Schauspielerin und Autorin Verena Güntner (Foto: Stefan Klüter)
Verena Güntners Es bringen ist Charakterstudie, Sommerroman – und nimmt kein Blatt vor den Mund.
Vor ziemlich genau einem Jahr ging es an dieser Stelle um Stefanie de Velascos Roman Tigermilch, und der Vergleich ist berechtigt: Beides Sommerromane, beide mit jungen Protagonisten, in einer schnellen, rohen Sprache geschrieben und sehr mitreißend.
Wäre da nicht der feine Unterschied: Verena Güntner erzählt, anders als Stefanie de Velasco, aus einer männlichen Perspektive, der des sechzehnjährigen Luis nämlich. Dabei hält sie seinen Altersgenossen gehörig den Spiegel vor, es geht um Fickwetten, Schwanzvergleiche, Wettpinkeln und Trinkspiele, Luis brüstet sich damit, jedes Mädchen herumzukriegen und setzt dies auch in die Tat um, wie eine sehr unterhaltsame Bettszene beweist („Es gibt das Stoßen, und da bin ich gut“).
Also nicht nur große Klappe, aber ein bisschen schwer lastet dieses riesenhafte Ego von Luis doch über dem Roman, so dass die restlichen Figuren – Luis‘ Freunde, allen voran Milan, seine Mutter, ein Lehrer, mit dem es auf einen abenteuerlichen Roadtrip geht – zwangsläufig etwas verblassen. Auch funktionieren die kurzen, ausschnitthaften Szenen mit ihren lässigen, am Theater geschulten Dialogen in sich besser als die Rahmenhandlung, die zwischenzeitlich etwas ins Stocken gerät. Was geht da zwischen Milan und Luis‘ Mutter vor? Welche Rolle hat genau der alte Jablonski, der eine Art Onkel-Rolle für Luis einnimmt? Vieles deutet Verena Güntner an, auch Abgründiges, etwa einen abwesenden, gewalttätigen Vater, vieles ist auch auf Unsicherheit angelegt: So hat Luis‘ Mutter, die selbst noch sehr jung ist, eine Zwischenrolle zwischen Respektperson und bester Freundin, und auch im Bezug auf sich selbst ist Luis eigentlich ein sehr verunsicherter, kleiner Junge, der wissen möchte, was in ihm vorgeht (groß: „Was ich vorhabe, ist: meine Haut zu zart zu machen, bis sie durchsichtig wird.“)
Wo Stefanie de Velascos Tigermilch Milieu-Story war, ist Es bringen dann auch eher Charakterstudie: Porträt eines Posers als junger Mann.
Verena Güntner: Es bringen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, 18,99 €