Drei Propheten

Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, [/] Doch ihre Weine trinkt er gern.

Goethe

Klages-MenschEs ist nicht wirklich verwunderlich, dass es noch Menschen gibt, die den Wirrkopf Ludwig Klages lesen. Klages ist durch seine – na, Nähe zum wäre ein Euphemismus; sagen wir also: Verwickelung mit dem Nationalsozialismus in Misskredit geraten, dem er nur deshalb nicht komplett in die Fänge gegangen ist, weil Alfred Rosenberg in ihm eine ernstzunehmende Konkurrenz sah und ihn verbellt hat. Alles in allem ist Klages Position heute undiskutabel geworden: zuviel Mythengeraune, Völkisches, Rassistisches schwebt da allenthalben umeinander, als dass man ihn noch einmal auszugraben versuchen könnte.

Verwunderlich ist bei dieser Lage der Dinge aber, dass sein Vortrag „Mensch und Erde“ von 1913 regelmäßig wieder aufgelegt und offenbar auch gelesen wird. Das Jubiläumsjahr 2013 sieht diesmal sein Wiedererscheinen bei Matthes & Seitz, die so unverdächtig des falschen Gedankenguts sind, dass sie sich auch leisten können, wirre, rechte Rassisten zu drucken. Mit diesem Vortrag, den er bei einer jugendbewegten Gedenkfeier zum 100. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig gehalten hat, ist Klages zu einem der frühen Propheten der ökologischen Bewegung geworden. Zumindest wenn man den Text nur kursorisch liest, klagt Klages die wissenschaftliche Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts der Zerstörung der Arten und Lebensräume an. Vieles von dem, was er an Beispielen anführt, ist zwar eher der westlichen Luxus- und Massengesellschaft anzulasten als konkret dem Projekt der Durchtechnisierung  der Welt, aber da Klages ebenso den Verfall der Kultur, die Vernichtung der Naturvölker und Vertreibung der Wölfe aus Europa bedauert, kommt es so genau nicht darauf an. Wichtig sind nur zwei Dinge: Die Welt ist in einem üblen Zustand und Rettung wird kommen in einem mythischen Endkampf, in dem die Gerechten am Ende durch mindestens ein Wunder den Sieg davontragen.

Was sich in der Wiederauflage des Büchleins – und in dem hier und da affirmativen Zitieren Klages’ – allerdings deutlicher zeigt als in Klages Vortrag selbst, ist die fortschreitende Fragmentierung – fast hätte ich Eklektizismus geschrieben, aber das hieße das Brouhaha unserer Zeit schon überschätzen – unserer Kultur, also das, was in aller Hilflosigkeit Postmoderne genannt wird – Epigonentum am Epigonentum, wenn es je eines gegeben hat. Wer Klages war, was er tatsächlich gemeint haben könnte, all das ist völlig gleichgültig. Da er ein paar undeutliche Phrasen und Zusammenhänge zur Verfügung stellt, die irgendwie in unseren Kram passen, zitieren wir ihn fröhlich und kümmern uns einen Dreck um den Rest. Den kennt ja ohnehin keiner.

Ludwig Klages: Mensch und Erde – ein Denkanstoß. Berlin: Matthes & Seitz, 2013. Broschur, 62 Seiten (wovon der Vortrag selbst 30 Seiten umfasst). 10,– €.

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Emmott-Zehn-MilliardenGanz in dieselbe Kerbe, wenn auch mit einem anderen Beil, schlägt Stephen Emmotts Traktat „Zehn Milliarden“. Auch er beschwört den nahenden Untergang der Menschheit innerhalb des laufenden Jahrhunderts. Emmotts, der es für nötig hält zu betonen, dass er Wissenschaftler sei (S. 15), malt ein schwarzes Bild von einer Zukunft, in der nicht nur 10 Milliarden Menschen den Planeten bevölkern und ihn damit durch die Produktion von Lebensmitteln, den übermäßigen Verbrauch von Wasser und die Produktion von Abfall notwendig zerrütten, sondern er bezweifelt auch, dass noch ein gangbarer Weg existiert, den katastrophalen Untergang der menschlichen Spezies an den Folgen ihrer eigenen Existenz zu verhindern. Darin ist ihm zuzustimmen. So wird es kommen, und je eher je besser.

Doch leider kann seiner optimistischen Einschätzung vom Untergang der Menschheit nicht zugestimmt werden, da sich die Spezies, auch wenn sie etwas anderes glaubt, auch weiterhin als Teil eines natürlichen Systems darstellt, das sich erlauben wird, sie auf das Maß zusammenzustutzen, das bedauerlicherweise ihre weitere Existenz, unter welchen Bedingungen dann auch immer, ermöglichen wird. Aber davon haben andere anderswo ausreichend ausführlich geschrieben.

