Neulich in der Bar: “Kennen wir uns nicht?” Sie zuendet sich eine Zigarette an und mustert mich. “Wieso?” entgegne ich. “Du bist doch bei der Berliner Gazette?!” Verdammt, denke ich, sie hat bestimmt das Interview in der taz gesehen.
“Gemeinschaft, ein tolles Thema!” Sie guckt mich ganz vertraeumt mit dem typischen Ich-stehe-auch-auf-Orgien-Blick an. Ich bin sonst nicht so schlagfertig, jetzt aber schiesse ich zurueck: Ja, die Berliner Gazette besteht aus vier weiteren Typen und ebenso vielen Frauen; manchmal fahren wir fuer ein Wochenende aufs Land…
Sie sagt: So habe ich mir das vorgestellt!
Ich will nachlegen und sage: Ich denke…
Ploetzlich steht sie auf und geht langsam Richtung Klo.
Als sie wiederkommt, sagt sie mit einer gelangweilten Miene: Na, bist Du immer noch am Denken?
>Ich denke<, setze ich wieder an, dass unsere Gesellschaft uebersexualisiert ist. Sex durchdringt alle Bereiche. Es gibt kein Entkommen.
>Au ja, das ist auch ein tolles Thema!< Aber wir sind diesem Zustand nicht ausgeliefert! So wenig wie wir alles konsumieren muessen! Nur weil es den Anschein hat, alle Impulse und Triebe, koennten sofort befriedigt werden.
>Also ich kaufe nur, weil ich will!< Aber gibt es Bereiche in Deinem Leben, die einer anderen Logik folgen?
>Jetzt wirst Du persoenlich.<, sagt sie, atmet den Qualm aus, zieht ihren Tanga hoch und fragt: Kann man da eigentlich mitmachen?
Oops…
In der Berliner Gazette geht es um Freundschaft und Arbeit. Also um wichtige Dinge. Und die haben nichts mit Sex zu tun!
Sie guckt mich unglaeubig an und sagt: Habe ich was anderes behauptet?
Ich weiter: Die Sexualisierung der Gesellschaft folgt nicht zuletzt dem Knopfdruck-Paradigma: Alles muss schnell gehen. Per Knopfdruck eben. Wir aber suchen nach Alternativen. Wir wollen etwas aufbauen, das von Dauer ist. Das widerspricht dem Knopfdruck-Paradigma. Ausserdem: Wir glauben an Freundschaft und Arbeit jenseits von Sex. Ich zumindest glaube daran.
Sie guckt mich etwas pikiert an und fragt: Warum erzaehlst Du mir das alles eigentlich?
Ohne zu ueberlegen zische ich: Kennen wir uns nicht?
13 Kommentare zu
@jerome kaiser: ich stimme dir zu. wenn sex überall ist, dann bedeutet das auch gleichzeitig: sex ist nirgends. was ist dann noch sex? da lobe ich mir die monogame beziehung! übersexualisierung bedeutet auch gleichzeitig entsexualisierung. so oder so: das verhaeltnis zu sex ist aus dem ruder.
Ach: Haste mal die Telefonnummer der Dame parat?