Schopenhauer’s always there

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„I’ll tell you what“, ruft Momus nach seinem letzten Song dem applaudierenden Publikum in der Bornemann Bar auf dem Oberfoyer der Berliner Festspiele zu, „tomorrow let’s all be different people! You’ll be him, I’ll be her, and she’ll be you!“

Identitätswechsel als Rollentausch – das ist eine Option, dem Motto der dritten und letzten Netzkultur-Veranstaltung, „Identity sucks…“, Folge zu leisten. Geboten wurden daneben: Einblicke in das Selbstbild muslimischer Frauen auf Facebook; eine Selfie-Typologie von Justin Bieber bis zum NASA-Astronauten; praktische Hinweise zum rechtlichen Umgang mit Pseudonymen im Internet und Fragen nach der Veränderung von Nutzungsrechten in der digitalen Kulturproduktion.

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Art und Aufbereitung der Einzelveranstaltungen reichten von nüchtern-wissenschaftlich bis zu spritzig-unterhaltsam: Während Christiane Frohmann mit Catchphrases aus dem Selfie-Universum einige Lacher für sich verbuchen konnte, stand bei den Vorträgen von Marcel Weiß und Granat On der sachliche Informationsaspekt klar im Vordergrund. Dr. Reyhan Şahin, besser bekannt als Lady Bitch Ray, betrat zwar von zwei Bodyguards flankiert die Räumlichkeiten der Berliner Festspiele – besonderen Sprengstoff boten ihre Ausführungen über eine geplante Dissertation zur Facebook-Nutzung mehr oder weniger gläubiger Musliminnen, die sich dann auch größtenteils in der Methodendarstellung erschöpften, nicht.

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Highlights wurden tatsächlich der mit Spannung erwartete Internet-Menschheits-Kultur-Rundumschlag des amerikanischen Schriftstellers Tao Lin, der zu einer leicht verspulten, aber dennoch hochgradig inspirierten Anti-Lecture inklusive Schopenhauer-Zitat geriet (hier online); das schottisch-japanisch-französische Universalgenie Momus durfte hingegen einmal im freien Vortrag, der eine glänzende literarische Selbstreflexion nebst Fabelwelt bot, und einmal im Live-Auftritt seiner irgendwo zwischen Vaudeville, Chanson und Easy-Listening angesiedelten Songs das Publikum, unter dem auch einige Hardcore-Fans eine geübte Walzersohle aufs Parkett legten, um sich scharen.

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Und Momus soll auch hier das letzte Wort haben, das auch gut zur Uhrzeit des Veranstaltungsendes passt: „1:15 in the morning/whereever you are/Schopenhauer’s always there.“ Identity sucked; Netzkultur didn’t. And the curtain call most definitely rocked.

Fotos: Nokia 6610i, Galerie: Natalie Mayroth

Na gut

Na gut, der Spiegel und das Blog-Feuilleton haben’s schon berichtet, die Luft ist raus, gewissermaßen, Alexander Schimmelbusch hat einen Roman geschrieben, in dem der Thomas Bernhard, nun, das hat sich Herr Schimmelbusch nun einmal so ausgedacht, und ein Verlag hat sich gefunden, um’s zu veröffentlichen, also muss man es ihm einfach mal abnehmen, den Kniff, Thomas Bernhard so einfach mal wieder auferstehen zu lassen, wer hätte es ihm auch nicht gegönnt, „Nestbeschmutzer“, auf der Straße angespuckt haben sie ihn bekanntlich ja, die Österreicher, also, auf Mallorca seinen Lebensabend als Unbekannter zu verbringen, sogar einen Sohn hinzuerfunden hat er ihm, Esteban, Börsenhändler in New York, da wird es jetzt etwas abenteuerlich, zugegeben, da denkt man sich dann auch, also, hat dieser Alexander Schimmelbusch sich da etwas viel vorgenommen oder wollte er sich einfach nur einen Vorwand schaffen, sein alter ego, das im Roman jetzt ja nun auch einmal Alexander Schimmelbusch heißt, also sich selbst in dieser Kolportage-Story einfach auch noch eine Reise nach New York anzudichten, natürlich mit großem Besäufnis beim Österreicher, sowieso, die Essensszenen sind vielleicht die besten, das fängt mit der Thomas-Bernhard-Gedächtnis-Torte im Flieger schon an, die ja – naturgemäß – die Form des Kegels aus „Korrektur“ hat, haben muss, aber dann diese einmontierten Aufzeichnungen von Unseld übrigens, da hört sich im Grunde alles auf, den nehme ich dem Schimmelbusch nicht ab, da redet immer nur Schimmelbusch, Schimmelbusch, Schimmelbusch, trifft dann schließlich auch seinen Thomas Bernhard, und das ist noch das geradeso Erträglichste, dass der Bernhard dem Roman-Schimmelbusch dann gehörig die Leviten liest, der Roman-Schimmelbusch also merkt, dass er eigentlich ein ganz armes Würstchen, ein kleines Licht ist, mit seinen Erste-Klasse-Flügen und Weißwein-Banketts, und eigentlich nur seiner Ex-Frau hinterhertrauert, und sein Leben sonst ziemlich trostlos ist, da kann ihn auch der Bernhard jetzt nicht herausreißen, einmal Schreiberling, immer Schreiberling.

Alexander Schimmelbusch: Die Murau-Identität. Metrolit Verlag, 208 Seiten, 18 €