Ganz so neu sind diese “Blogstöckchen” nicht und doch liegt dieses bei mir seit drei Monaten auf der Ablage. Diese kurzen Fragebogen sind so etwas wie Biernominierungen im Facebook, nur ohne Bestrafung bei Verzug, ohne Bier und ohne Facebook. Norman von den Notizheften hat mich “nominiert” und ich antworte heute nun endlich in gebotener Form.
Welches Buch liest Du momentan?
Zuletzt stand ich bei Erscheinen eines neuen Harry Potter Bandes vor verschlossenen Türen einer Buchhandlung, um am Tag des Erscheinens ein Buch sobald als möglich lesen zu können. Heute aber habe ich mir den zweiten Band der Tagebücher von Fritz J. Raddatz gekauft. Eine Schlange gab es keine, obwohl dieses Buch, wie auch Band I, eine so spannende, wie emotionale Lektüre bietet. Der große Feuilletonist, der Lebemann, der Intellektuelle, der Beobachter, der Mann – Raddatz hat so viele Facetten und jede berührt einen auf unterschiedliche Weise, aber immer nachhaltig
Warum liest Du das Buch? Was magst Du daran?
Die Tagebücher sind, bereits ab einem gewissen Punkt des ersten Bandes, (auch) für die Veröffentlichung geschrieben und trotzdem oder gerade deswegen nimmt sich Raddatz nicht zurück zu kritisieren, zu polemisieren und andere, auch Freunde, zu verletzen. Aber mit gleicher scharfer Feder und spitzer Zunge blickt FJR auch auf sich – eine von Grund auf ehrliche Lektüre.
Wurde Dir als Kind vorgelesen? Kannst Du Dich an eine der Geschichten erinnern?
Meine Mutter, seltener auch mein Vater, hat meiner Schwester und mir jeden Abend vor dem Einschlafen vorgelesen, tagsüber übernahm das meist die Kassette. Mehrfach habe ich Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer und Jim Knopf und die Wilde 13 konsumiert und bin mir sicher noch heute jede Stelle wiedererkennen zu können. Ebenfalls im Gedächtnis blieb mir die Kleine Hexe von Otfried Preußler. Der Räuber Hotzenplotz darf in der Aufzählung nicht fehlen, ebenso Das kleine Gespenst. Michael Endes Momo dagegen musste stets beim Auftritt der grauen Herren abgebrochen werden. Verpönt waren bei uns dagegen einige, wenige Astrid Lindgren Figuren: Karlsson vom Dach ging der gesamten Familie auf die Nerven, meine Mutter konnte Pippi Langstrumpf nicht ausstehen, lesen musste hier ausschließlich die Kassette. Lotta, Michel, Madita, die Kinder von Bullerbü und Ronja Räubertochter waren dagegen alle bei uns wohl gelitten, ebenso der von mir hochgeschätzte Kalle Blomquist. [Während ich dies schreibe, rufe ich meine Frau Mama an, was ihr noch einfällt und wir geraten ins Schwärmen.]
Janoschs Oh wie schön ist Panama, sowie Guten Tag kleines Schweinchen, aus dem meine Mutter sofort aus dem Stehgreif zitiert. Erwin Mosers Geschichten um Manuel und Didi, sein Sultan Mudschi. Für Petterson und Findus war ich dann fast schon zu groß, aber was meiner Schwester vorgelesen wurde, wurde eben auch mir vorgelesen.
Ganz früh begannen wir mit Der kleinen Raupe Nimmersatt und Helme Heines Der Hase mit der roten Nase, Die Perle, Die Abenteuer von Franz von Hahn, Johnny Mauser und dem dicken Waldemar. Die alle aber, in meiner Erinnerung, gegen Tante Nudel, Onkel Ruhe und Herr Schlau aus gleicher Feder abfallen, das mir wahrscheinlich an die 650 Mal vorgelesen werden musste.
Kein großes Gedächtnisgenie konnte ich doch mit vier schon Herr von Ribbeck auswendig, wir hatten eine illustrierte Fassung. Für die Verbannung von Pippi haben wir uns bei Mama mit Krähverbot für Kasimir gerächt, einem Buch, das sie nie ausstehen konnte. In der Aufzählung dürfen auch nicht fehlen: Die Wawuschels mit den grünen Haaren, Das gehört mir von Leo Lionni, Urmel aus dem Eis, Erich Kästners Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton und Das doppelte Lottchen.
By the way: Das erste “dicke” Buch, das ich alleine gelesen habe war Fünf Freunde und das Burgverlies von Enid Blyton, in der Ausgabe, die meine Mutter noch aus ihrer Kindheit hatte.
Gibt es einen Protagonisten oder eine Protagonistin, in den /die Du mal regelrecht verliebt warst?
Ich müsste lange nachdenken oder lügen. Wenn ich die Frage dahingehend abschwächen darf welche literarischen Figuren ich verehre, so fallen mir zumindest ein paar ein. Mit Paul Bäumer aus Im Westen nichts Neues habe ich gelitten, Jakob Fabian und Harry Haller haben mich in jungen Jahren schwer beschäftigt, ebenso die tiefe Freundschaft von Narziss und Goldmund. Mit Hans Schnier war ich zornig und enttäuscht und in letzter Zeit begeistert mich immer wieder Sancho Panza mit seiner Lebensfreude und seiner Bauernschläue.
In welchem Buch würdest Du gern leben wollen?
Hier gilt das gleiche wie oben. Zwar möchte ich in keiner Zuckerwattewelt leben, doch ist die aus den Büchern, die ich zumeist lese, zu konfliktbeladen, als dass ich gerne tauschen würde.
Ein Lieblingssatz aus einem Buch?
“Ich wähle meine Freunde nach ihrem guten Aussehen, meine Bekannten nach ihrem Charakter und meine Feinde nach ihrem Verstand.”
Oscar Wilde – Das Bildnis des Dorian Gray