Kommentare zu: Die Freiheit, Last und Unmöglichkeit „Ich” zu sagen – Ein Gespräch über das Schreiben zwischen Identitätsdiskursen und Buchmarkt https://www.54books.de/die-freiheit-last-und-unmoeglichkeit-ich-zu-sagen-ein-gespraech-ueber-das-schreiben-zwischen-identitaetsdiskursen-und-buchmarkt/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-freiheit-last-und-unmoeglichkeit-ich-zu-sagen-ein-gespraech-ueber-das-schreiben-zwischen-identitaetsdiskursen-und-buchmarkt FEUILLETON IM INTERNET Fri, 27 Dec 2019 16:21:58 +0000 hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.6 Von: juttareichelt https://www.54books.de/die-freiheit-last-und-unmoeglichkeit-ich-zu-sagen-ein-gespraech-ueber-das-schreiben-zwischen-identitaetsdiskursen-und-buchmarkt/#comment-7671 Wed, 16 Jan 2019 11:58:10 +0000 https://www.54books.de/?p=8026#comment-7671 sorry, im ersten Satz muss es natürlich heißen, “teilt” statt “wiedergebt” …

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Von: juttareichelt https://www.54books.de/die-freiheit-last-und-unmoeglichkeit-ich-zu-sagen-ein-gespraech-ueber-das-schreiben-zwischen-identitaetsdiskursen-und-buchmarkt/#comment-7670 Tue, 15 Jan 2019 16:57:22 +0000 https://www.54books.de/?p=8026#comment-7670 Für mich war bei eurem Gespräch nicht immer gut zu unterscheiden, wo ihr Positionen referiert und wo ihr sie wiedergebt – da sehe ich jetzt klarer.
Mir war auch vor deiner Erwiderung klar, dass ihr nicht ernsthaft für “Schreibverbote” plädiert, aber ihr bindet die mögliche Legitimation eines Textes an Autor*innen-Merkmale. Ich finde das nicht abwegig, ich finde auch, dass es solche Fälle gibt (für mich ohne jede Frage Texte, die von Auschwitz oder anderen Vernichtungslagern erzählen), aber ich würde es eben nur auf einen engen Kreis von Texten begrenzen und in der Regel dafür plädieren, dass es der Text ist, an dem sich alles entscheidet.
Vielleicht noch ein Gedanke: Ich halte es für einen Irrtum, dass wir Texten ohne weiteres ansehen können, ob und falls ja “wie sehr” sie autobiographisch sie sind, wie sehr Autor*innen sie durch eigene Erfahrungen beglaubigen können. Jonathan Franzen hat das als schönes Paradox formuliert: “Je größer der autobiographische Gehalt im Leben eines Schriftstellers, desto geringer die oberflächliche Ähnlichkeit mit seinem Leben.” Ich habe das in meinem Schreiben sehr bestätigt gefunden …
Vielen Dank auch von mir sowohl für deine Erläuterungen/Klarstellungen aber auch nochmals für dieses wirklich sehr anregende Gespräch!

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Von: Simon Sahner https://www.54books.de/die-freiheit-last-und-unmoeglichkeit-ich-zu-sagen-ein-gespraech-ueber-das-schreiben-zwischen-identitaetsdiskursen-und-buchmarkt/#comment-7668 Tue, 15 Jan 2019 15:26:18 +0000 https://www.54books.de/?p=8026#comment-7668 Vielen vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, genau diese Art der Auseinandersetzung haben wir gehofft, zu erreichen, als wir das Gespräch geführt haben.

Es ist uns wichtig, klarzustellen, dass wir niemandem Schreibverbote aussprechen wollen, grundsätzlich darf natürlich jede*r über das schreiben, was ihr*ihm am Herzen liegt, ob das die eigene Geschichte ist oder eine andere. Ich möchte auf Deine Abschnitte einzeln eingehen, damit das übersichtlich bleibt:

