An „Schroders Schweigen“ von Amity Gaige ist erstmal alles falsch. Wie bei einem Rezept, bei dem man jede einzelne Zutat nicht mag. Ähnlich wie Rote Beete und pochierte Eier lösen auch „herzerwärmende“ Vater-Tochter-Geschichten und „erfrischend ehrliche“ Weisheiten aus Kindermündern einen leichten Ekel in mir aus. Und bei Amity Gaige wird es noch schlimmer. „Schroders Schweigen“ ist eine Scheidungsgeschichte (wir waren doch so glücklich, aber du hast dich verändert). Es ist eine Gangstergeschichte (all diese Dinge tun Menschen aus Verzweiflung und Liebe). Und um die Sammlung von seichten Erfolgsromanklischees zu vervollständigen, hat der Erzähler auch noch seine deutsche Herkunft verschleiert und sich eine falsche Identität zugelegt (ein wenig Geschichtswürzmischung mit DDR und Mauerkräutern).
Aber manchmal nimmt man eben widerwillig den ersten Löffel, oder die ersten Seiten, und stellt erst überrascht, dann euphorisch fest, dass es großartig schmeckt.
Denn an „Schroders Schweigen“ von Amity Gaige ist absurderweise alles richtig. Die Autorin aus North Carolina hat aus hinreichend bekannten Zutaten ein berührendes Buch zubereitet, das sowohl bei Jack Kerouacs „Unterwegs“ als auch bei Nabokovs „Lolita“ genascht hat.
Ihre Hauptfigur Eric Schroder erzählt die Geschichte mit einem Brief an seine Ex-Frau (auch dieser nur halbinnovative Kunstgriff sei ihr verziehen). Er will ihr erklären, warum er nach der Trennung ihre sechsjährige Tochter Meadow entführt hat – oder warum zumindest alle Welt glaubt, dass er das getan hat. Für Schroder sieht die Lage ein wenig anders aus. Es waren doch nur ein paar Tage Ferien mit seinem Zuckerstückchen, eine Ausfahrt, die ein wenig aus der Form geriet, die aber unerlässlich für die Vater-Tochter-Bindung war.
Amity Gaige hat mit Eric Schroder eine starke Erzählstimme erschaffen, die zwischen unbekümmertem Charme und depressivem Selbsthass schwankt. Man geht diesem attraktiven Hochstapler immer wieder ins Netz, obwohl vom ersten Kapitel an klar ist, dass seine Existent auf einem Betrug beruht. Seit einem Ferienlager in seiner Schulzeit lebt er zwei Leben. Aus dem deutschen Immigrantensohn Erik Schroder, schüchtern und mit entlarvendem Akzent, das Ö ging an der US-Grenze verloren, wurde durch ein einfaches Anmeldeformular der amerikanische Adelsspross Eric Kennedy.
Auch der weitere Lebensweg verläuft nicht gerade solide, doch Kennedy-Schroder ist ein Rattenfänger. Immer wieder überzeugt er sein Umfeld von seinen edlen Absichten. Und in seinen wildnaiven Rechtfertigungsschlenkern kann er sogar dem Leser erklären, warum sein samstäglicher Badeausflug mit seiner Tochter plötzlich zur Flucht quer durch die USA mutiert.
Dass Meadow das wahrscheinlich eloquenteste Grundschulkind ist, das mir seit langem zwischen die Buchdeckel gekommen ist, macht die Sache noch komplizierter. „Das Gehirn ist da, wo das Eis gemacht wird“, sagt sie als mit drei gerade Lesen lernt. Zum einen will man diesem schmerzhaft schlauen Kind seinen verspielten Vater gönnen. Dass er sie hilflos vergöttert steht außer Frage. Auf der anderen Seite macht ihre Wachheit die Erfahrung der „Entführung“ umso schlimmer. Dass Eric sie am kanadischen Grenzübergang in den Kofferraum stopfen will, kann Meadow nicht so schnell verzeihen. Am Ende dieser emotionalen Verfolgungsjagd steht Schroder entblößt vor seinem Publikum, das nun, wie die Jury am Gericht, über ihn und seine Taten richten muss.
In Amity Gaiges dritten Roman lernt man eine komplexe Figur zu mögen, die man vielleicht nicht unbedingt mögen sollte. Und man hat plötzlich ein Buch verschlungen, das man eigentlich nie lesen wollte.
Saskia ist Studentin, freie Journalistin und Kunstvermittlerin in unterschiedlichen Prozentsätzen. Im Bloggen ist sie genauso erfahren wie Amity Gaige.
Saskia ist Studentin, freie Journalistin und Kunstvermittlerin in unterschiedlichen Prozentsätzen. Im Bloggen ist sie genauso erfahren wie Sibylle Lewitscharoff.