Moritz von Uslar ist nach der Lektüre von Anna Karenina völlig aus dem Häuschen, Madame Bovary und Tolstoi wurden erst kürzlich neuübersetzt und stehen zusammen mit der Schullektüre Effi Briest in jeder Buchhandlung. Die namensstiftenden Damen dieser drei Großklassiker faszinieren bis heute Leser und Literaturwissenschaft. Die Älteste (Emma Bovary) bricht bereits seit 150 Jahren die Ehe mit Charles mit zwei verschiedenen Männern, die Jüngste (Effi) unterhält immerhin seit über 100 Jahren ein sehr kurzes Techtelmechtel mit Herrn Crampas, der dafür sein Leben lässt. Anno 2014 ist der Ehebruch, lange von einer Strafbewehrung befreit, gesellschaftlich, wenn auch nicht unbedingt gern gesehen, doch weitgehend als Standardphänomen der zwischenmenschlichen Beziehung akzeptiert. Wie aber kommt es dann, dass diese großen Romane trotzdem nichts verloren haben von ihrer Kraft und Faszination?, fragt daher Wolfgang Matz, Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Lektor bei Hanser und analysiert dies furios in Die Kunst des Ehebruchs auf 300 unterhaltsamen Seiten.
Das vorliegende Buch ist keine Geschichte des Ehebruchs in der Literatur und von jedem Anspruch auf Vollständigkeit in diesem Sinne weit entfernt. Sein Ziel ist es, die drei kanonischen Bücher des neunzehten Jahrhunderts, die den Ehebruch zu Kunst gemacht haben, sprechen zu lassen; zu fragen, was man eigentlich alles wissen kann von einem Roman, wenn der Leser nur nah genug herantritt.
Matz zerlegt die Romane in ihre Einzelteile, die Frauen, die Ehemänner und die Liebhaber und fügt am Ende alles wieder zusammen, er betrachtet jedes Buch und jede seiner Figuren für sich und stellt an den entscheidenden Punkten diese wieder gegenüber. Die Bücher selbst erschließt er sich vor allem über deren Lektüre und bleibt bei deren Analyse nah am Text, nur wenige Sekundärquellen zieht er heran und stellt so, sollte die eigene Lektüre der Werke länger zurückliegen, verloren geglaubte Szene wieder her.*
Matz ist trotz aller Begeisterung, die aus jeder Zeile dieser Studie spricht, ein ehrlicher Kritiker. So wird Fontane für stellenweise schlechten Stil und einen durchsichtigen Aufbau mit “mäßiger Problemstellung” gescholten, spricht gar von einem “ganz missglücktem Schluss”, den heute jeder Lektor steichen müsste. Matz selber schreibt “dabei so leichthändig, klar und ohne akademische Klingeltöne, dass man fast meint, es würden von ihm die Geschichten einfach nur nacherzählt”, lobt Jürgen Kaube zurecht in der FAZ.
Die Kunst des Ehebruchs bleibt aber nicht bei den drei großen Romanen stehen, auch Elementarteilchen und Ausweitung der Kampfzone von Michel Houellebecq oder Alles über Sally von Arno Geiger werden in die Analyse einbezogen. Matz demonstriert so nicht nur die große Bandbreite seines Literaturwissens über Epochen hinweg, sondern schafft durch die Betrachtung der Liebe, Ehe und des Verrats in der modernen Zeit und ihrer Literatur eine vollständige Betrachtung des Sujets.
Matz’ Buch ist kein Lektüreschlüssel oder eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern taugt selber zur Unterhaltung, diese aber mit literaturwissenschaftlichem Anspruch und als Schlüssel zur Lektüre dreier großer Romane der Weltliteratur. Und irgendwo ist Matz dann doch einfach auch ein großer Fan, der andere mit seiner Begeisterung ansteckt. Madame Bovary will ich schon lange ein zweites Mal, diesmal in der auch von Matz hochgelobten Übersetzung von Elisabeth Edl, lesen, Effi Briest müsste ich endlich das erste Mal lesen und vielleicht kommt bald ein Urlaub, in dem ich genug Zeit für eine Re-Lektüre von Anna Karenina habe. Die ungebrochene Aufmerksamkeit haben sich, da sind sich Wolfgang Matz und die meisten anderen einig, diese drei großen Klassiker redlich verdient.
* Selbst ohne die besprochenen Bücher vorher gelesen zu haben, kann sich Die Kunst des Ehebruchs lohnen. Das Grundgerüst der Bücher dürfte jedem, zumindest vage, bekannt sei, alle darüberhinaus notwendigen Details liefert Matz nach.