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe, aber falls ja, dann würde ich sagen, dass man Billers These in jedem Fall diskutieren kann, warum sollte Stanisic nicht über die Uckermark schreiben? Sollte das nicht deutlich geworden sein, möchte ich das hier, betonen, wir sind – ich denke, ich kann da für Berit und Asal mitsprechen – in jedem Fall der Meinung, dass Stanisic auch über die Uckermark schreiben kann! Und natürlich soll man sich beim Schreiben in andere hineinversetzen, aber es ist auf der anderen Seite immer eine Frage, wer sich in wen hineinversetzt. Um ins Extrem zu gehen: Bin ich als weißer Mann aus einer deutschen Mittelstandsfamilie aus lauter studierten Lehrer*innen in der Lage die Geschichte einer jungen weiblichen PoC zu erzählen, die als Geflüchtete nach Deutschland kommt? Warum sollte ausgerechnet ich diese Geschichte erzählen? Warum nicht eine Person, die in dieser Situation ist. Hier sehe ich durchaus eine problematische Machtgeste. In anderen Situationen, ist diese Aneignung weniger problematisch, auch wenn es eine Machtgeste bleibt. Es ist ein aushandeln dieser Situation innerhalb der Gesellschaft und der historischen Situation, in der ein Text entsteht.

Dieses Beispiel, das Du gibst, halte ich für ein sehr gutes, um zu zeigen, warum diese Perspektive weniger problematisch ist. In der aktuellen Situation, in der wir uns in Bezug auf Gender befinden, ist es weniger problematisch, wenn eine Frau, die Perspektive eines Mannes einnimmt als umgekehrt, gleichzeitig wäre es weniger problematisch, als Mann die Perspektive einer Frau, aus demselben Umfeld einzunehmen als die einer weniger privilegierten. Es darf kein Schreibverbot geben, aber es darf eine Aushandlung und eine Diskussion geben, wer welche Perspektive einnehmen sollte.

Dem dritten Punkt stimme ich vollkommen zu, es geht immer auch um die konkrete Situation und genau darauf wollten wir hinweisen. Andere Perspektive sind je nachdem um welche es sich handelt sehr sensible Felder, auf denen man sich bewegen können muss – gerade wenn es um solche Bereiche wie den Roman von Takis Würger geht oder um die von Dir angesprochene Schilderung einer Vergewaltigung und auch da, natürlich darf ein Mann eine Vergewaltigung thematisieren, aber die Frage ist wie, in welchem Kontext, in welcher Sprache, in welcher Erzählform und so weiter.

Das alles unter dem großen Credo, dass ein Schreibverbot nicht geben darf, eine Frage, wie mit verschiedenen Aneignungen von Geschichten umzugehen ist, aber geben muss.

Ich hoffe, ich konnte, im Namen von uns dreien, unsere generelle Sichtweise (bei allen Unterschieden unserer Perspektiven) deutlich machen.

Nochmal vielen Dank für Deinen Kommentar!

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Von: juttareichelt https://www.54books.de/die-freiheit-last-und-unmoeglichkeit-ich-zu-sagen-ein-gespraech-ueber-das-schreiben-zwischen-identitaetsdiskursen-und-buchmarkt/#comment-7666 Tue, 15 Jan 2019 08:58:32 +0000 https://www.54books.de/?p=8026#comment-7666 Ich habe gestern dieses Gespräch mit großem Interesse gelesen, es beschäftigt mich weiter – dafür erstmal herzlichen Dank! Davon unabhängig bin ich über vieles darin gestolpert, bin ich in vielem anderer Meinung.

Zum Beispiel kommt es mir ein bisschen seltsam vor, die These Max Billers über Stanisics „Fest“ ernsthaft zu diskutieren, er habe keine Ahnung von der Uckermark und solle über seinen „Bürgerkriegshintergrund“ schreiben. Überhaupt stört mich die Selbstverständlichkeit, mit der ihr über „Schreibverbote“ diskutiert, also darüber, wer legitimerweise noch über welche Themen oder Personen/Figuren schreiben dürfe. Es sei immer eine Machtgeste, aus dem Blickwinkel einer anderen Person zu schreiben: „man eignet sich die Gedanken, Emotionen und die Sprache eines anderen Menschen an und äußert gleichzeitig, dass man in der Lage sei, diese adäquat wiederzugeben“. Aber genau darum geht es doch, wenn wir schreiben, wenn wir erfinden – dass wir uns vorstellen, wie es wäre, jemand anderes zu sein. Und wenn es uns gelingt, ermöglichen wir wiederum auch genau das unseren Leser*innen: In die Köpfe anderer schauen zu können.

