Vielleicht hilft mir, meiner steigenden Unruhe (Angst) das Schreiben in einer Kladde. Die Unruhe betrifft etwas sehr Wichtiges und etwas Läppisches.
Finis stand am Schluss des zweiten Bandes der Tagebücher und auch in Interviews hatte Fritz Joachim Raddatz immer wieder betont, dass dieser Abschnitt seines Lebens, der als Tagebuchschreiber, nun ende. Die Sammlung erschien Anfang 2014 knapp ein Jahr vor seinem Tod. Im Herbst desselben Jahres verabschiedete er sich in der Welt vom Journalismus und nimmt im Geheimen das Tagebuchschreiben wieder auf. Denn Fritz J. Raddatz hatte einen Plan. Die Tagebuchnotate, nicht nur die, die nach seinem Tod in der ZEIT erschienen, sondern bereits denen, die bis Ende 2012 reichen, sind ein bekümmertes Abschiednehmen und zugleich ein Hoch auf die Schönheiten des Lebens.
Ich bin leergelebt. Nur noch eine Hülse.
Der zweite Band der Tagebücher (2002-2012) wurde ebenso kontrovers aufgenommen wie der erste (1982-2001). Ein wehmütiger alter Mann kreise um sich selbst – als täten das nicht alle Tagebuchschreiber, als ginge es um etwas anderes als das Insichhineinhorchen – liefe und weine dem eigenen, vergangenen Ruhm hinterher. Aber es ist doch vielmehr die Chronik eines Abschieds. Immer wieder hatte Raddatz nicht nur in den persönlichen Aufzeichnungen, sondern auch öffentlich von und über Sterbehilfe gesprochen. Wer sollte es einem Menschen, einem so eitlem wie FJR noch dazu, verdenken, dass er erhobenen Hauptes aus dem Leben treten will. In den Tagebüchern hat er sein Sterben dokumentiert, das soviel mehr ist und länger dauert als nur final eine bemessene Dosis Gift zu sich zu nehmen.
Tief bewegt liest man dann – und kennt bereits das Ende – welche Qualen es dem eigentlich so Entschlossenen trotz allem bereitet. Eine gräßliche Vorstellung sich bei klarem Bewusstsein von Partner und Freunden zu verabschieden, die meist, unwissend weiter Pläne schmieden, Urlaube buchen, Einkäufe erledigen. Selbst der Lebensgefährte wurde so lange wie möglich im Unklaren gelassen. Absurd: Dinge, seien sie noch so profan, ein letztes Mal zu tun. Obwohl es doch immer ein Zurück gäbe, zumindest seinen braunen Saft nicht auszutrinken, stattdessen auf die natürliche Frist zu warten.
Am 26. Februar 2015 stirbt Fritz J. Raddatz in der Schweiz, einem lange vorher gefassten Plan folgend. Am nächsten Tag, posthum, perfekte Regie, erscheint sein neues Buch: Jahre mit Ledig, eine Liebeserklärung an einen seiner großen Förderer Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Viele Anekdoten kennt der Tagebuch- und Unruhestifter-Leser bereits, aber nicht minder unterhaltsam als in den Vorwerken werden sie hier in einem wunderschönen, grünen Leinenbuch präsentiert. Blumig rauschend, elegisch schildert Raddatz wie eh und je, lobt sich und andere und nimmt mit in eine ferne Zeit im Nachkriegsdeutschland als das Büchermachen noch ein Abenteuer und Verleger noch Halunken und Schlitzohre waren.
Einer der Nachfolger Heinrich Maria Ledig-Rowohlts, ein später enger Freund, des Autors erhielt die oben zitierten Tagebucheintragungen und einen Abschiedsbrief und veröffentlichte sie kurz nach dem Tod. Immer wieder hatte Alexander Fest Raddatz gebeten erhalten zu bleiben, er könne kein Nachlassen der Kraft erkennen, körperlich nicht, geistig nicht. Schon richtig, sagte Raddatz, aber für den Schritt, den er tun müsse, brauche man ja auch Kraft. Große sogar.
Fritz J. Raddatz
Jahre mit Ledig: Eine Erinnerung
Rowohlt
Leinen, 160 Seiten
978-3498057985
Fritz J. Raddatz
Tagebücher 2002-2012
Rowohlt
gebunden, 720 Seiten
978-3498057978
Kurz vor seinem Tod habe ich Fritz J. Raddatz einen Brief geschrieben, dieser ist hier abrufbar.