GLOBALISIERUNGSKRITIK, WIE WEITER?
Als der G8-Gipfel in Heiligendamm vor der Tuer stand, waren in der Berliner Gazette bereits einige Beitraege zum Thema erschienen. Nun aber galt es eine weitreichende Auseinandersetzung anzuregen, die die kurze Gluehphase des Gipfels ueberdauern wuerde. So begann die Berliner Gazette am 31.05.2007 jeden Montag eine Antwort auf die Frage “Globalisierungskritik, wie weiter?” zu veroeffentlichen.

Zunaechst befragte die Redaktion Akteure aus dem (Um)Feld des Gipfel-Protests: AktivistInnen, StudentInnen, KuenstlerInnen, Politik- und MedienwissenschaftlerInnen, FriedensforscherInnen und JournalistInnen. Darauf hin wurde das Feld geoeffnet: Vertreter und Initiatoren der Global Studies aus Hamburg, Freiburg, Innsbruck und Graz wurden hinzugezogen. Selbst disziplinaere Erneuerungen wie Globalgeschichte konnten bei der Frage nach der Globalisierungskritik beruecksichtigt werden. Damit rueckte nicht nur die Universitaet als Lern-, Lehr- und Forschungsstaette ins Blickfeld, sondern auch die Schule. Beispielsweise kam mit Heike Roth (Antwort #33) auch eine Lehrerin zu Wort, die gemeinsam mit KollegInnen in Baden- Wuerttemberg Global Studies als Schulfach eingefuehrt hat.

Ganz im Sinne der grossen, alles umfassenden Expansionsbewegung der Globalisierung, bemueht sich die Berliner Gazette den Einzugsbereich dieser Umfrage immer weiter zu oeffnen. Nicht nur geografisch (bislang konnten Stimmen aus Mexiko, England und den USA eingefangen werden), sondern auch intellektuell: Es werden Akteure zu Stellungnahmen eingeladen, die nicht unmittelbar an Globalisierungsdiskursen arbeiten. ArchitekturtheoretikerInnen, MigrationsforscherInnen, EthnologInnen, GeographInnen; aber natuerlich auch engagierte Zeitgenossen ausserhalb akademischer oder aktivistischer Zirkel.

Wir glauben, dass es wichtig ist, Gedanken einfliessen zu lassen, die aus einer Aussenperspektive heraus entstehen. Doch gibt es so etwas wie Aussenperspektiven ueberhaupt noch? Durchdringt die Globalisierung als komplexester gesellschaftlicher Prozess der Gegenwart nicht ausnahmslos alle?

Die entscheidende Frage lautet: Was bedeutet eigentlich Kritik in diesem Zusammenhang? Klar sollte sein: Kritisieren bedeutet nicht Schlechtmachen oder Ablehnen. Wie auch Literaturkritik nicht die Aufgabe hat, einen Text "runterzumachen", sondern einen kritischen Zugang zu ihrem Gegenstand zu eroeffenen, so ist man auch als Globalisierungskritiker keineswegs Globalisierungsgegner. Als Globalisierungskritiker affirmiert man die Globalisierung. Das bedeutet: Man erkennt sie als Prozess, Phaenomen und Problem an, um auf dieser Basis aktiv zu werden - im Kopf oder mit Taten.

Aber welche Kategorien sind fuer die Globalisierungskritik von Bedeutung? Sollte man immer wieder ueber dieselben Probleme sprechen oder vielleicht versuchen die grossen Fragen neu anzugehen, mit einem neuen kritischen Zugang, den die Globalisierungskritik eroeffnet? Sollte die Aufgabe der Globalisierungskritik vielleicht gerade darin bestehen, Fragen zu stellen? Fragen, die die Globalisierung in Frage stellen. Fragen aber auch, die das Befragen der Globalisierung selbst in Zweifel ziehen. Alles in allem scheint die Aufgabe darin zu bestehen, eine reflektierte Praxis zu kultivieren, mit Blick auf einen jahrhundertealten Prozess, im Zuge dessen auf der Erde wirtschaftliche, politische und kulturelle Netzwerke unaufhoerlich wachsen und in letzter Zeit immer staerker miteinander querverbunden werden.
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  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #90