Mich stört auch, dass der Eindruck entsteht, es sei immer eindeutig und klar zu bestimmen, wer oder was „anders“ ist. Ich habe vor Jahren für einen Wettbewerb zum Thema „Spielsucht“ geschrieben, aus der Perspektive eines Mannes. Ich bin eine Frau und ich habe keine Erfahrung mit Spielsucht, aber ich hatte dennoch aus Gründen, die hier unerheblich sind das Gefühl, ich schreibe da über etwas Eigenes, über etwas, womit ich mich auskenne. Frauen und Männer leben doch nicht in jeder Hinsicht auf unterschiedlichen Planeten. Es gibt Männer, denen ich mich in Teilen meines Erlebens ähnlicher fühle, als manchen Frauen. Darf ich über diese Männer schreiben, über die anderen aber nicht? Oder darf ich als Frau über Männer schreiben, aber Männer nicht mehr über Frauen? Zementieren wir damit nicht die Unterschiede, die wir doch eigentlich überwinden wollen?

Ich sehe jedenfalls nicht, wie sich das in eine allgemeinen Regel formulieren lässt: Gelten die „Schreibverbote“ nur für die Ich-Perspektive oder für das gesamte Personal eines Romans? Darf man für Nebenfiguren eine Ausnahme machen? Ich glaube, es ist wie fast immer und wir müssen uns die Mühe machen, über konkrete Texte zu reden. Gerade wird ja viel unter genau diesem Aspekt über Tarek Würgers „Stella“ geschrieben und nach allem, was ich gelesen habe, könnte das ein gutes Beispiel dafür sein, dass jemand sich eine Erzählposition angemaßt hat, die er nicht legitim einnehmen kann. Aber das lässt sich eben am konkreten Text nachweisen, an seiner mangelnden Komplexität usw.
Mir begegnen auch in Schreibwerkstätten manchmal Texte, bei denen ich in ähnlicher Weise finde, dass es so nicht geht: so unbedacht, so einfach mal drauflos geschrieben, voller Klischees, ohne eigene Erfahrung oder Recherche – obwohl es um etwas Gravierendes geht, wie z. B. eine Vergewaltigung.

Ich bin unbedingt dafür, dass wir uns selbst und andere dazu befragen, ob es eine gute Idee ist, ob wir das Recht haben, eine bestimmte Geschichten zu erzählen. Aber ich halte es für keine gute Idee, die Antwort darauf von äußeren Merkmalen (dem Geschlecht, dem Kontostand, der Krankenakte oder der Nationalität) abhängig zu machen. Und dann, auch diese wunderbare Möglichkeit eröffnet uns Literatur ja immer, haben wir ja die Möglichkeit, über unsere Lektüren zu diskutieren, uns auszutauschen. So, wie jetzt …

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Von: slowtiger (@slowtiger) https://www.54books.de/die-freiheit-last-und-unmoeglichkeit-ich-zu-sagen-ein-gespraech-ueber-das-schreiben-zwischen-identitaetsdiskursen-und-buchmarkt/#comment-7663 Sat, 12 Jan 2019 12:23:48 +0000 https://www.54books.de/?p=8026#comment-7663 – “was weiße Mittelstandsmänner dann aktuell noch schreiben können” – na, was anderes zB? Ich bin 1962 geboren, und meine Kindheit bestand durchaus nicht aus dem, was da in gleich mehreren Büchern gefeiert wird. Mit Arbeiterhaushaltshintergrund wird schon die Stoffauswahl eine andere. Und selbst eine durchschnittliche deutsche noch-nicht-multikulturelle Stadt kann ein spannendes Buch liefern – muß man eben schreiben können. (und verlegt werden, das bitte überall dazudenken.)

– “das Paradigma, nur darüber zu schreiben, was man kennt” – schränkt also den Gesprächsgegenstand schon ein, es geht also nicht um Genrefiktion wie SF, Fantasy, Krimi, auch nicht um literarisch überhöhte Gegenwart. Was bleibt denn dann, und wie wollen wirs nennen? Dokufiktion?

– Das Problem, anderer Menschen Geschichten zu erzählen, vor allem, wenn es Leidensgeschichten sind: ich tus einfach nicht, würde mich dabei unwohl fühlen, ginge höchstens, wenn direkt beauftragt. Ansonsten ist das aber legitimer Stoff seit Menschengedenken, diskussionswürdig wären Identifizierbarkeit (durch biografische Nähe, Entschlüsselung), Wahrhaftigkeit/Wahrheit, Umformung, Marketinggründe, politische/andere Agenda, … und obs ein gutes Buch ist.

– Das Problem, die eigene Geschichte zu erzählen: wie geht man mit den darin verstrickten anderen Menschen um? Juristisch sicher wäre nur eine posthume Veröffentlichung 70 Jahre nach dem Tod der letzten vorkommenden Person.

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