Was willst Du mehr?

Bei dem Treffen der Paten der Leipziger Buchmesse erschienen, wie berichtet, u.a. die drei Preisträger und viele der weiteren Nominierten und waren zum großen Teil uns Bloggern gegenüber sehr aufgeschlossen. Ich war informiert worden, dass auch Klaus Binder, der Übersetzer von Lukrez, sein Kommen angekündigt hatte. Nicht im klassischen Sinne aufgeregt war ich, sondern vielmehr gespannt auf den Austausch und etwas sorgenvoll, ob der kritischen Nachfragen, die kommen könnten, schließlich hatte ich offen mit meinen mangelnden Lateinkenntnissen kokettiert und bin auch kein versierter Philosophiekenner. Doch Herr Binder kam nicht. Nachts erhielt ich stattdessen eine Email, die ich in Ausschnitten veröffentlichen möchte.*

Am 14.03.2015 um 01:13 schrieb Klaus Binder**:
Leider habe ich deine Rezension erst heute, wieder zurück in Frankfurt, gelesen. Als älteres Semester bin ich einfach nicht sehr blogg-affin.  Aber es tut mir leid, denn hätte ich das zuvor gelesen, ich wäre doch zum Bloggertreff in Leipzig gekommen.
Denn ich habe mich über diesen Text sehr gefreut. Eine Leserreaktion. Keine abgeklärte Kritikerreaktion.

Denn du, Leser/Rezensent, hast einen Weg eingeschlagen, den keiner der Kritiker (viele haben sich geäußert, und keiner miesepetrig, ich kann mich überhaupt nicht beklagen) gegangen ist: den Übersetzungsvergleich. Und von da — Stichwort Lesbarkeit — genau das entdeckt, worauf es mir ankam mit diesem Großprojekt, diesem Husarenstück […]

Philosophie nicht als Denktechnik. Sondern als Weg, die Welt und sich selbst in der Welt zu begreifen. […] Nicht sich selbst/alleine, sondern sich in der Welt begreifen, darauf kommt es an. Also muss man diese Welt auch begreifen. Und wenn es um ferne Zeiten geht, geht es auch darum, die Differenz zu begreifen, Philosophiegeschichte nicht als Abfolge von Lehrsätzen und Schulen, sondern als Abfolge von Weisen, sich in der Welt zu orientieren. Als Abfolge von praktisch, alltagspraktisch bedeutsamen Wegen, sich (und anderen) die Welt und ihre Rätsel zu erklären.  Und genau das, einen vergessenen, verlassenen Weg “zu philosophieren”,  wollte ich mit der Übersetzung dieses Texts, mit meinen Kommentaren zeigen. Als Antwort auf unsere Fragen.
Und eben das hast du, als Rezensent, erkannt, deinen Lesern vorgeführt. Deinen Leseweg. Meinen Lese-, Übersetzungs-, Kommentarweg. Beide zusammen. Das Herantasten an eine kultur-/philosophiehistorische Ikone[…]. Kurz, du hast Lesebewegungen dargestellt, nachgezeichnet, in deren Verlauf Korrespondenz  entsteht, das Gefühl: Da bin ich gemeint, und wenn das so ist und wenn ich Lukrez weiter folge, da sind wir gemeint.  […]

Nicht lobende Adjektive:  diese Rezension als  Darstellung der Annäherung an Übersetzung und Kommentar, an diesen “Brocken” Lukrez, ist das schönste Lob, die schönste Bestätigung meiner Arbeit, die ich mir vorstellen kann.  (Auch ein Leipziger Preis wäre da nicht rangekommen.) Genau das habe ich gewollt, und genau das ist angekommen bei Lukrezlesern. Das hat mir diese Rezension  gezeigt . Was will ich mehr.

Am 15.03.2015 um 23:08 schrieb Tilman Winterling:
Deine Worte zu meiner Rezension ehren mich. Auch wenn inzwischen zum Teil ein erfreulicher Austausch und auch Freundschaften zwischen Autoren und Bloggern entstanden sind, habe ich eine derartige Rückmeldung bisher nicht erhalten. Ich habe versucht durch den Vergleich der Übersetzungen die Schwierigkeiten derselben aufgrund des Alters des Textes und der Übertragung aus einer Sprache, die alle immer als tot bezeichnen, deutlich zu machen. Erstaunlich, dass nicht jeder Rezensent diese Möglichkeit genutzt hat, ist sie doch bestens geeignet genau diese Feinheiten herauszuarbeiten. Nur so kann man die Wandlung des Originals in eine flüssige, moderne Sprache nachvollziehen, die trotzdem nicht aufgesetzt wirkt.

Für Deine Leistung möchte ich Dir auch auf diesem Wege noch einmal meine Hochachtung aussprechen: was ein Projekt – mit welch grandiosem Ergebnis.

Wie Du wussten auch viele der anderen Nominierten nichts von der Bloggerpatenschaft, waren im Gespräch am Freitag aber sehr erfreut, ob der Aktion und aufgeschlossen uns gegenüber, eine (größtenteils) ausnehmend angenehme Begegnung (ich habe sie hier zusammengefasst: www.54books.de/bloggerpate). Unter den beteiligten Bloggerpaten ist daher inzwischen eine hitzige Diskussion über die Umsetzung der Patenschaften durch die Messe und Verlage entbrannt. Hierbei wird eben insbesondere bemängelt, dass die meisten Autoren von dieser Aktion nichts wussten, beim Treffen aber fast alle positiv überrascht waren und sich über mehr Informationen von und über uns gefreut hätten. Uns wurde klar, dass, wie Du auch in Deiner Mail schreibst, die Verlage die Patenschaft an sich und auch die Rezensionen gar nicht an die Autoren und Übersetzer weitergegeben haben.

