Wozu zahlen?

Ausganglage. Erst habe ich noch den Luxus der eReader Version der ZEIT gelobt, heute muss ich mich beschweren. Es geht dabei um ein Problem, das scheinbar jede große Tages-/Wochenzeitung hat: das Onlinestellen ihrer Printartikel.

Die FAZ, die SZ und die ZEIT hatten mich bereits als Abonnenten ihres Blattes und zwar in physischer Form (Abonnent und Blatt). Die SZ kostet (außerhalb Bayerns) 51,90 €, die FAZ (außerhalb Rödelheims) 49,90 € mit FAS 56,90 €, die ZEIT gibt es für umgerechnet 17,30 € (alles Monatspreise). Mein Vorteil liegt auf der Hand: ich bekomme das jeweilige Produkt,  meist bevor ich aufstehe, meist vergünstigt zu mir nach Hause geliefert. Wetter, (meine) Krankheiten und Befindlichkeiten stellen sich nicht zwischen mich und meine morgenliche Lektüre, solange ich es nur zum Briefkasten schaffe.

In meiner romantischen Vorstellung sitze ich also mit meiner Frau am Frühstückstisch, sie reicht mir den Politikteil, ich ihr im Gegenzug das Feuilleton. Entspannt und beglückt wohl informiert kann ich also mein Tagwerk beginnen, beim Starten meines Browers lachen mich auf meiner Startseite FAZ/SZ/ZEIT aber genau die Artikel an, die ich gerade las. Klar auf einem Bildschirm (finde ich nicht so cool), aber gratis (finde ich cool).

Dieses Problem taucht in zwei verschiedenen Ausprägungen auf.

Variante 1: Schon vor dem Wandel aufgrund der Dynamik des Internets, auch wenn dieser seit Jahren als der ständig beschworene Tod des Prints ausgemacht wird, waren die News der Tagespresse bereits während des Druckvorgangs veraltet. Bei vielen Nachrichten interessiert den Tageszeitungsleser aber nicht jedes Detail. Natürlich will er richtig und möglichst umfassend informiert werden. Viele Meldungen bleiben, entgegen dem beharrlich betonten Wandel, aber in ihrem Inhalt weitgehend statisch. Einzelheiten mögen sich ändern, der Kern der Nachricht bleibt. Für Hintergründe und Analysen ist meist sowieso längerer Vorlauf nötig um fundiert darüber berichten zu können. Diese werden in Kommentaren, Leitartikeln oder ähnlichem in den nächsten Tagen aufgearbeitet, quasi nachgereicht, falls überhaupt noch jemand Interesse zeigt, hier ist die Dynamik (der Zeit, nicht des Internets) wirklich der Tod (allerdings nur der Nachricht). Für rasche Veränderungen, Katastrophen- und Wasserstandsmeldungen war früher schon das Radio zuständig. Die Tagespresse wird also nicht dadurch obsolet, dass die Welt sich weiterdreht, denn eine Meldung veraltet nicht zwangsläufig innerhalb von 24 Stunden. Der Kauf der Zeitung nur ist überflüssig, wenn ich die Artikel 1:1 auch online abrufen kann.

Variante 2: Was macht die Artikel der Wochenzeitung aus? Hintergründe, Analysen, lange Reportagen, Besprechungen und Empfehlungen, nichts ist zwingend tagesaktuell. Meist wird, je nach Zeitung und politischer Großwetterlage, wird das Titelthema entsprechend angepasst. In Wahlkampfzeiten sind es aber nicht die Schilderung des Currywurstverzehrs von Grün- und Gartenbauminister X in Y, der morgen schon wieder in Z weilt um dort Weißwurst zu speisen (Sachen für die Tagespresse von Y und Z), sondern seine undurchsichtigen Geschäfte mit der Waffenlobby, die den Griff zur Wochenzeitung o.ä. Format lohnen lassen. Ob ich den Artikel zwei, drei Tage liegen lasse, lässt diesen nicht weniger aktuell werden, weil dessen Aktualität eine ganz andere Halbwertzeit als die der Tagespressennachricht hat.

Problem: Die Breaking News beziehe ich aus dem Netz, bezeichnenderweise meist vom selben Anbieter wie meine Printausgabe, bezeichnenderweise meist den gleichen Artikel wie dort, nur aktueller. Abgesehen von der Frühstücksromantik brauche ich also diesen Teil der Zeitung nicht (mehr). Die Hintergründe aber, die mir meine Wochenzeitung liefern soll, bekomme ich von dieser, gegen Geld, schließlich bin ich bereit für guten Journalismus zu zahlen. Dann finde ich aber am Montag also nur ein Wochenende vom Erscheinen der donnerstäglichen ZEIT 51/2013 entfernt z.B. die 99 Fragen an Frau Schöneberger aus dem Magazin, das Interview mit Christoph Waltz, den Artikel über den geplanten Rufmord Willy Brandts, aber auch die Titelstory von voriger Woche, ebenso der Beitrag über Palliativmedizin. Brauche ich das brühwarm, sofern man diesen Zeitpunkt hier überhaupt bestimmen kann, auf dem Tisch? Nein! Muss ich dafür Geld bezahlen? Anscheinend auch nicht, gibts ja alles online, nur halt etwas später. Die Verzögerung ist bei solchen Themen wirklich zu verschmerzen, wenn nicht gar irrelevant.

Henne oder Ei? Nun mag jemand einwenden, dass nicht die ganze Ausgabe online gestellt wird, kleine Fitzelchen bleiben der Printausgabe vorbehalten, wenn aber gerade die herausragenden Stück später gratis verteilt werden, sehe ich keinen Grund mehr die Printausgabe zu kaufen. Jaja, das sind aber außerdem Artikel einer Ausgabe, die bereits wieder vom Markt ist, diese Resteverwertung ist bei teurem Journalismus also nur legitim! Diese funktioniert allerdings auch nur solange bis keiner mehr die Printausgabe kauft und die Reste- so zur Erstverwertung werden muss. Übrigens war die Zeitung selbst früher die Paywall: wer sie kauft bekommt deren Inhalt, wer nicht nicht.

Vielleicht. Es mag so sein, dass es an der Gratismentalität des Internets liegt, aber vielleicht lassen sich solche Probleme nur durch kostenpflichtige Premiumportale auffangen, vielleicht nur durch eine klare Trennung Print/Online. Die BILD ist hier Vorreiter, trotz nicht ernstzunehmender Inhalte, Anlaufschwierigkeiten und Kritik. Warum nicht eine gemeinsame Online-Plattform eines Qualitätszusammenschlusses der großen Zeitungen unabhängig von deren Printangebot. Möglicherweise sind es irgendwann auch nur noch einzelne Journalisten/Blogger, die für einzelne Beiträge direkt von ihren Lesern entlohnt werden. (Ähnlich hat es Harald Martenstein in unserem Gespräch angesprochen.)

Fazit. Das Problem ist nicht, dass der Qualitätsjournalismus ausstirbt, sondern dass er sich lachend ins selbstgeschaufelte Grab stürzt. Zahle ich erhalte die gleich Qualität, wie in der gratis Version, wozu also zahlen?

Kategorien Allgemein

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

Kommentare sind geschlossen.