sie

taubgefroren. nachmittags ziehen wolken bild-

schirmschonend vorbei, schnee. beim verlassen

des cafés ein aufbäumen gegen die witterung,

leergefegt sind die alleen. so traumlose gebilde,

taumelnd. unsere beine lotsen uns ins trostlose,

wir tosen.

Jan Skudlarek: Elektrosmog. Gedichte. Illustriert von Simone Kornappel. Luxbooks, Wiesbaden, 100 Seiten, 19,80 €