Geheimnis um Himmelsscheibe von Nebra gelöstSie opferten Kinder für ihren Sonnengott

Erster Staat in Europa lag in Sachsen-Anhalt

Von: JAN WÄTZOLD

Halle/Nebra – Wenn die Erde eine Scheibe ist, dann diese! 19 Jahre nach dem Fund der mysteriösen Himmelsscheibe von Nebra haben Wissenschaftler jetzt ihr Rätsel gelöst: Die Bronzescheibe ist der Schlüssel zu einem mächtigen, aber vergessenen Reich, das vor 3600 Jahren unterging.

DEUTSCHLANDS 1. KÖNIGREICH!

„Ohne die Himmelsscheibe wären wir dieser verschollenen Kultur nie auf die Spur gekommen“, sagt Prof. Dr. Harald Meller (58). Sachsen-Anhalts Landesarchäologe ist Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, in dem die mit 100 Mio. Euro versicherte Himmelsscheibe (2,3 Kilo schwer) ausgestellt ist.

Jetzt hat er gemeinsam mit dem Historiker und Journalisten Kai Michel (51) die Geheimnisse der Scheibe gelöst und aufgeschrieben*, dabei mit anderen Funden in Zusammenhang gebracht: Ein riesiges Bronzezeit-Puzzle, bei dem plötzlich alle Teile passen!

Ein böhmisches Dorf stand Pate!

„Aunjetitzer Kultur“ nennen die Historiker jene Epoche. Der Name stammt von einem Dorf bei Prag: Únetice, zu Deutsch: Aunjetitz. Hier fand man bereits 1879 die ersten Gräber der Untertanen der späteren Himmelsscheiben-Könige. „Von der Pracht und Bedeutung des Reiches ahnten die Ausgräber damals natürlich noch nichts“, so der Landesarchäologe.

Die Himmelsscheibe war der Schlüssel zur Macht!

Halbwilde Bauernstämme, ein paar Kleinfürsten. „Bislang galt die Frühbronzezeit in Deutschland als Bauern-idyll“, sagt Prof. Meller. Doch die Materialien der Himmelsscheibe zeigen, dass die Menschen bereits auf Handelswegen über mehrere 1000 Kilometer unterwegs waren: Das Gold der Scheibe stammt aus Cornwall, Südengland, die Darstellung des Himmels folgt Vorlagen aus dem Orient.

Mit der Himmelsscheibe konnte der Fürst den Sonnenlauf vorhersagen, so u.a. die perfekte Zeit für Aussaat und Ernte bestimmen. (Bis dahin opferte man Kinder und Jungfrauen, um den Sonnengott gnädig zu stimmen.) Meller: „Zum ersten Mal wurde aus Wissen Macht!“ Und Reichtum: Bald stieg der Fürst zum König auf, leistete sich Armeen, die das fruchtbare Land verteidigten – für die Wissenschaftler das erste echte Staatswesen in Europa!

Teaser-Bild

Der Kern des ersten deutschen Königreichs lag im heutigen Länderdreieck von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen

Der König ließ sich wie ein Pharao begraben!

Heute eine Müllkippe zwischen Leipzig und Halle, vor rund 4000 Jahren das spektakulärste Grabmal Europas: 65 Meter im Durchmesser, 15 Meter hoch! Eine mit Schwarzerde und weißem Kalk abgedeckte Grabkammer voller Gold!

Meller ist sicher: „Hier bei Dieskau residierte der König der Aunjetitzer!“ Unter dieser Pyramide des Nordens ließ sich der König beisetzen wie die Herrscher des Orients. Und wie der sagenhafte Pharao Tutanchamun, der einen goldenen Dolch mit ins Jenseits nahm, bekam der König der Aunjetitzer ein goldenes Beil ins Grab gelegt!

Ein Vulkan ließ das Reich untergehen!

Rund 400 Jahre überdauerte das erste deutsche Königreich – dann ging es innerhalb kürzester Zeit unter. Schuld war der Ausbruch des Vulkans von Thera, 2000 Kilometer weit weg auf der griechischen Insel Santorin 1600 v. Chr. Selbst in Nordeuropa verdunkelte sich der Himmel, die Kraft der Sonne ließ nach, es kam zu Missernten und Hungersnöten.

Die Himmelsscheibe – sie funktionierte plötzlich nicht mehr! Die Macht der Könige war gebrochen, das Reich zerfiel. Die Scheibe wurde auf dem Mittelberg bei Nebra rituell bestattet. Und mit ihr das Geheimnis des ersten deutschen Königreichs.

*Propyläen Verlag, 384 S., 25 Euro

So funktioniert die Himmelsscheibe

Sonne, Mond und Sterne aus Gold, dazu eine Barke (kl. Boot), auf der die Sonne über den Himmel reist. Links und rechts zwei Markierungen (Horizontbögen). Die bronzene Himmelsscheibe (32 Zentimeter Durchmesser) funktioniert wie ein Kalender.

Mit ihr lassen sich Sonnenauf und -untergang, die Jahreszeiten und damit der richtige Zeitpunkt für Saat und Ernte präzise vorhersagen.