Der Mensch liebt die Freiheit nicht, alles andere ist Lüge, er kann mit der Freiheit nichts anfangen, kaum ist er frei, beschäftigt er sich mit dem Öffnen von Kleider- und Wäschekommoden, mit dem Ordnen von alten Papieren, sucht er Fotografien, Dokumente, Briefe, geht er in den Garten und gräbt um oder läuft vollkommen sinn- und zwecklos in irgendeine Richtung, gleich, wie das Wetter ist, und nennt es Spaziergang.
Thomas Bernhard
Der Keller
Kategorie: Thomas Bernhard
Allen Lesern ins Stammbuch (89)
Und nun noch etwas. Sie wissen, daß im Suhrkamp Verlag Beckett als Nummer 1 aller Autoren rangiert und daß wir uns um ihn wirklich bemühen. Darf ich Ihnen einmal die Verkaufsziffern von Beckett nennen.
»Molloy« (1954 erschienen) 2.554 verk. Exemplare »Malone« (1958 erschienen) 1.632 „ „ »Der Namenlose« (1959 erschienen) 1.467 „ „ »Wie es ist« (1961 erschienen) 873 „ „ »Dramatische Dichtungen«
1 + 2 (1963 + 1964 erschienen)1.366 + 1.176 verk. Ex. Unsere elektronische Absatzstatistik ergibt einen Verkauf von etwa 10 Exemplaren im Monat. Das ist, wenn man so will, ein vernichtendes Ergebnis. Aber wir haben sehr wenig Möglichkeiten, es zu ändern, obschon wir ständig den Versuch unternehmen. Beckett hat nicht ein einziges Mal wegen dieser Absätze geklagt, im Gegenteil, er sieht unser Bemühen und bedankt sich dafür.
Siegfried Unseld an Thomas Bernhard
15. Juli 1968
Alexander Schimmelbusch: Die Murau Identität
[…] als sei generell alles, was aus meinem Mund komme, abwegig, ja, idiotisch sogar.
Das Buch beruht auf einem netten, wenn auch banalen Einfall: Thomas Bernhard ist 1989 nicht gestorben, sondern hat seinen Tod nur vorgetäuscht. Seitdem lebt er unter dem Pseudonym Murau als Ehemann, Vater und Freizeitler auf Mallorca und in New York. Allerdings dreht sich das aus dieser Idee entwickelte Buch nur sehr am Rande um Bernhard, wahrscheinlich deshalb, weil seinem Autor zu Bernhard nicht so recht viel einfallen will. Stattdessen füllt er viele, viele Seiten mit etwas, was er wohl für eine Satire des Lebens eines Jet-Set-Journalisten hält, in der ein überzeichnetes Alter Ego in der Welt herumfliegt, seine Obsession für Fellatio aus- und dem finanziellen Ruin entgegen lebt.
Das Rückgrat der Erzählung bildet eine mäßig gelungene Stil-Parodie auf die Notate Siegfried Unselds aus dem Briefwechsel-Band Bernhard/Unseld. In insgesamt fünf Lieferungen durch das ganze Buch hindurch berichtet in ihnen Unseld von seinen Treffen mit Bernhard nach dessen fingiertem Tod. Was sich im ersten Teil noch ganz witzig liest, verflacht bald zu einer öden Wiederholung des immer gleichen Superman-Habitus, ohne dass etwas anderes als eben zusätzliche Seiten gewonnen würde. An einer einzigen Stelle schwingt sich dieser Text zu einer wirklich witzigen Pointe auf, als nämlich Unseld bei einem Besuch in einem Bordell erkennen muss, dass Bernhard die chinesische Vase, die er ihm Ende 1974 in Ohlsdorf geschenkt hat (vgl. Briefwechsel S. 453), zuvor offenbar aus eben diesem Puff entwendet hat (S. 98 ff.). Leider fällt alles andere gegen diesen Höhepunkt steil ab.
Da die ohnehin zu lang geratene Parodie allein kein Buch füllen würde, schreibt Schimmelbusch die oben schon angedeutete Schickimicki-Handlung drumherum und zwischenrein. Ganz zum Schluss tritt dann noch ganz kurz der Leibhaftige selbst auf, redet aber auch nur das, was wir nach der Lektüre des Buches ohnehin erwarten konnten. Ansonsten ist der Text gespickt mit sachlichen Fehlern (um von dem im Titel fehlenden Bindestrich einmal ganz abzusehen), alle natürlich sorgsam absichtsvoll im Text platziert und an entsprechender Stelle (S. 141 f.) poetologisch gerechtfertigt. Wer einen dummen Text schreibt, muss inzwischen offensichtlich nur noch die Klugheit als obsoletes Konzept deklarieren, um mit allem im Reinen zu sein.
