Er kann es noch
Als Mensch meiner Generation konnte man sich kaum dagegen wehren mit Nick Hornby aufzuwachsen. High Fidelity war Pflicht für herzkranke, musikverliebte Pubertierende, About a boy in den Klassen unter mir sogar Schullektüre in Englisch und How to be good stand lange auf der Liste meiner Lieblingsbücher. Bäume ausgerissen hat Nick Hornby nach diesen drei Großen nicht mehr: Slam und Juliet, naked waren solide, A long way down etwas darüber. Statt Romane hat der glatzerte Nick in letzter Zeit mehr Drehbücher, Songs und Kolumnen geschrieben, fünf Jahre nach seinem letzten Roman erschien nun aber, pünktlich zum Weihnachtsverkauf, Funny Girl zu deutsch Miss Blackpool.
Eben diesen Titel hat die junge Barbara in ihrer Heimatstadt gerade erlangt, doch schlägt sie ihn, kurz bevor sie das Treppchen besteigt und vom Bürgermeister gekröhnt wird, schon wieder aus. Sie will nach London und Komikerin werden, sie will ins Fernsehn, sie will nicht als Hausfrau und Mutter, der Kinder irgendeines Möbelhändlers in der Provinz, enden. Im London der frühen Sixties arbeitet Barbara aber zunächst in einem Supermarkt und versucht unbeholfen Männer kennenzulernen und hofft auf die Entdeckung durch einen Agenten, der ihr zu einer TV-Rolle und großem Ruhm verhilft. Doch bald muss sie einsehen, dass man nichts geschenkt bekommt, gerade nicht als Frau, und sie nimmt ihr Leben selbst in die Hand. Statt sich in die Schmuddelecke abschieben zu lassen, denn Sophie, wie sie sich inzwischen nennt, ist von durch aussehnlicher Gestalt, bemüht sie sich um Rollen als Schauspielerin und wird tatsächlich für die zu startende Comedyserie Barbara (and Jim) entdeckt, deren großer Star sie wird.
Das anfangs unbeholfene Mädchen lebt sich in London ein und gewöhnt sich an den Ruhm, der mit ihrer neuen Rolle einher geht, bleibt sich aber treu. Um sie herum sorgen der Produzent und die Autoren der Sendung für sie und führen sie in das Leben in der Großstadt ein, ähnlich wie auch der Hauptdarsteller der Sendung und eine Zeitungsreporterin. Doch, dass Erfolg, Ruhm und Ehre einer einzelnen Sendung ewig halten, ist selten und es gibt Veränderungen im Fernsehverhalten des Publikums, an die sich Barbara (and Jim) anpassen müssen. Vor allem bleiben Barbara und Jim keine fiktiven Figuren mehr, als sich Sophie (vormals und jetzt Barbara) mit Clive (Jim) verlobt.
Eine Hochzeit würde Zeitungen und Zeitschriften glücklich machen, das wusste sie, aber der überwältigende Druck, den Leuten zu geben, was sie haben wollten, kam von innen. Mit einem ganz kleinen Zugeständnis konnte sie alles zusammenbringen, Barbara und Jim, Sophie und Clive, und womöglich würde es sogar ein Baby geben, das zu dem Baby passte, das sie im Fernsehen bekommen sollte.
Ein durchkomponierter Roman.
Nick Hornby kann es noch. Er zeichnet sympathische Figuren mit Abgründen, schreibt Romane zum Wegsnacken mit Tiefgang. In eine unterhaltsam zu lesende Geschichte flicht er geschickt Politik, Zeit- und Fernsehgeschichte ein. Die Nebenplots, um das Verhältnis der beiden Drehbuchautoren und ihr Umgang mit ihrer, einerseits durch eine Ehe kaschierte und andererseits später offen ausgelebten, Homosexualität in einer Zeit, in der diese noch mit Gefängnis bestraft wurde oder die heimliche Liebe des Produzenten zu Sophie und die Familiengeschichte Sophies greifen alle ineinander ohne konsturiert zu wirken.
