Bereits zum dritten Mal muss ich diese Rezension beginnen; zum dritten Mal bin ich unschlüssig – so stark der Nachhall dieses Buches. In der Zeit habe ich gelesen, dass Frühling der Barbaren von Jonas Lüscher ein ach so vielversprechendes Debüt sei, eine Novelle, die endlich mal aktuelle Probleme behandelt, nicht wieder irgendein schwülstiger Nonsense-Roman eines aufstrebenden Wortverdrehers.
Wir befinden uns auf einem Spaziergang mit dem Erzähler und Preising, einem reichen Mann aus der Schweiz. Das Geld ist geerbt; Grundlage die Firma seines Vaters, von deren Technik er nichts versteht und nur durch einen findigen Radiotechniker vor dem Bankrott gerettet wurde. Eben dieser Mann berichtet dem Erzähler und uns von einer Reise nach Tunesien. Ein Luxusressort wie sie für die Reichen und Schönen dieser Welt gebaut werden, die zwar die Schönheiten der Wüste möglichst authentisch und aus der Nähe kennenlernen wollen, in beduinischer Einsamkeit aber auf frisch-duftende Handtücher und 5*-Service nicht verzichten wollen. So trifft sich, dass die Ausgeburt der Urlaubshölle, das Klischee des champagner-schlürfenden und doch proletarischen Urlaubers in René Lezard-Anzug – der Engländer – mit ihm in der Wüste weilt. Die sympathische Lehrerin, die er kennenlernt, ist nur ein Teil der 70-köpfigen Hochzeitsgesellschaft ihres Sohnes; alles neureiche Banker, Jüngelchen von nicht mal 30, die bereits im Monat mehr Geld verdienen als der bemitleidenswerte Vater der Braut. Doch mitten in die Dekadenz der Juppies bricht der Staatsbankrott Englands und als man am Morgen erwacht ist man nicht nur arbeitslos, sondern auch pleite und kann die zurückliegenden Freuden nicht mehr bezahlen.
Gibt es das denn? Jonas Lüscher erzählt auf knapp 130 Seiten mehr Geschichten als andere auf 300, mehr Charaktere, mehr Abgründe – mehr mehr mehr! Die erzählte Wirtschaftsphantasie wirkt in keinem Moment aufgesetzt. Die Charakterisierungen der nouveau riche sind so entwaffnend, wie treffend und ehrlich. Trotz des sehr aktuellen Plots tat Lüscher wohl recht daran das Thema nicht auf Romangröße aufzublasen, denn auch wenn man sich während der packenden Lektüre mehr Seiten wünscht und bedauernd auf die wenigen noch zu lesenden blickt, ihre Kraft erzeugt die Kürze und besonders die Drastik und das Drama des Finales wird hierdurch verstärkt und besonders eindrücklich.
Ja, die Zeit hat also recht. Frühling der Barbaren ist ein sehr vielversprechendes Debüt und warum müssen es immer Romane sein? Hier handelt es sich eindeutig um Klasse statt Masse: eine Novelle, die den Zeitgeist trifft. Jonas Lüscher – ich behalte Dich auf dem Schirm!