Es ist schon etwas her, dass ich das neuste Buch von Florian Illies gelesen habe und trotzdem bin ich noch nicht zu der Rezension von “1913” gekommen. Nicht unbedingt, weil das Buch mir nicht gefallen hätte – im Gegenteil, habe ich es doch innerhalb von zwei Tagen gelesen – sondern vielmehr, weil ich nicht genau weiß was ich darüber schreiben soll. Wer Illies kennt, nicht nur aus seinen Büchern, sondern auch aus seinen Beiträgen im Feuilleton der großen deutschen Tageszeitungen, weiß wie gefällig er schreibt. Dazu handelt es sich bei Florian I. um einen Autor, der eine erstaunliche Bandbreite abzudecken weiß: sein gefeiertes “Generation Golf”, sein launiges “Ortsgespräch”, die herrliche Charakterisierung seines Heimatdorfes Schlitz (bei mir zu Hause, direkt um die Ecke) oder eben jene Artikel zu gesellschaftlichen, kulturellen und zeitpolitischen Themen.
In “1913” arbeitet er nun also auch als (Quasi-)Historiker. Der Sommer des Jahrhunderts, nicht zu verwechseln mit etwaigen Sommermärchen 2006 oder anderen Jahrhundertsommern, sondern ein ganzes Jahr, das durch seine Charaktere, Entwicklungen und Ereignisse, die kommenden hundert Jahre prägte; und auch der Sommer vor dem “Weltenbrand”. Chronologisch von Januar bis Dezember 1913 treten alle, bekannten und weniger bekannten, Persönlichen des Jahres auf; zumeist beschränkt auf die westeuropäischen Metropolen Berlin, Wien, Prag und Paris: Proust, Benn, Lasker-Schüler, Rilke, Strawinsky, Kafka, Stalin, Hitler, Joyce, Freud und Musil und viele andere mehr.
In dem Buch gibt es nicht nur Highlights, sondern vielmehr das Alltägliche und Private, der Intellektuellen und Künstler des angehenden 20. Jahrhunderts zu entdecken. Dies ist aber auch der Knackpunkt des Buches, mag der eventuell am selben Tag von Kafka, Joyce und Musil eingenommene Kaffee eine nette Anekdote in der Geschichte sein, es bleibt der Genuss eines Heißgetränks, der die Welt nicht revolutioniert, nicht einmal auf irgendeine Weise verändert hat. Auf der anderen Seite liegt hier auch die Stärke, denn für den Bewunderer der handelnden Personen sind solche Anekdötchen eben die Stellen, die in einer klassischen Biographie fehlen, hier gibt es den klassischen “Menschen wie du und ich” zu entdecken und dass dieser nicht nur spannendes unternimmt, kennt jeder aus seinem eigenen Alltag.
Für Leute, die Spaß an diesen Personen und ihrer Zeit haben, die noch den ein oder anderen neuen Dichter, Denker, Künstler entdecken wollen, lohnt die Lektüre als Querschnitt durch eine hochinteressante Zeit, am Anfang eines die weltverändernden Jahres; ohne ein gewisses Vorwissen wird die Lektüre sicher etwas mühsam, da diese ohne Kenntnis der Handelnden, ihres Vor- und Nachwirkens nur durch paralleles Querlesen verständlich sein dürfte.