Hornby schildert das Aufeinanderprallen von Provinz und Großstadtleben oder das was die kleine Miss Blackpool dafür hält. Und wenn Sophie die Bedenken ihres Vaters über die englische Politik äußert und sich als Kind des konservativen Hinterlandes outet, zeigt Hornby in unterhaltsamen Dialogen, dass er seinen Humor nicht verloren hat.
“Dürfen wir fragen, was dein Vater dagegen hat?”, fragte Dennis.
“Er findet, das Land geht vor die Hunde”, sagte Sophie.
[…] “Ihm missfällt die Zahlungsbilanz”, sagte Sophie.
“Die missfällt uns allen”, sagte Clive. “Aber für Tee und Kekse reicht es ja noch.”
“Und er macht sich Sorgen wegen der Farbigen.”
“Machen die in Blackpool so viel Ärger?”, fragte Bill.
“Neulich hat mir ein Farbiger hinterhergepfiffen”, sagte Sandra. “Ein Fensterputzer.”
“Ist ja ekelhaft”, sagte Bill. “Gleich zurückschicken. In der gesamten Geschichte des Fensterputzens hat kein weißer Mann jemals einer Frau hinterhergepfiffen.”
Miss Blackpool ist wunderbare Unterhaltung und neben der sympathischen Protagonistin, bereiteten mir am meisten die beiden Drehbuchautoren Bill und Tony Freude. Nicht nur der erwähnte Umgang mit der eigenen Homosexualität, sondern auch ihre Reflexionen über Sinn und Unsinn, Ziel und Möglichkeiten von Unterhaltungsfernsehen gekoppelt an die verschiedenen Lebensziele der beiden sind einfühlsam und unkonsturiert real, Hornby lässt nicht einfach Yes and No, Black or White, Straight and Gay aufeinanderprallen, sondern flicht die Geschichten in seine Geschichte ein. Ein durchkomponierter Roman.
Bill waren die Zuschauerzahlen früher sehr wichtig gewesen. Aber nach “Das neue Badezimmer” gierte er nach der Anerkennung der Leute, die im Leben nicht dabei erwischt werden wollten, eine beliebte BBC-Comedy zu gucken. Er wollte von den Leuten respektiert werden, die er in den unabhängigen Theatern sah, und von den Regisseuren der Kabaretts, die seine Sketche ablehnten. Er wollte die klugen, jungen Homosexuellen beeindrucken, die er in den Kunstclubs aufgabelte, und sogar die Fernsehkritiker, die die Sendung mal gemocht hatten, aber seit der ersten Staffel nicht mehr darüber schrieben. […] Bill empfand […] einen leichten Selbstekel.
100 Seiten zu lang
Bei allem Positiven kann man Hornby nur einen Fehler vorwerfen. Als Sophie auf der Höhe ihres Ruhms ist, beginnt sie zu zweifeln, ob dieser anhalten würde und was aus ihr ohne die Sendung würde. “Da hätte sie gern die Stopptaste gedrückt. Sie fürchtete sich bereits, nie glücklicher sein zu können als jetzt – letzten Montag – und dass es bereits vorbei war.”
Miss Blackpool ist leider circa 100 Seiten zu lang. Hornby hat den Druck auf die Stopptaste verpasst und reitet seinen Plot am Ende tot, steigt von ihm auch nicht ab, als dieser sich nicht mehr regt. Die Wiedervereinigungsszene am Ende, die man ohne zu spoilern verraten darf, erscheint in etwa so schief und falsch wie die Bahnhofsszene im letzten Harry Potter, wenn alle Kinder die Namen der vorher Verstorbenen tragen. Diesen Holzhammer hätte Miss Blackpool, ein durch und durch angenehmer Unterhaltungsroman auf gehobenem Niveau, nicht nötig gehabt.
Wie schrecklich war doch Bildung, wenn sie einen Geist hervorbrachte, der Unterhaltung verachtete, und damit auch alle Menschen, denen sie etwas wert war.