
Was passiert hier? Eine Familie feiert Weihnachten, aber alle tragen Handschellen. Ein Erzähler namens Maruan führt ein Gespräch mit seinem Therapeuten, Herrn Doktor Gänsehaupt, und kündigt an, einen Mord gestehen zu wollen.
Maruan Paschens zweiter Roman ist ein großes Verwirrspiel. Äußerlich hat er alle Anlagen zu einem klassischen Familienroman: Die Familie trifft sich an Weihnachten, man erinnert sich gemeinsam an vergangene Zeiten. Tatsächlich unterläuft er aber diese Absicht, so gut er nur kann. Zumindest in der Art, wie er erzählt: Denn um Familiengeschichten geht es durchaus. Nur wird hier so haarsträubend irrwitzig, abschweifend und dann wieder manisch detailliert mit- und durcheinandergesprochen, dass man am Ende gar nicht mehr weiß, wem man was glauben soll.
Zwischenzeitlich wird auch das Mittel der Skizze zur Hilfe genommen, etwa zur Beschreibung einer Wurzelspitzenresektion. Dann erinnert sich der Erzähler zurück an Episoden aus seiner Kindheit und Jugend und eine Liebesbeziehung, die nur einen Kaufhausbesuch lang hielt. Diese zählt zu den komischsten Episoden von Weihnachten. Die vielleicht traurigste ist die Geschichte, wie der Erzähler-Maruan einem Kind im Flugzeug aufgrund eines Missverständnisses das Leben rettet – und dieses aber nach der Notlandung doch im Krankenwagen stirbt.
Foto: Julia von Vietinghoff
Maruan Paschen ist, das war schon in seinem ersten Roman Kai so, eigentlich eher am Erzählvorgang als solchem als am geraden Herauserzählen einer Geschichte interessiert. Mit welchen Worten wird was beschrieben? Traue ich mir selbst beim Erzählen über den Weg? Kann man überhaupt die Wahrheit erzählen? „Familie ist wie eine Mauer“, heißt es an einer Stelle, „Familie ist wie ein Pflaster“ an einer anderen. Diese Familiengeschichte, in ihrer ganzen Zersplittertheit und ihren verwirrenden Konstellationen, ist vielleicht die ehrlichste, die seit langem geschrieben wurde.
Maruan Paschen: Weihnachten. Matthes & Seitz Berlin, 196 Seiten, 20 €