Herr Mangold und ich – oder: Der Bildungsbürger liest Unterhaltungsliteratur

Den Artikel aus der Zeit von letzter Woche habe ich mir extra aufgehoben und sehnsüchtig gewartet bis er online erscheint, damit ich ihn hier verlinken kann. Ijoma Mangold gibt einen sehr interessanten Einblick in die Sicht des Feuilletonredakteurs auf Unterhaltungsliteratur.

Ich habe noch nie Dan Brown gelesen. Ich ging davon aus, dass ich literarisch nichts verpasse. Doch will man gern wissen, wie ein Roman beschaffen sein muss, der die Leute weltweit zu Leseratten mutieren lässt. Meine Vermutung bislang: Was sich so gut verkauft, muss Trash sein. Sie können, liebe Leser, mir gerne empörte Leserbriefe schreiben, weil Sie das für arrogant halten, aber ich sage Ihnen: Meistens liegt man mit dieser Arbeitshypothese richtig.

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Also las ich meinen ersten Dan Brown. Und ich muss sagen: Ich habe mich von der ersten Seite an bestens amüsiert. Natürlich unter meinem Niveau, aber das ist nur eine Feststellung, kein Einwand. Und ich habe begriffen, warum diese Genre-Bücher so dick sein müssen: In der Zeit, in der man eine Handke-Seite liest, hat man acht Dan-Brown-Seiten gelesen. Und mir hat das Sujet von Inferno sofort gefallen. Ich würde mich ja tatsächlich am liebsten jeden Tag mit Dantes Göttlicher Komödie beschäftigen, da kommt Inferno gerade richtig, denn es ist eine leidenschaftliche Dante-Paraphrase.

 

Überhaupt: Dieser Inbegriff eines Massenerfolgs von U-Literatur betreibt einen bildungsbürgerlichen Klassiker-Kult, wie er in der E-Literatur so inbrünstig kaum mehr denkbar ist. Als hätte der Kanon, nachdem die Moderne mit ihm kurzen Prozess gemacht hat, in der Unterhaltungsliteratur Asyl erbeten. Die Hingabe, mit der Dan Brown die Namen von Dante, Botticelli, Brunelleschi oder Boccaccio buchstabiert, spricht dafür, dass es dort draußen, wo die großen Buchumsätze gemacht werden, eine gewaltige bildungsbürgerliche Sehnsucht gibt. Während einen also der Erfolg von Paulo Coelhos verlogenen Sinnstiftungsplattitüden an der Welt irre werden lässt, lehnt man sich bei Dan Brown entspannt zurück und denkt sich: Der Untergang des Abendlands sieht anders aus.

Ausdrücke wie “Coelhos verlogene Sinnstiftungsplattitüden” fassen endlich das in Worte, wofür ich seit Jahren welche suche. Der Artikel ist aber deswegen so gut, weil er grundehrlich ist. Mangold gibt zu eigentlich Verachtung für Unterhaltungsliteratur übrig zu haben, besitzt aber Mut genug zuzugeben, dass ihm Inferno gefallen hat, analysiert treffend den Reiz, den Dan Browns Romane auch auf Leser anspruchsvoller Literatur ausübt und durchbricht damit die Arroganz des Lesers ernster Literatur, die wohl auch dem Schreiber eines Blogs dieses Genres nicht abgeht. Demaskiert und demütig gebe ich zu, Ijoma schreibt auch über mich.

Den Artikel als Pflichtlektüre gibt es hier.

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Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

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