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  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #89

    Der Begriff Globalisierung hat eine Tendenz zur Universalisierung von Partikulaerem, was mir den Begriff etwas suspekt macht. Globalisierungskritik existiert auf lokaler Ebene seit es Bestrebungen zur Globalisierung oder Kolonialisierung gibt. Mit der Verlegung der grossen Datenbahnen und niedrigeren Eintrittsschwellen in die Informationsgesellschaft hat sich, so meine ich, eine Globalisierungskritik herausgebildet, die erstmals – potenziell – global vernetzt ist. Erst mit dem massenmediatisierten Globalisierungsbegriff wurde die Antithese moeglich. weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #88

    Wenn es um Globalisierung geht, ist das erste, woran ich denke De-Territorialisierung. Das haengt irgendwie mit den Umstaenden zusammen, unter denen ich aufgewachsen bin. Ich reiste und lebte seit der fruehen Kindheit in verschiedenen Laendern, was mir eine Art unbewusste Vorstellung davon vermittelte, dass verschiedene Realitaeten und generische Zustaende ein natuerlicher Teil des Lebens sind. Trotzdem ich den Begriff kannte, verstand ich die Ausmasse des Informationszeitalters in den Neunzigern erst vor zehn Jahren als einen klaren Durchbruch; ein Prozess der das Aufzwingen globaler Tendenzen vereinfacht, aber gleichzeitig die Staerkung kleinerer Einheiten und Einflusskreise ermoeglicht. Ein Prozess der auch voller Widersprueche und negativer Auswirkungen ist. weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #87

    Den Begriff Globalisierung verbinde ich mit dem Globus. Da kommt sofort ein raeumliches Moment hinein. Auf die Frage: Wo befinde ich mich? ist die allgemeinste Antwort: auf dem Globus. Dass ich mich immer auch in speziellen Raeumen befinde, in einem Land, in einer Stadt, in einem Zimmer, ist eine sekundaere Frage. An jedem Punkt der Erdkugel kann ich allgemein sagen: ich bin hier, naemlich auf der Erdoberflaeche. Nun hat die Technik ermoeglicht, den Erdboden zu verlassen. Der Weltraumfahrer kann sagen: Dort ist die Erde. weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #86

    Theoretisch und politisch interessant fuer meine Beschaeftigung mit der Globalisierung ist vermutlich das Phaenomen, das Richard Falk und andere als Globalisierung von unten beschreiben – also jene lokalen und qua informeller Vernetzungen auch globalen Formen des direkten politischen Handelns sowie der gewaltfreien (>zivilen<) und gegen soziale, oekonomische und politische Machtasymmetrien gerichteten Kooperation, die haeufig vergessen werden, wenn man ueber Globalisierung aus dem Blickwinkel des Staates spricht. weiterlesen »

  • Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #85

    Was bei Michel Foucault trotz seiner erstaunlichen Interpretation der Machtmechanismen fehlt, ist eine analoge Reflexion des Politischen in seiner gesamten Ausdehnung, also auch den Aspekt des Gemeinsamen umfassend. Was die Globalisierung angeht, so konnte er darin nicht die Dynamik wieder erkennen, welche zum Zeitpunkt seines Todes im Jahr 1984 noch teilweise verborgen war, auch wenn die Krise des Ostblocks schon absehbar war. Aus dieser Perspektive ist die fruehzeitige Eingebung von Marshall McLuhan – bekanntlich praegte er den Begriff Global Village – umso bemerkenswerter, speziell im Hinblick auf das von Jean-Luc Nancy und Maurice Blanchot initiierte Theoretisieren des gemeinsamen Existierens sowie der Communitas in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. weiterlesen »