Niemands Frau

Zum Tod der Dichterin Barbara Köhler.
Aufgrund einer Kehlkopfoperation hatte Barbara Köhler die Versehrung der Stimme erlebt, eine "Atemwende" (Paul Celan) im krass physischen Sinn. In Anlehnung an die Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins hatte sich die 1959 im sächsischen Burgstädt geborene Dichterin und Multimediakünstlerin schon in ihren frühen Texten mit den Grenzen der Sprache und auch den Bedingungen weiblichen Sprechens auseinandergesetzt. Im Auftaktgedicht ihres zweiten Gedichtbuchs "Blue box" heißt es vielsagend: "Ich rede mit der Sprache, manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders." Das hat die vielfach – auch 2016 mit dem in Staufen vergebenen Peter-Huchel Preis – ausgezeichnete Dichterin ihr Leben lang getan; auch als kenntnisreiche Poetik-Dozentin, etwa in der Thomas Kling-Poetik-Dozentur 2012.
In "Niemands Frau", den "Gesängen zur Odyssee" stellt sie die Frage nach dem Ort weiblicher Subjektivität in der Literaturgeschichte und nach den Geschlechterverhältnissen in der Sprache. Wenn in der Deutung des homerischen Epos die "Frauen sang- und klanglos verschwanden", so haben hier nun Kirke, Nausikaa und Penelope die Deutungshoheit.
Berühmt wurde Barbara Köhler mit "Rondeau Allemagne" aus ihrem Debütband "Deutsches Roulette" (1991). Dieses Gedicht bringt das Lebensgefühl einer skeptischen Generation in der moribunden späten DDR auf den Punkt: "Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd, / Mit einer Liebe, die mich über Grenzen treibt, / Zwischen den Himmeln. Sehe jeder, wo er bleibt; / Ich harre aus im Land und geh ihm fremd." Köhlers Wortkunst war immer eng mit dem Medium der Fotografie und der Bildenden Kunst verbunden; ihr mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichneter Band "Istanbul, zusehends" (2016) verbindet Gedichte mit Fotografien. Barbara Köhler litt lange unter den Torturen einer Krebserkrankung. Am 8. Januar ist sie im Alter von 61 Jahren gestorben.