Zur Entdeckung der Lyrik für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015: Ein Gastkommentar von Christoph Szalay.
Gestern wurden die diesjährigen Kandidaten für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015 bekanntgegeben. Darunter befindet sich mit Jan Wagner zum ersten Mal seit dem mittlerweile zehnjährigen Bestehen des mit insgesamt 60.000 Euro dotierten Preises (für die drei Kategorien Belletristik, Sachuch/Essayistik und Übersetzung) ein Lyriker. Der erste Lyrikband auf der Shortlist nach zehn Jahren. Darüber ließe sich bereits vieles sagen. Zunächst vor allem bzw. jedoch, dass das ein Tatbestand ist, der freut. Dass es scheinbar doch möglich ist, sich der Maxime folgend, jedes einzelne Wort, jeden einzelnen Satz geltend zu machen, für einen solchen Preis zu empfehlen. Das ist jedoch auch bereits der Punkt, an dem die Freude aufhört.
„Ein Lyriker für den Buchpreis – warum nicht!?“, so in etwa ließe sich Richard Kämmerlings Kommentar zu Wagners Nominierung in der WELT tradieren. Ja, warum nicht? Warum nicht mehr davon und warum nicht selbstverständlich und warum braucht es den Hinweis auf eine Überraschung, „sicher die größte (Überraschung) – und doch vollkommen plausibel.“ Plausibel vielleicht, weil sich das, was sich in den „letzten zehn, fünfzehn Jahren in Deutschland getan hat, endlich einmal eine Würdigung auf großer Bühne“ verdient hat, vielleicht aber auch, weil „die richtig großen Namen in der Belletristik fehlen.“
Literatur ist ein Markt, wie jeder andere auch, das ist eine alte Geschichte, ebenso die Tatsache, dass er auch denselben Mechanismen, zu dem auch Preise, wie jener der Leipziger Buchmesse zählen, folgt. Die Tatsache, dass es zehn Jahre gedauert hat, einen Gedichtband auf die Shortlist zu setzen, unterstreicht nur einmal mehr, wie dieser Markt denkt. Prämiert wird, was lesbar, was zeigbar, was verkraftbar ist. Für Lyrik scheint all das nach wie vor nicht zu gelten. Passierte es nun aber doch, schickte sie sich nun doch einmal an, auf die Shortlist zu kommen, die Lyrik, so müsse sie „gleichermaßen form- und traditionsbewusst und in unverwechselbar-originellem Stil“ sein. Der Raum also, innerhalb dessen sich Lyrik bewegen kann und darf, sollte sie auf die große Bühne gehievt werden, ist demnach ebenso vorgegeben, wie die allgemeine Meinung, dass sie dort eigentlich nicht wirklich hingehört. Literatur also als Domestizierung, als Exotismus, als feiner und netter nachmittäglicher Spaziergang durch den Zoo.
Einen Gedichtband auf die Shortlist eines der wichtigsten deutschsprachigen Preise zu setzen, zeugt also weder von Mut, noch von Weitsicht noch von sonst etwas anderem, sondern schlicht und einfach von der Arroganz, sich, wie in diesem Fall, seit einem Jahrzehnt nicht mit dem, was zeitgenössische deutschsprachige Lyrik kann und macht und ist, auseinanderzusetzen.
Christoph Szalay wurde 1987 in Graz geboren. Zuletzt erschien von ihm der Gedichtband Asbury Park, NJ im Luftschacht Verlag.
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