Am 16.03.2015 um 01:10 schrieb Klaus Binder:
Ich will zunächst klarstellen: mein Verlag, Galiani, hat mir den Termin  weitergeleitet, und ich hatte mich zunächst auch, via Messe/Verlag, angemeldet, mich dann aber entschlossen abzufahren.

Nochmals: Hätte ich deinen Text gekannt (gestern habe ich deinen Text auch ausgedruckt vom Verlag bekommen. Das geht also schon rund!), ich wäre geblieben und gekommen. Ich spreche gerne über meine Arbeit an und mit Lukrez, denn es gibt gute Gründe, sich mit diesem Text zu befassen.  Es ist unsere Geschichte, die da erzählt wird. Und ich habe das Projekt ja nicht nur für mich getan und riskiert.

Und ich muss insofern Abbitte tun, als ich dem Blogger-Wesen gegenüber eher mißtrauisch gestimmt bin. Nun sage ich: war. Da hat damit zu tun, dass ich bei meinen Recherchen im Internet (ich bin da ausgiebig unterwegs) immer wieder und vor allem auf Geschwätz gestoßen bin, selbstverliebtes Geplauder zumeist, augenblicksgeboren. Und indem ich generalisiert habe, vielleicht auch die facebook-likes für das Ganze genommen habe, habe ich Autoren wie dir wirklich Unrecht getan. Ist halt schwierig, in der Masse dieser Reaktionen und Rülpser, dieser anonymen und damit wohlfeilen Bekundungen, dass man auch was zu sagen hat, doch auf die Perlen zu stoßen.  Die Geduld aufzubringen, im Heuhaufen die goldenen Nadeln zu suchen. Auch insofern tut es mir leid, dass ich in der Leipziger Runde nicht dabei war.

Ja, du darfst zitieren, was du zitieren magst. Vor allem die Sätze, die hervorheben, was du, im Unterschied zu den Berufskritikern, gesehen, getan, entdeckt hast. […] Ich wiederhole nochmals: keiner, keine der Profis hat derart und so genau wie du herausgefunden, worum es mir geht. (Kaum einer hat übrigens auch zu den Kommentaren was geschrieben, die doch einen bedeutenden Teil des Buchs ausmachen.) Wahrscheinlich, weil sich keiner traut, wirklich seinen Leseerfahrungen, dem Prozess, dem allmählichen Verfertigen eines Urteils (ich denke an Kleist), hinterherzuschreiben. Und weil die Profis auf ihre Weise im Grunde auch nichts anderes tun als die, die ich “Augenblicksblogger” genannt habe. Aber, und da liegt der fatale Unterschied, sie tun es gedeckt durch den Mainstream des “Literaturdiskurses”, gedeckt durch ihre Ausbildung als Germanisten etc. Gedeckt vor allem durch ihren Status, der dann auch immer zu verteidigen ist. Mit der Folge, dass nicht viel neues entsteht in dieser Welt der Literaturkritik. Es gibt natürlich auch hier Ausnahmen: Wolfram Schütte etwa, oder Arno Widmann, frech und böse treffend auch Diez (Spiegel online).  Insofern wundert mich nicht, was du über die überraschten Reaktionen der bei euch aufgetauchten Mit-Nominierten schreibst. Sie alle werden die Erfahrung gemacht haben, dass etwas fehlt in diesem Kritikergeschäft. Und wir alle können nur hoffen, dass diese Konkurrenz etwas bewirkt. Auch wenn es eher nicht so aussieht: Die Literaturredaktionen schrumpfen derzeit. Gekürzt ist schnell, umdenken, umsteuern dauert länger, ist anstrengend, kostet Zeit, damit Geld. Und das Honorar ist knapp.

Aus diesem E-Mail-Verkehr lieber, hoffentlich bis hierin vorgedrungener, Leser ist natürlich nur eine Meinung zu den Chancen und Möglichkeiten einer anständig kommunizierten und durchgeführten Bloggerpatenschaft herauszulesen. Von vornherein ausgeschlossen werden kann, auch bei einer möglichen Bloggeraktion 2016, nicht, dass Autoren oder Verlage auf ein solches Angebot keine Lust haben. Die oben nachzuvollziehende Entwicklung ist wohl so ziemlich die beste, die eine solche Veranstaltung nehmen kann.

Diesen Text habe ich nicht veröffentlicht, um mich in dem Zuspruch von Klaus Binder zu sonnen, sondern um zu zeigen, dass es möglich ist, und hierfür bin ich nur ein bescheidenes Beispiel, Fehler die das Feuilleton begeht, auf Blogs zu vermeiden – Literaturkritik besser zu machen. Um zu zeigen, dass es Anerkennung aus dem Literaturbetrieb gibt, wenn unsere Arbeit wahrgenommen wird.

Dies möge eine Ermutigung für alle Literaturblogger sein – keep up the good work!

*Ganz unwissenschaftlich habe ich einzelne ausgelassene Wörter und Stellen nicht markiert. Alle anderen größeren Auslassungen sind durch […] gekennzeichnet.
** Ich danke Klaus Binder, dass ich Teile seiner Email veröffentlichen darf.

Kategorien Allgemein Diverses Feuilleton Gespräche

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

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