Ein Text mehr, der die von ihm selbst aufgelegte Latte mühelos unterspringt. Schade …
Alexander Schimmelbusch: Die Murau Identität. Berlin: Metrolit, 2014. Bedruckter Pappband, 208 Seiten. 18,– €.
Monologe auf Mallorca + Die Ursache bin ich selbst
Thomas Bernhard ist sicherlich einer der bemerkenswertesten deutschsprachigen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Selbst seine Kritiker müssen ihm einen unbändigen Stilwillen zugestehen, eine Konsequenz und philosophische Grundierung seiner Stücke, Erzählungen und Romane, die unter seinen Kollegen ihresgleichen sucht. Er ist wohl auch derjenige unter seinen Zeitgenossen, der die meisten Nachahmer gefunden hat, ohne dass diese Nachahmer in irgend einem Sinn seine Schüler gewesen wäre. Und noch die Parodien seiner Texte tragen den Stempel seines Stils, den man zwar leicht auszuhöhlen, aber kaum zu desavouieren vermag. Es könnte sich durchaus einmal erweisen, dass Bernhard der einflussreichste deutschsprachige Autor seiner Generation war.
In seinem letzten Lebensjahrzehnt sind zwei große Fernseh-Interviews mit Thomas Bernhard entstanden: Eine Herausforderung: Monologe auf Mallorca (1980) und Ein Widerspruch: Die Ursache bin ich selbst (1986). Beide wurden auf Bernhards ausdrücklichen Wunsch von Krista Fleischmann geführt und produziert. Obwohl beide »Gespräche« hauptsächlich als Monologe Bernhards angelegt sind, unterscheiden sie sich sehr stark voneinander: Im früheren erscheint Bernhard überraschend gelöst und entspannt. Alle Äußerungen scheinen ironisch grundiert, nur hier und da bestimmen Pessimismus und Misanthropie den Ton. Bernhard erscheint hier beinahe kokett. Das zweite Gespräch, das in der Hauptsache in Madrid entstand, ist im Grundton deutlich ernster, aggressiver und pessimistischer. Den Höhepunkt bildet hier sicherlich der Besuch eines Stierkampfs, bei dem die Kamera zugleich die Tötung des Stiers in der Arena und Bernhards immer hilflosere Reaktionen auf dieses Geschehen verfolgt. Durchsetzt sind die Monologe Bernhards in diesem Fall durch Zitate aus dem kurz zuvor erschienen Buch Auslöschung, gelesen von Bruno Ganz.
Über die Nützlichkeit dieser beiden Dokumentationen für das Verständnis des Bernhardschen Werkes kann sicherlich gestritten werden. Bernhard geht in beiden Fällen ganz bewusst mit dem Medium des Fernsehens um, inszeniert sich und wird zugleich inszeniert. Auf der einen Seite steht die Kalkulation des Autors auf eine bestimmte Wirkung, auf der anderen Seite wird die Kalkulation gekontert von der Einsicht, dass sich die Wirkung genau dieser Kalkulation entzieht. Es ließe sich spekulieren, ob das zweite Gespräch nicht versuche, dem falschen Bild des ersten ausgleichend ein anderes falsches Bild entgegenzusetzen, aber ein solcher Ansatz griffe sicherlich zu kurz, da er die weiteren Veröffentlichungen Bernhards in der Zwischenzeit ignorierte. Es kann in diesem Sinne Raimund Fellinger, der im Begleitheft den Kontext der Interviews umreißt, darin nur zugestimmt werden, dass diese beiden Gespräche Teil des literarischen Werks von Thomas Bernhard sind.
Thomas Bernhard / Krista Fleischmann: Monologe auf Mallorca + Die Ursache bin ich selbst. Die großen Interviews mit Thomas Bernhard. filmedition suhrkamp Nr. 4. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2008. 1 DVD (Länge: 94 Min.) und 1 Begleitheft (44 Seiten). 19,90 € (unverbindliche Preisempfehlung).