Das Interesse an Alma Mahler-Werfel ist ungebrochen und ihre vielfältige, fraglos schillernde Persönlichkeit noch nicht bis ins Letzte ausgeleuchtet. An der Ergründung ihres Lebens versucht sich nun auch Susanne Rode-Breymann, die Leiterin des Forschungszentrums für Musik und Gender.
Bereits in der Einleitung gibt die Autorin zu bedenken, dass das vorherschende Bild von Alma Mahler-Werfel von deren eigener Selbstdarstellung gesprägt ist und bisherige Biographik arg an diesem orientiert. (Dabei verkennt sie aber bereits die kritische Distanz, die beispielsweise Oliver Hilmes in seinem Buch zu den Notaten Almas einnimmt.) Sie stützt sich vornehmlich auf “neue Forschungsergebnisse” und die Auswertung der Briefwechsel Alma mit Alban und Helene Berg, sowie den mit Arnold Schönberg. Im Vordergrund soll nun erstmalig auch das eigene künstlerische, besonders musikalische, Potenzial und Schaffen der als Alma Schindler geborenen Frau stehen und dies könnte tatsächlich einen neuen Blick auf deren Leben bieten.
Zweifellos war Alma Mahler-Werfel eine vielfältig begabte junge Frau. Ihre frühe eigene musikalisch-schöpferische Arbeit, die alsbald von ihrem ersten Mann Gustav Mahler unterdrückt wurde, oder auch das große Interesse für Literatur, Theater und Oper weit über den Zweck der Unterhaltung hinaus. Dies alles behandelt und analysiert Rode-Breymann eingehend und fundiert. Die Listen der Lektüre Almas und ihrer Opernbesuche regen dann aber gleich dreimal auf den ersten hundert Seiten zum Überblättern an, hätten dagegen gut in einen Appendix gepasst, der leider auch eine Übersicht zu Almas eigenen Arbeiten vermissen lässt. Die Auseinandersetzung mit dem frühen Schaffen der Muse gelingt gut und zeigt deutlich welches Potenzial Gustav Mahler erstickte. Warum dann aber z.B. die Frage, ob Alma hysterische Anfälle hatte, mit einem kratzbürstigem Furor und nicht sachlich abgehandelt wird, muss Geheimnis der Autorin bleiben.
Eine kreative Ekstase bei Frauen? Nein. Bei ihnen gibt es, so sind immer noch viele (Männer) überzeugt, nur das hysterisch Übersteigerte. Das Bild der wahnhaften, hysterischen Frau, deren in solcher Verfassung komponierte Lieder nicht der Rede wert sind, ganz im Gegensatz zu dem Bild des genialen Romantikers, dessen Lieder uns höchsten Respekt abnötigen …
Solche Ausbrüche, und sie kommen mehrmals vor, deuten in meinen Augen auf mangelnden wissenschaftlichen Ernst und fehlendes gutes Benehmen den Kollegen gegenüber hin, die Botschaft dieser Zeilen sind sicherlich auch sachlich vorzubringen. Schon früh entsteht dazu eine Unwucht in der Biographie: Neben ausufernden Kollegenschelten, die eine Fehlgeburt für die schlechte Stimmung Almas während eines New York Aufenthalts übersehen haben (was als Hinweis richtig ist), wird diese selbst gleichsam in einem Nebensatz abgetan. Der Tod der Tochter wird auf einer halben Seite durchgehechelt die diversen Ausstattungen und Bühnenbilder von Opern im Anschluss dagegen auf zwei. Zuweilen scheint es als tauchten Kinder auf, deren Erscheinen doch zumindest eine Zeugung und 9-monatige Schwangerschaft vorausgehen müsste. Die tatsächlich, vor allem von Seiten Kokoschkas, wahnhafte Liebe mit dem jungen Maler, insbesondere dessen daraus resultierendes Werk ist zu knapp behandelt. Die “Windbraut” wird genannt, der Bezug zu Alma dagegen nicht wirklich klar. Die besonders enge Beziehung zur Familie Berg wird ausufernd beschrieben, die Geste Bergs sein Violinkonzert “Dem Andenken eines Engels”, nämlich der verstorbenen Tochter Almas Manon Gropius zu widmen, taucht nur am Rande und viel später auf. Der Verkauf von Handschriften Bruckners wird angesprochen, hier gab es sogar Verhandlungen mit höchsten Vertreten des Dritten Reichs, dass Bruckner aber Mahlers Lehrer war, wird nie erwähnt, ein Bezug fehlt so völlig. Der starke Antisemitismus Almas trotz des Judentums von Mahler und Werfel wird ebenfalls eher verschwiegen als ernsthaft besprochen, die dramatische Flucht in die USA über die Pyrenäen zusammen mit Heinrich und Golo Mann, mit Franz Werfel in desolatem Gesundheitszustand und einer stets betrunkenen Nelly Mann, die wohl nur aufgrund der Tapferkeit und des Willen Almas gelingen konnte, eine Randnotiz.
Sollte also tatsächlich nur das eigene Werk Alma Mahler-Werfels erörtert werden, hätte aus musikalischer Sicht bei Beginn der ersten Ehe das Buch beendet sein müssen. Die eigene schriftstellerische Arbeit folgte erst sehr viel später, auf diese eigene, nicht nur verwalterische, Arbeit wird aber nur sehr knapp eingegangen. Die Schwerpunktsetzung der gesamten Biographie ist misslungen.
Damit scheitert auch das Vorhaben Rode-Breymanns Alma aus der Ecke der zwar als Femme fatale bekannten Inspiration großer Künstler herauszurücken. Sie selbst untertitelt ihre Buch ja dann doch wieder mit Muse – Gattin – Witwe und stellt so den singulären Bezug auf die großen Männer her. Die mangelnde Schwerpunktsetzung wird auch in der Chronologie deutlich: auf Seite 180 von 300 ist Mahler immer noch nicht tot, Alma gerade erstmal Anfang dreizig, auf den letzten 50 Seiten hat Alma noch Jahrzehnte zu leben. Der Leser hängt in der Luft, was wollte Rode-Breymann? Eine Studie über die junge Alma und ihre Leistungen? Das Leben Almas bis zu ihrer Ehe mit Franz Werfel? Denn danach rauscht das gesamte Buch wie ein Sturzbach in sein kurzes Ende.
Eine weitere solide Biographie ist nicht zwingend unbrauchbar, aber Neues kann die Autorin dem Alma Bild nur bedingt hinzufügen. Die Bearbeitung von Rode-Breymann ist außerdem für Einsteiger ohne Vorwissen nicht geeignet. Hier eignet sich die Biographie Witwe im Wahn von Oliver Hilmes besser, die ein umfassendes Bild von Personen und Zeit liefert.