Bücher, die alle loben und lieben, sind mir suspekt!
— 54Books (@fiftyfourbooks) August 30, 2013
Auf der Rückseite von Das Buch der von Neil Young Getöteten überschlagen sich die Rezensenten förmlich: wunderbar, ästhetisches Wunder, eindringlich, witzig, aufrichtig, schön, klug usw. usf. Das sagen aber nicht die Hörzu, die Freundin und der Meppener Anzeiger, sondern Zeit, SZ und FAZ. Da ich institutionshörig und musikinteressiert bin, bei Suhrkamp keine schlechten Bücher erscheinen, schon immer den Zauber, den Neil Young auf manche auszuüben vermag, verstehen wollte, habe ich das Buch gekauft.
Jedem Musikinteressierten ist er schon über den Weg gelaufen dieser Neil Young und viele finden nicht so richtig den Zugang zu dem Mann mit der nasalen Stimme, der Band mit dem kunstlosen Geschrammel, wo andere ein kunstvolles instrumentales Wunderwerk abbrennen. Es kommt mir ein bisschen so vor, dass man ihn entweder hasst oder liebt, gleich Wagner oder Bob Dylan.
They all sound the same ruft jemand aus dem Publikum bevor das Konzert beginnt, ungemein schlagfertig tönt es It’s all one song zurück, eine kraftvolle Gitarre setzt ein. Nicht nur eine lustige Anekdote, die zu meiner Abizeit in meinem Freundeskreis zum geflügelten Wort wurde, sondern tatsächlich auch der Beginn des Konzertmitschnitts Year Of The Horse. Die Eier muss man erstmal haben, diese Kritik nicht nur spontan derart entwaffnend und selbstironisch zu kontern, sondern den Kritiker zum Conférencier seines eigenen Albums zu erheben.
Eigentlich klingen alle Neil Young Songs gleich oder besser, es gibt nur zwei Arten des Neil Young Songs: den mit Akustikgitarre, nach Belieben noch Mundharmonika, vorgetragenen und den mit Rockband. Einer zog nun aber aus, uns eines Besseren zu belehren. Navid Kermani ist nicht nur Schriftsteller, sondern eigentlich (vor allem? so scheint mir) auch Religionswissenschaftler, zu Beginn des Buches aber auch Vater geworden und seine Tochter leidet unter 3-Monats-Koliken. Nicht zu beruhigen, lässt Kermani erst für sich, später auch für seine Tochter Neil Young laufen (nicht zur Apotheke, sondern seine Musik) und seine Stimme, seine Lieder sind das einzige, das sie zu beruhigen weiß.
Dies bildet den Rahmen für ein außergewöhnliches Buch! Tatsächlich kein reines Musik-, sondern auch ein Lebensbuch. Der Anfang kam mir zum Teil etwas beschwerlich daher, aber Kermani schreibt sehr einfühlsam und dadurch zeigt er, auch wenn er immer wieder das Gegenteil beteuert, was für Ahnung er von Musik hat, denn, vielmehr als bei einem Buch, zählt hier nicht die Analyse der Struktur, das Knowhow in Bezug auf Harmonien – denn das alles hört man.
Wunderschön, wenn Kermani von seinen Interpretationen und Gedanken zu einzelnen Stücken berichtet, besonders, wenn diese, Spotify und YouTube sei Dank, noch in der besprochenen Version im Hintergrund erklingen. Last Trip To Tulsa, Sugar Mountain, Down By The River und Out On The Weekend, alles Stücke, die mich dank dieses Buches nach Portugal begleitet und mir unglaublich gut gefallen haben. Aber auch die Analyse zu Pocahontas und (besonders) Cortez The Killer sind nicht nur, politisch und zeitgeschichtlich, interessant, sondern brillant geschrieben und haben mir z.B.das vorher unerträglich Cortez zu einem besonderen Highlight werden lassen.
Kermani ist dabei nicht ein kritikloser Neil-Young-Jünger, sondern sich durchaus der Fehler seines Helden und dessen Band bewusst.
Selbst das Geschmacksempfinden gutwilliger Laien strapazieren diese Einspielungen von Down By The River und Cowgirl In The Sand, auf denen die Musiker ihre Fehlgriffe auch noch vernehmbar kommentieren, über das Erträgliche hinaus, für Hartgesottene sind sie grandios.
Genau dieses Gefühl der Hartgesottenen kenne ich nur zu gut, habe ich vor Jahren noch jeden Oasis Mitschnitt aufgesogen und besonderes Highlight waren Fehler, Ansagen und andere Kleinheiten, die das Live-Erlebnis so besonders machen, war auch die Qualität der Aufnahmen teilweise mehr als gewöhnungsbedürftig. Doch der Autor ist auch der Schwierigkeit der Vermittlung dieses Gefühls und der Liebe zu einer speziellen Musik bewusst (gerade bei Frauen):
Meine Tochter wird, wenn nicht weitere Wunder geschehen, nie zu ihrer frühen Leidenschaft für Neil Young zurückkehren, aber ich hoffe darauf, daß sie die meine nicht minder freundlich als die Frauen belächeln wird, die mich eine Wegstrecke begleitet haben […]. Keine von ihnen habe ich zu Neil Young bekehrt [also eigentlich doch ein Jünger – 54books], aber sie alle denken noch immer an mich, sooft sie ihn hören.
Alles in allem ein wunderbares Buch, dessen Lektüre jedem Musikinteressierten nur ans Herz gelegt werden kann, aber auch Betrachtungen über das Leben enthält, die berühren (zum Ende hin, habe ich sehr ausgiebig markiert!). Ich werde es wieder lesen und wieder Neil Youngs Musik dazu hören und ich muss, ich kann nicht anders, sagen, alle Stimmen auf dem Buchrücken hatten recht: Ein wunderbares Musik-, Mystik- und Lebensbuch und ein ästhetisches Wunder (Stuttgarter Zeitung).
Bock auf Neil Young?
Bock auf Cortez The Killer ohne Neil Young? (Die Neil Young Version ist in ihrer Kraft und Urwüchsigkeit durchaus einzigartig, Warren Haynes mit seiner Stimme und seinem Gitarrenspiel kitzelt aber nochmal ganz andere Emotionen heraus)
Unbedingt muss auch gesagt werden, dass es sich bei diesem Buch um ein ganz besonders schönes Taschenbuch handelt! Matter, irgendwas-farbiger (?) Einband, tolles, handliches Format und schöner Satz. Erinnert mich an Die kleine Bibliothek der Weltweisheit, in der ebenso schöne Bücher erschienen.