Longlistlesen: Das Sandkorn von Christoph Poschenrieder

Auch im zehnten Jahr des Deutschen Buchpreises wird diskutiert nach welchen Kritierien die zu prämierenden Bücher ausgewählt werden sollen. Mutige Kunst kauft keiner, die Bestseller sind selten große Literatur und man will doch auch noch die Verkaufszahlen der Branche ankurbeln. Unter diesen Voraussetzungen zwanzig Bücher für die Longlist zu finden, die irgendwo dazwischen changieren, dürfte nicht so richtig leicht sein.

sandkorn_cover1915 läuft ein junger Mann scheinbar ziellos durch Berlin und verteilt Sand aus kleinen Säckchen auf der Straße. Kurios aber nicht gefährlich, vielleicht ein bisschen verrückt aber nicht kriminell, trotzdem, schließlich herrscht Krieg, nimmt die Polizei ihn mit. Der altgediente und erfahrene Polizist Treptow vernimmt den Kunsthistoriker, der sehr offen Auskunft gibt, ohne dass man ihm überhaupt etwas konkret zur Last legen könnte. Seine Erzählung findet auf drei Ebenen statt: die Geschichte wie sie sich wirklich zutrug, inklusive Gefühlsschilderungen und Einsichten in das Denken des verhörten Jacob Tolmeyn, dazwischen die Version, die er dem Polizisten erzählt und dessen Notizen darüber.

Jacob Tolmeyn ist feinsinniger Kunsthistoriker und aus Berlin nach Rom geflohen, weil er von einem ehemaligem Liebhaber erpresst wurde. Erpressbar wurde er durch seine Homosexualität, die im Kaiserreich strafrechtlich verfolgt wurde. In Italien geht er im Namen eben jenes Kaisers auf Reisen den Spuren Friedrichs II. zu folgen. Nicht aber der preußisch-eiserne Alte Fritz ist Grund für das Forschungsinteresse, sondern Friedrich II., der Staufer: der Gründer von Universitäten, der Falkner, der Schriftsteller, der Kaiser im Zentrum von Wissenschaft und Kunst im dunklen Mittelalter, Friedrich stupor mundi.

Trotz fachwissenschaftlicher Anstrengungen, Friedrich zu historisieren, lebt der Mythos besonders in Apulien und Sizilien bis heute fort und wird wirtschaftlich vermarktet. Friedrich gilt wohl deshalb als Identifikationsfigur, weil unter ihm Apulien eine gewichtige politische Rolle spielte und seine Bauten, insbesondere das Castel del Monte, als Ausdruck eines „goldenen Zeitalters“ betrachtet werden.

220px-Frederick_II_and_eagleSo schreibt Hubert Houben in seiner Biographie Friedrichs “Herrscher, Mensch, Mythos” über das Bild des Staufers in Italien. Tolmeyn will gerade gegen diese Mythisierung vorgehen, die Geschichte auf wissenschaftlich nachprüfbare Fakten stellen. Bereits zu Beginn seiner Reise nimmt er daher der Stadt Andria in Apulien fast ihre Hauptsehenswürdigkeit, das Grab zweier Frauen des Kaisers. Doch die findigen Italiener wissen Tolmeyns Zweifel in Werbung umzugestalten. Die kritischen Analysen des Wissenschaftlers werden überall in Italien auf Skepsis stoßen, doch mit Feuereifer forscht Tolmeyn weiter.

Begleitet wird er dabei von seinem Assistenten dem Schweizer Beat Imboden. Nach anfänglichem Unmut über die aufgezwungene Hilfe freunden die Beiden sich an. Auf der teils beschwerlichen Reise kommt man sich in einfachen Gaststätten und bei den Feldstudien näher, Jacob verliebt sich. Doch durch den begonnen ersten Weltkrieg wird deutsch-preußische Forschung in Italien nicht mehr tragbar. Außerdem hängen die Kriegserlebnisse von Beat und das letzte finale Aufeinandertreffen von Jacob mit seinem Erpresser bleiern über der Reisegemeinschaft, der zudem noch eine resolute Italienerin als Aufseherin beigestellt wurde, die die Annäherungen von Jacob an Beat unmöglich macht. Eine letzte gemeinsame Station machen die drei im Castel del Monte, bis Jacob zurück nach Berlin beordert wird und nach dem wunderlichen Ausstreuen seiner Mitbringsel aus Italien bei der Polizei landet.

Auch bei diesem Buch muss man sich fragen, was hat es in die Nähe des Deutschen Buchpreises gebracht. Aber nicht aufgrund schriftstellerischer Schwächen, denn die gibt es kaum, sondern vielmehr aufgrund des Hintergrund des Preises. Christoph Poschenrieder hat einen Roman geschrieben, der interessante geschichtliche Hintergründe in eine politisch brisante Geschichte einbringt. Eine leichte, keinesfalls triviale, Sprache trägt einen Roman voller schöner Bilder und Geschichten, der anregt sich mit Friedrich in Italien zu beschäftigen, über die Kreuzzüge zu lesen und Bilder des beeindruckenden Castel del Monte zu betrachten. Aber dieses Buch dürfte für den Deutschen Buchpreis nicht vermittelbar sein. Der Plot ist zu speziell, als dass er massentauglich wäre, er ist nicht modern genug, um sich für wahlweise lobende oder wütende Besprechungen im Feuilleton zu eignen. Der Roman ist tolle Unterhaltung auf hohem Niveau und deshalb ist es sein Glück, dass er nicht auf der Shortlist steht. Das breite Publikum hätte diesen Preisträger nicht nachvollziehen können, denn Das Sandkorn ist keine Massenware, sondern eine liebevolle Geschichte für a happy few.

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Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

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