“Name. Tier. Beruf.“ – Berührend. Wahr. Großartig! @KareninaKoehler
— 54Books (@fiftyfourbooks) 28. Juli 2014
Hamburg ist auch ein Dorf, irgendwie. Denn trotz 1,8 Mio Einwohnern trifft man immer wieder “Bekannte”. So lernte ich bei einem Pub’n’Pub Stammtisch Daniel Beskos den Verleger des mairisch Verlages kennen. Nach dem offiziellen Teil tranken wir auf dem, natürlich – Hamburg ist eben ein Dorf – identischen Nachhauseweg, ein Freizeitgetränk und tauschten uns aus, von Alteingesessenem zu Neuhamburger. Ersterer erzählte mir u.a., dass seine Freundin im Sommer einen Band von Erzählungen bei Hanser herausbringen würde. Eben diese, Karen Köhler, wurde wenig später von Hubert Winkels zum Lesen anlässlich der Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt eingeladen. Die Tage der deutschsprachigen Literatur generieren zwar keine Mainstream-Berühmtheiten, aber bereits die Einladung schmückt die Vita des Gastes, mindestens der Sieger darf mit einem Umsatzplus rechnen.
Umso tragischer, dass Karen Köhler nicht anreisen konnte, Windpocken verhinderten das Lesen, wenn nicht das Kassieren des Preises inklusive Aufmerksamkeit. Denn mit ihrem Können hätte sie in die vorderste Reihe gehört, wie nun Wir haben Raketen geangelt eindrucksvoll beweist.
In Cowboy und Indianer freundet sich eine deutsche Touristin auf der Durchreise mit einem Indianer an, die beiden retten sich gegenseitig das Leben, pfeifen Enter Sandman und sie verarbeitet, das kunstvoll eingeflochtene Vergewaltigungstrauma ihrer Jugend. Polarkreis erzählt eine Trennungs- und Liebesgeschichte in kurzen Schnipseln und siebzehn Postkarten. Diese ersten beiden Geschichten, in meiner Ausgabe fehlt Il Comandante noch, weil für besagten Wettbewerb zurückgehalten, belegen bereits das Können der jungen Autorin.
Aber mit Name. Tier. Beruf. haut sie mich um. Die, in die Großstadt verschwundene, Jugendliebe Björn steht vor der Tür der Protagonistin. Sie ist im Dorf geblieben, arbeitet im Bioladen und fühlt sich als wolle er ihr nur vor Augen führen wie sehr er die Provinz der Heimat verabscheut, dass er es geschafft hat, raus aus dem Mief. Sie gerät in Rechtfertigungszwang, warum sie daheim blieb, warum sie nicht macht was alle machen – weggehen.
Ich glaube, du bist hergekommen, um deinen verfickten Preis zu feiern und uns zu zeigen, wie provinziell wir alle sind, und wie geil du bist, weil du es zu etwas gebracht hast.

Foto: © Julia Klug
Dass er eigentlich mit ihrer großen Schwester ging, sie aber ihn liebte und den Tod der Schwester bis heute nicht verkraftet, die Landflucht und der Spott über Hängengebliebene könnte zu einer ziemlichen Standardgeschichte verkommen. Karen Köhler vermag es jedoch Kleinigkeiten in die Szenen zu zaubern. In diesen liegt dann aber die Spannung der Erzählung, in den Details die Schönheit jeder ihrer – und besonders dieser – Geschichten.
Fast jede Erzählung kreist um das Verlassenwerden und doch nimmt jede andere Facetten auf. Die Auflösungen kommen überraschend ohne aufgesetzt zu sein. Man braucht etwas Atem und Geduld die Schönheit jeder Geschichte zu würdigen, muss sich auf kleine Experimente mit Text und Erzählformen einlassen. Einen Roman diesen Stils hätte ich vielleicht in Ungeduld nicht beendet, nun weiß ich, dass Karen Köhler Ausdauer belohnt. Auch ein umfangreicheres Werk würde ich nach dieser Leseerfahrung sofort kaufen und lesen, weiß ich doch nun wofür dieser Name steht: vielversprechende junge deutsche Literatur, die eines Bachmann-Preises würdig gewesen wäre.
Wer mit Il Comandante, dem für den Bachmannpreis vorgesehen Text, einen Leseeindruck von Karen Köhler bekommen möchte, kann das hier tun.