
Weiter im Text: Heute geht es unter anderem in die DDR und nach Kuba, und ein Mathematiker wird zum Dichter.
Der Ausflug in die Biografie des fiktiven Dichter-Programmierers Gavriil Efimović Teterewkin im Kapitel „Nachwort“ wird gefolgt von einer kurzen Ergänzung („Paradigmenwechsel“), die von einem Zusammentreffen des „vermeintlichen Großneffens“ Teterewkins, Rodion Woronin, mit Lenin und Maxim Gorki auf der Ferieninsel Capri berichtet. Er kündigt an, das unvollendete Werk seines Großonkels, die Erfassung der Welt in einem gigantischen Poem durch automatisierte Schreibverfahren, zu einem glorreichen Abschluss zu bringen. Seinen Zuhörern ist es aber eher an einer Partie Schach gelegen – und außerdem sei Teterewkin doch ästhetisch vornehmlich ein Produkt der Herrschaftssysteme des 19. Jahrhunderts, die der Sozialismus zu überbieten suche.
Zurück ins Jahr 1985: Mireya Fuentes gelingt es nach einer wilden Taxifahrt tatsächlich, den Fahrer zu finden, der das kubanische Spartakiaden-Team in die Quarantänestation des Chowrinskaja-Krankenhauses im Leningrader Rajon gebracht hat. Das Krankenhaus stellt sich heraus als ein gespenstischer Ort: Zu großen Teilen noch Baustelle, aber von Arbeitern keine Spur. In einem etwas versteckt liegenden Flachbau trifft Mireya dann aber endlich ihr Team, allesamt wohlauf, von schwerer Krankheit keine Spur, doch auch behandelnde Ärzte sind für keine weitere Auskunft zu erreichen. Um die Chance zu nutzen, zumindest noch beim internen Trainerwettbewerb der Spartakiade einen Erfolg zu verbuchen, bekommt Mireya nun von Teamtrainer Eduardo den Auftrag, seinen Koffer ausfindig zu machen. Die dort verwahrten Bänder mit dem Programmiercode müsse sie nur in seinem Namen zur Startzeit in einen Computer einlegen und den Startbefehl geben, um das Programm zu starten.
Damit kehrt Mireya zum Austragungsort zurück – und nun kommt es zur ersten Verknüpfung der Erzählstränge: der sowjetische Trainer, den Mireya kurze Zeit später während einer Versammlung im Untergeschoss des Hotels „Kosmos“, wo die Programmier-Spartakiade stattfindet, zusammen mit den anderen kennen lernt, ist niemand anders als Leonid Ptuschkow, der im bisherigen Romanverlauf erst als junger Mann auftrat! Auf diesen richtet sich nun auch wieder die Aufmerksamkeit: In seiner Zeit im Krankenhaus hat er die schöne Nadeschda kennen gelernt, mit der er bald nach seiner Entlassung nach Moskau zurückkehrt. Er versucht, sein Studium der Angewandten Mathematik wieder aufzunehmen, doch das fällt ihm sichtlich schwer. Konzentrationsschwierigkeiten und Kopfweh machen ihm zu schaffen, er wirkt abgelenkt, und beginnt stattdessen aus einem plötzlich aufkommenden inneren Impuls heraus, Gedichte zu schreiben: „Statt Binären und Programmierbefehlen spukten ihm rhythmisierte Wortgruppen durch den Kopf“. Mit der Zeit kehrt die Konzentration zurück, doch Leonid macht sich Gedanken: War er nicht in einer ähnlichen Stimmung, damals, als er Sergei Alexejewitsch sein Notizheft mit mathematischen Versuchen präsentierte? Auf der Suche nach Antworten kehrt er in seinen Heimatort Feofania zurück, hat dort eine Epiphanie und macht sich an die Abfassung eines Traktakts über die „Automatisierte Ermittlung der Leistungsfähigkeit Künstlicher Intelligenzen“. Er wird eingeladen, die neue Forschungseinheit OMEM zu unterstützen, wo er zum zum ersten Mal in Kontakt mit der ominösen Rechenmaschine GLM und einer großen Menge Lochkarten kommt.
Hier schwenkt die Erzählung zu einem Betriebsausflug einer Gruppe DDR-Geheimdienstler auf die Insel Warenz in den frühen sechziger Jahren. Kleinwerth, der spätere Trainer der DDR-Auswahl bei der Internationalen Programmier-Spartakiade, ist mit von der Partie, außerdem Achim Zwierer, der einen Geheimauftrag erhält, der mit der Beschaffung einer Rechenmaschine zu tun hat.
Neuer Handlungsort Kuba, im August 1961: Juri Gagarin, der erste Mann im All, besucht mit einer Entourage die Hauptstadt Havanna, darunter ein gewisser Oberst Bolaño; außerdem Personenschützer Sergei Bogosian, der es bald mit der etwas zudringlichen Plakatmalerin Aldonza Fuentes zu tun bekommt und mit ihr eine Nacht verbringt. Könnte sich hier ein Rätsel in Mireya Fuentes‘ Familiengeschichte lüften? Dmitri Sowakow indes, der schon länger nicht mehr auftrat, kehrt, im Jahr 1962, als Inspekteur der sogenannten „Meschpoweff“ zurück in die Handlung.
Es wird kompliziert: Während sich nach und nach die Bezüge der verschiedenen Handlungsebenen herausschälen, bereitet es beim Lesen mitunter Schwierigkeiten, den rasanten Zeitsprüngen zu folgen. Mit großer Hingabe ist beispielsweise die Geschichte von Leonid Ptuschkow erzählt (hier wurden beim Handlungdsprotokoll bewusst einige Auslassungen gemacht) – muss dann wirklich der in DDR-Strang hineingrätschen? Die Antwort darauf, was es nun wirklich mit der Quarantäne der kubanischen Programmierer auf sich hat, scheint sich der Erzähler absichtlich für später aufzuheben: Hier kommt es schon zu leichten Frustrationserscheinungen.
Fortsetzung folgt! Der dritte Teil des Dunkle Zahlen Lesetagebuchs erscheint am 1. März 2018. Neuigkeiten auch auf Twitter und bei Facebook.