Luftballon verloren

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Wilco haben kein neues Album gemacht. Dafür hat Frontmann Jeff Tweedy mit seinem ersten Soloalbum ernst. Das erste Teaser-Video kann allerdings nur als Witz gemeint sein.

In Summer Noon schwebt ein CGI-animierter rosa Luftballon durch eine sterile See- und Küstenlandschaft; auch diese besteht aus großflächigen Polygonen. Das soll vermutlich, so wie das recht eingängige Stück Musik dazu, für Leichtigkeit, Sommerstimmung und allgemeines Entspannen stehen. Leider wirkt es vielmehr wie die Rache eines drittklassigen Computerspiele-Entwicklers.

 

Wie ungleich liebevoller und schöner ist das doch Wilco zuletzt mit dem nostalgischen Zeichentrickfilm zur Single „Dawned On Me“ vom Album The Whole Love gelungen (trotz klar nervtötender Intromusik), die das ganze Popeye-Ensemble am fiktiven Hafensteg versammelte. Better luck next time!

 

Das Soloalbum von Jeff Tweedy heißt Sukirae und erscheint im September, mehr dazu auf wilcoworld.net.

Ausziehen mit Ty Segall

Ein Meer von Händen und nackte Körper in Wallung zeigt das Video zu Ty Segalls Stück „Thank God For The Sinners“.

Ohne zu sehr ins pornographische Detail zu gehen, wird hier doch mit einer überaus gut funktionierenden Erregungs-Ästhetik der maximale zwischenmenschliche Kontakt inszeniert. Nur dass es dem armen Sünder am Ende buchstäblich an die Gurgel geht, ist ein kleiner Ausflug in die Splatter-Welt, der etwas unerwartet kommt. Das Video reiht sich damit aber nahtlos in die musikalisch, wie auch in anderen Belangen grandios übersteuerte Welt Ty Segalls ein, der bei The Daily Frown ohnehin kein Unbekannter ist. Thank God!

Im Keller mit Indians

 

Søren Løkke Juul aus Kopenhagen nennt sich selbst Indians. Dem oft angeführten Klischee des empfindsamen Künstlers begegnet er mit einer gewissen Selbstironie.

Zumindest im Video für das balladeske „I Am Haunted“ lässt er sich eher unsanft in einem Keller misshandeln, was erstmal so gar nicht zu diesem sanften Liebeslied passen mag. Macht neugierig (und etwas schwindlig), mehr hören kann man auf dem Album Somewhere Else.

Das Leben verpassen mit Purity Ring


Was wäre, wenn wir die entscheidenden Momente im Leben einfach verpassen, weil wir sie nicht bemerken? Mit dieser philosophischen Frage geht es in die sechste Ausgabe der Clipkritik.

Die unter dem Moniker Purity Ring auftretenden Kanadier Corin Roddick und Meghan James haben ein Elektro-Kleinod fabriziert, mit dem wunderbaren Kunstwort „Lofticries“ betitelt und Regisseur A.G. Rojas mit der Produktion des Musikvideos betraut.

Dort spielt sich – siehe Hundred Waters – auf den ersten Blick nicht viel ab. Aber so ab der zweiten oder dritten Betrachtung entdeckt man, dass das Wesentliche außerhalb der Schulterblick-Kamera geschieht, die den irritierend teilnahmslosen Protagonisten durch das Geschehen folgt. Gegen Ende wird es etwas esoterisch, aber das macht nichts, passt es doch zu der leicht entrückten Stimmung, die sich über die Musik ohnehin schon aufbaut. Und weil es sich so schön liest, hier einfach nochmal der Titel: Lofticries.

Bisher erschienen in der Rubrik „Clipkritik“:

Videos zurückspulen mit Ty Segall
Eine Nachtmeerfahrt mit Hundred Waters
Auf Expedition mit Band of Horses
Kindergeburtstag mit Black Moth Super Rainbow
Motorradfahren mit Spiritualized

Videos zurückspulen mit Ty Segall

Zur Grundausstattung jedes Haushalts bis weit in die neunziger Jahre hinein gehörte selbstverständlich: der Videorekorder.

Ob man nun eifriger Nutzer von Videotheken war oder einfach nur die Lieblingssendung aufzeichnete, das Überspielen, Zurückspulen und die charakteristischen Streifen im Bild – die sich mit jedem Abspielen häuften – wurden zwangsläufig zum festen Bestandteil vieler in dieser Zeit gesehener Lieblingsfilme. Das war alles natürlich unglaublich umständlich, aber auch auf eine im Rückblick sehr erleichternde Weise unperfekt: War das Band kaputt, konnte man den Film halt nicht sehen – Sicherheitskopien, Torrent-Download, YouTube oder Streaming gab es ja noch nicht.

