Manus zweite Rezension, die ich gerne erneut veröffentliche:
Henry Skrimshander ist nicht aufzuhalten. Der hagere Junge mit dem Alles-Fangenden Arm, Werfer der präzisesten Bälle, ist das größte Talent, welches Mike Schwartz je gesehen hat – und er ist immerhin Captain der Baseballmannschaft des Westish College am Lake Michigan! Durch seinen Einfluss und sein Engagement wird Henry schnurstracks für Mannschaft und College rekrutiert – und nicht nur das: Er persönlich kümmert sich um den Neuling, trainiert ihn, motiviert ihn, formt aus ihm einen Modelathleten. Mike und Henry werden beste Freunde, unzertrennlich.
Und die Mühe macht sich bezahlt – Westish gewinnt plötzlich Spiel um Spiel, Henry selber landet eine atemberaubende Serie und steht ganz oben auf der Liste der Baseball-Scouts – schon bald nehmen sie mit ihm Kontakt auf, sprechen über Probetrainings und sehr viel Geld.
Und dann das Unfassbare: Im Spiel, bei dem Henry den Serienrekord seines großes Idols brechen kann, geht ein Wurf auf fatale Weise daneben. Und Zweifel erwachen in ihm.
Szenenwechsel. Guert Affenlight wuselt in seinem Büro herum. Affenlight ist aufgeregt. Der Rektor des Westish-College hat viele Baustellen – seine verlorene Tochter Pella kommt nach Hause, flieht vor ihrem Noch-Ehemann David zurück zum notorischen Junggesellen-Papa in die malerische Provinz. Und Owen … Der nicht mehr junge Professor Affenlight hat sich über beide Ohren verliebt – in einen offen homosexuellen Schüler!
Zuletzt betritt Pella die Bühne, die jung mit dem dominanten David ein unüberlegtes Druchbrenn-Abenteuer hingelegt hatte, und sich nun, nach Depression und Ernüchterung, auf die Suche der verlorenen Jugend begibt. Wen sie findet, ist der an sich verzweifelnde Mike Schwartz.
Mein erster Eindruck war eine College-Geschichte um ein Sportass und dessen Best Buddy, der sich selbst vergisst, um einen Idealsportler zu erschaffen – woran er schließlich zugrunde geht.
Zumal auch überall von einem „Großen Sportroman“ gesprochen wurde…
Weit gefehlt. Nachdem das Figurentableau um Rektor Affenlight und Pella erweitert wurde, nimmt die Geschichte ganz andere Züge an. Harbach gelingt es, eine wunderbare Verknüpfung der unterschiedlichen Handlungsstränge zu erschaffen, die einen geradezu in Leserausch versetzen. Eben nicht einen Roman nur über Baseball!
Die zunächst erwartete, langweilig anmutende Story einer Underdog-Mannschaft, die dank Sport-Genius alles abräumt, ist dankenswerterweise einer tiefer gehenden Geschichte über das Scheitern, das Suchen und das Hoffen gewichen.
Im Grunde ist der Dreh und Angelpunkt der Ereignisse der verhunzte Wurf, bei dem Henry Owen trifft. Ab hier ändern sich die Vorzeichen, hier beginnt die Entwicklung der Handlungsfiguren. Affenlight erkennt seine Liebe, die Owen erwidert, und eine turbulente Affäre Lehrer-Schüler entbrennt. Pella findet den deprimierten und an allen Unis abgelehnten Mike perspektiv und sprachlos auf der Straße sitzen und nimmt sich seiner an. Henry macht auf einmal bei den einfachsten Würfen nie gekannte Fehler, findet keine Methode zu erklären, was mit ihm geschieht, kann nicht mal Mike um Hilfe bitten – und jeden Sonntag folgt ein weiteres, bald gefürchtetes Ligamatch.
Es geht in der Kunst des Feldspiels nicht um Sieg oder Niederlage. Harbach erklärt nie, warum Henry dieses eine mal so fatal falsch geworfen hat – muss er aber auch nicht.
Gerade die Entwicklung zeichnet das eindringliche Bild des Buches, gemalt in Farben wie Freundschaft, Toleranz, der Suche nach sich Selbst. Das Entstehen und Vergehen von Hoffnungen, das Erwachsenwerden.
Es geht auch um Sex, Affären, Homosexualität, zerbrochene und nie erwartete Träume. Um Melvilles Moby Dick. Und schließlich um – nunja – Baseball.