Ich werde niemals schön genug sein, um mit dir schön sein zu können

I don’t have meaningful relationships
I don’t have romantic relationships
I read a lot of depressing books

Ohne Vorwissen lese ich diese Gedichte. Unvoreingenommen, unbeeinflusst von einem Hype, den es um die Autorin Mira Gonzalez angeblich gibt. Fast plump, dabei ist es wohl das Gegenteil, habe ich mir das Buch aufgrund des träumerisch, selbstmitleidigem Titels Ich werde niemals schön genug sein, um mit dir schön sein zu können bestellt und zuerst nur sacht hineingelesen.

Gonzales_24940_MR1.inddIn einer auffälligen Ich-Bezogenheit schreibt die junge Autorin Gonzalez über Drogen, Sex, Pornos und Parties. Immer wieder wird die eigene Verletzlichkeit analysiert und beschworen, dazu werden mantraartig eigene Schwächen betont und herausgearbeitet. Klingt alles sehr bekannt. Das Beklagen über den immer wiederkehrenden Egozentrismus der jungen Autoren ändert aber deren Schreiben nicht. Man sollte lieber akzeptieren, dass eine solche Strömung momentan die Hauptströmung, vulgo der Mainstream, der Literatur von, man entschuldige, aber so ist der Eindruck, hauptsächlich jungen Autorinnen ist.

Zwischen den Gedichten befinden sich viele, die nicht so zu zünden vermögen wie etwa Ohne Titel 5

I am looking at people who are dancing and touching each other
I am drinking vodka with ice and feeling incredibly fucked
I wonder if anyone feels more lonely now than they felt an hour ago
when they were alone in their rooms looking at things on the internet

sondern vielmehr nur eine Variation der selben, plattgetretenen Tweets der Internetpeople sein könnten.

Doch immer wieder lauern in den Zeilen, zwischen Sex und Mira selbst und Drogen, kleine Schönheiten der Beobachtungsgabe, die eben doch, gegen alles Unken, den Zeitgeist sehr genau treffen und einen Einblick in die große und kleine bis zur 2-Mann/Frau-Gesellschaft geben. Manche Gedichte stechen auf diese Weise an dem Meer der Einheitsliteratur intelligenter, junger Frauen heraus, wie Gonzalez‘ Stephen in dem Gedicht Weltlicher Humanist, der sich wie ein Sandkorn fühlt, aber doch ein (wenn auch, Anm. d. Verf.) sehr kleines Stück Muschelschale von einer Muschel, die vor 10 Jahren gestorben ist. Liest man intensiv, muss man die Redundanzen überblättern, kann aber große Freude mit und an Mira haben, außerdem sind immer mal wieder diese winzigen Muschelstücke zu finden. Schon der Titel der Sammlung ist in seiner Schönheit fast allein die 16,90 € wert.

Die Veröffentlichung im Hanser Verlag scheint eine Bestätigung des neuen, eigenen Anspruchs, der mit Jo Lendle einzogen ist. Ob aber Mira Gonzalez wirklich der „Star der jungen amerikanischen Literaturszene“ ist, als der sie im Klappentext propagiert wird, muss sich erst noch herausstellen. Das Potenzial ist aber erkennbar.

Kategorien Allgemein Rezensionen

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.