Ein Brief Kaiser Hadrians an die Pergamener (137 n. Chr.), Pergamon-Museum Berlin
Die Buchpreis-, Sexismus- und Literaturbetriebs-Debatten ließen die E-Book-Debatte zuletzt etwas in den Hintergrund geraten. Zu Unrecht! Gibt doch der Wallstein Verlag dem lodernden Feuer neuen Zunder, in Form eines Broschürleins, das sich namentlich der „Ästhetik des Buches“ widmet. Das ist ein wahrscheinlich zufällig, aber doch auf eine bezeichnende Weise direkt mit den Anstrengungen der Macher der Electric Book Fair und ihrer Ästhetik des E-Books korrespondierender Untertitel; freilich unter umgekehrten Vorzeichen, nimmt doch Autor Uwe Jochum gewissermaßen die Rolle Friedrich Forssmans ein und setzt fort, was dieser in einer wahren Litanei im Logbuch Suhrkamp gegenüber dem digitalen Lesen vorgebracht hatte: Seien doch die E-Books nichts weniger als ein Unfug, ein Beschiß und ein Niedergang. So urteilte der renommierte Typograf und Buchgestalter im Februar diesen Jahres nicht gerade zimperlich und machte damit den Anfang in einer recht lebhaft geführten Debatte, an der sich, neben einigen anderen, die Verleger Christiane Frohmann, Zoë Beck und Volker Oppmann beteiligten.
In der beim Wallstein Verlag erscheinenden Reihe zur Ästhetik des Buches hat Jochum nun etwa sechzig Seiten Raum, um seine Ansichten über den digitalen Wandel darzulegen. Diesen nimmt er sich zunächst für eine grundlegende Rekapitulation der menschlichen Kulturgeschichte seit 7500 v. Chr. Hut ab, möchte man fast zu dieser historischen Fleißarbeit sagen, wäre da nicht stets die Stoßrichtung zu spüren, die Jochum antreibt: Tausende Jahre von Kulturgeschichte, von den Höhlenmalereien (=Wandmedien) zum Buch (=Handmedien) stehen mit dem digitalen Wandel vor der Auslöschung. Durch den Hypertext droht jedem Inhalt das Plagiat durch den anonymen Schwarm. Geräte wie iPad und Kindle: Gehäuse unheimlicher „Technikparks“, in denen Wissen nicht mehr lokalisiert werde kann und ohnehin nicht ernstzunehmen, da in kürzester Zeit Elektroschrott. Das alles könnte man zu einem gewissen Grad getrost als technologiekritisches Mahnen eines etwas kauzigen, aber im Grunde harmlosen Bibliothekars abtun, wäre da nicht der zunehmend ätzende Tonfall, den Jochum auf den finalen Seiten seiner Broschüre anschlägt:
Dieser vor rund 5000 Jahren sich herausbildende handmediale Raum wird von den Digitalia zerstört, in deren Reich die Namen verfallen und das Eigentum kollektiviert wird. Damit bleibt buchstäblich kein Raum mehr für Personen, die nun ersetzt werden durch Schwärme und Herden, für die nicht mehr die Frage des Bewußtseins und der Reflexion von Interesse ist, sondern nur noch die des agitierten Bewegungsballets, das sich mit ausgefeilter Biotechnik nachbauen läßt. Am Ende aber, wenn der lebendige Mensch mit seinem Wissen digital nachgebaut wird, steht kein Reich der Freiheit, sondern der von Algorithmen gesteuerte insektenhafte Plan- und Überwachungsstaat.
Dass die von Konzernen gesteuerte digitale Wirklichkeit durchaus kritisiert werden darf, bezweifelt wohl kaum ein denkender Mensch – Autoren wie Dave Eggers und, ja, immer noch, Thomas Pynchon äußern diese sogar auf literarisch höchstem Nivau. Themen wie Schwarmintelligenz, Digitalisierung und Buchkultur zu einem Brei zu verrühren und dabei in die letzten Fächer der Metaphern-Mottenkiste (Stichwort „Insektenstaat“) zu greifen, dürfte dagegen wohl eher zu einer noch größeren Entfremdung und Lagerbildung zwischen Analog- und Digitalkultur führen. Womit niemandem geholfen wäre.
Uwe Jochum: Medienkörper. Wandmedien, Handmedien, Digitalia. Wallstein Verlag, 64 Seiten, 14,90 € (=Ästhetik des Buches, Band 5)
Disclaimer: Der Autor ist Teil des Organisationsteams der Electric Book Fair und Mitherausgeber der Publikation zur Ästhetik des E-Books.
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