Ty Segall aus San Francisco, um den es eigentlich in dieser Ausgabe der Clipkritik geht, hat dieses Jahr schon drei Alben in wechselnder Band-Besetzung herausgebracht, die tief im Garagenrock der sechziger Jahre verwurzelt sind. Seinem neuesten, diesmal solo aufgenommenen Album Twins schickte er die Single „The Hill“ voraus. Auf dem dazugehörigen Video kann man alle Vorzüge der Betrachtung eines VHS-Videos wiedererleben, als Bären kostümierte Bandmitglieder vor weißem Hintergrundrauschen inklusive. Und was den Vertrieb angeht, bleibt das Label Drag City dem Magnetband treu: Twins ist auch auf Musikkassette erhältlich. Also, Walkman raus und Videorekorder an!

Bisher erschienen in der Rubrik „Clipkritik“:

Eine Nachtmeerfahrt mit Hundred Waters
Auf Expedition mit Band of Horses
Kindergeburtstag mit Black Moth Super Rainbow
Motorradfahren mit Spiritualized

Eine Nachtmeerfahrt mit Hundred Waters

Heute in der Clipkritik: Ein Musikvideo, in dem gar nicht viel, aber dafür umso Schöneres passiert.

Die Handlung von „Thistle“ wiederzugeben würde so ziemlich allem widersprechen, was den Reiz dieses kleinen Films ausmacht. Daher nur soviel: Ein heimwehkrankes Pferd wird in letzer Sekunde vom Galgen befreit und galoppiert durch Scheune, Sand und ein Meer aus Plastikfolie. Zusammen mit der versponnenen elektronischen Musik von Hundred Waters ergibt das eine verträumt-alptraumhafte Nachtmeerfahrt in Stop Motion irgendwo zwischen Tim Burton und der Augsburger Puppenkiste.

Bisher erschienen in der Rubrik „Clipkritik“:

Auf Expedition mit Band of Horses
Kindergeburtstag mit Black Moth Super Rainbow
Motorradfahren mit Spiritualized

Auf Expedition mit Band of Horses

Wenn nichts anderes mehr im Fernsehen läuft, man gleichzeitig aber zu faul zum Ausschalten ist, gibt es meist zwei Möglichkeiten: Shoppingkanäle. Oder Tierfilme.

In der dritten Ausgabe der Clipkritik nehmen sich Band of Horses aus Seattle dem oft geschmähten Genre der Naturdokumentation an. Die wilden Pferde werden in dem Fall – soviel Wortwitz sei erlaubt – durch die Bandmitglieder selbst dargestellt. Auf amüsante Weise gelungen ist hier die heimelige Fünfziger-Jahre-Atmosphäre, über die der eigentlichen Auftritt der Band als Lehrfilm inszeniert wird, inklusive steifem Biologie-Professor, schleimigen Studenten und einem schönen alten Super-8-Vorführgerät. Leider kann das dazugehörige Musikstück „Knock Knock“ in Sachen Originalität nicht so recht mithalten – aber da könnte man sich ja mit der Tonspur eines Grzimek-Tierfilms behelfen.

Bisher erschienen in der Rubrik „Clipkritik“:

Kindergeburtstag mit Black Moth Super Rainbow
Motorradfahren mit Spiritualized

Kindergeburtstag mit Black Moth Super Rainbow

Zarte Gemüter aufgepasst: In diesem Musikvideo werden Hipster fertiggemacht!

In dieser Ausgabe der Clipkritik geht es, nach Motorradfahren mit Spiritualized, wieder um ein modernes Fortbewegungsmittel, sozusagen mit Tücken. Ein Hipster-Pärchen verfährt sich, weil das Navigationsgerät spinnt, im nicht so schönen Teil der Stadt. Es kommt, wie es kommen muss: Eine Bande Maskierter rückt ihnen mit Baseballschlägern auf den Leib. Aber statt einen klassischen Überfall durchzuziehen, zaubern sie plötzlich – Überraschung! – Sahnetorte, Elektrorasierer und ein Wasserbecken hervor und schocken die Hipster damit ungleich mehr. Dazu ein hippes Stück Elektromusik von Black Moth Super Rainbow, die aus dem gar nicht so hippen Pennsylvania stammen und ein glückliches Händchen bei der Wahl ihres Regisseurs bewiesen haben – Vorsicht vor dem „Windshield Smasher“!

Bisher erschienen in der Rubrik „Clipkritik“:

Motorradfahren mit Spiritualized

Motorradfahren mit Spiritualized

Unglaublich, aber wahr: Es gab da mal so etwas wie Musikfernsehen, wo richtige Videoclips zu Musikstücken gezeigt wurden. Das Musikfernsehen gibt es nicht mehr, aber die guten Videoclips haben – zum Glück – überlebt. Man muss sie nur finden.

Ein solcher Fund ist das neue Video der britischen Band Spiritualized zu dem Song „Little Girl“. Und das hat alles, was ein gutes Musikvideo ausmacht, auf vier Minuten und fünfundzwanzig Sekunden vereint: Es erzählt eine packende Geschichte voller Tragik (Mädchen, das aus einem Alkoholiker-Haushalt ausreißt) und Dynamik (hier: Motorrad-Stunts) – und ist damit ein veritabler Kurzfilm. Und ach ja, das Musikstück dazu ist auch sehr gelungen. Vorhang auf!