Die ironische Pointe an dem Büchlein von Emmott ist jedoch, dass auch sein Inhalt deutlich zu kurz ist, um allein eine für den Buchmarkt geeignete Verkaufseinheit zu bilden. Während Matthes & Seitz sich die Mühe macht, dem Klages ein etwa gleich langes Nachwort anzuhängen, greift Suhrkamp zu einem schon andernorts erprobten Mittel: Man nimmt einfach den PowerPoint-Vortrag des Autors und druckt ihn 1:1 ab; so geraten auf viele Seiten nur ein oder zwei Sätze, die dort einen ganz wundervoll einprägsamen Eindruck machen. Damit gelingt es Suhrkamp, das Textlein auf stattliche 200 Seiten auszuwalzen. Das ist natürlich eine grandiose Idee bei einem Buch, dessen Kern die Kritik der Verschwendung von natürlichen Ressourcen bildet. (Wer mag, kann sich auf der Seite des Suhrkamp Verlages mittels einer Leseprobe einen Eindruck von diesem Meisterwerk des Buchdrucks verschaffen.)

Stephen Emmott: Zehn Milliarden. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Berlin: Suhrkamp, 2013. Bedruckter Pappband, 206 Seiten. 14,95 €.

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Ein Kubikkilometer genügt

Ein Mathematiker hat behauptet,
daß es allmählich an der Zeit sei,
eine stabile Kiste zu bauen,
die tausend Meter lang, hoch und breit sei.

In diesem einen Kubikkilometer
hätten, schrieb er im wichtigsten Satz,
sämtliche heute lebenden Menschen
(das sind zirka zwei Milliarden!) Platz!

Man könnte also die ganze Menschheit
in eine Kiste steigen heißen
und diese, vielleicht in den Kordilleren,
in einen der tiefsten Abgründe schmeißen.

Da lägen wir dann, fast unbemerkbar,
als würfelförmiges Paket.
Und Gras könnte über die Menschheit wachsen.
Und Sand würde daraufgeweht.

Kreischend zögen die Geier Kreise.
Die riesigen Städte stünden leer.
Die Menschheit läge in den Kordilleren.
Das wüßte dann aber keiner mehr.

Erich Kästner
Gesang zwischen den Stühlen (1932)

Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens

978-3-550-08720-2 Jedem, der sich mit dem Thema dieses Buchs mehr als nur oberflächlich beschäftigt hat, dürfte seine überwältigende Schwierigkeit klar sein. Für seine ernsthafte Behandlung wäre nicht nur eine grundlegende Bestimmung dessen zu leisten, wonach die Frage nach dem Sinn überhaupt fragen soll, sondern auch eine Abgrenzung gegenüber allen nicht philosophischen Ansätzen, nicht nur denen der Religionen, sondern auch denen der sogenannten Esoterik. Dazu wäre eine systematische Aufarbeitung dieser Angebote notwendig, um wenigstens einige Hoffnung haben zu können, zu einer eigenständigen und wesentlich philosophischen Antwort zu gelangen. Andererseits muss die Chance, tatsächlich zu einer solchen Antwort zu gelangen, angesichts von 2.500 Jahren Philosophiegeschichte als nahezu aussichtslos eingeschätzt werden: Wäre eine allgemeingültige oder wenigstens allgemein akzeptable Antwort gefunden worden, so wäre das wohl kaum jemandem unbekannt.

Was ist also von einem knapp 160 Seiten starken Buch zu diesem Thema zu erwarten? Nichts! Und genau so ist es auch. Professor Eagleton hat sich die Mühe gemacht, eine Zeit lang alles aufzuschreiben, was ihm zur Frage nach dem Sinn des Lebens durch den Kopf gegangen ist. Besondere Sorgfalt hat er nicht walten lassen; auch sonderlich sortiert hat er es anschließend nicht. Zwischendurch regt er sich mal über reiche Prominente auf, die er allerdings hauptsächlich aus dem »Goldenen Blatt« zu kennen scheint, dann räsoniert er einige Seiten über Samuel Becketts »Warten auf Godot«, wobei er eine genaue Kenntnis des Stücks beim Leser wohl einfach voraussetzt. Dann redet er wieder ein wenig über Wittgenstein, wozu ihm etwas bei Aristoteles einfällt. Achja, dann waren da ja auch noch Schopenhauer und Nietzsche, zwei wirklich unangenehme Zeitgenossen. Und dann gibt es noch diese eine Stelle bei Wittgenstein:

Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.

Diese kurze Passage aus dem Tractatus logico-philosophicus kann vom Leser nur dann verstanden werden, wenn er weiß, wie die Sprachtheorie des frühen Wittgenstein funktioniert: Wittgensteins Konstrukt einer Idealsprache erlaubt ausschließlich ein Sprechen über konkrete Sachverhalte einer gegenständlichen Welt. Aufgrund dieser Struktur kann mit ihr nur über die »wissenschaftlichen Fragen« (die im Tractatus auch nicht identisch sind mit dem, was man sich gemeinhin darunter vorstellt) gesprochen werden. Wenn diese alle beantwortet wäre, bliebe aufgrund der Sprachstruktur keine mögliche, unbeantwortete Frage mehr übrig. Was übrig bleibt, darüber lässt sich nicht sprechen, wenigstens nicht in Wittgensteins Idealsprache.

Und wie lautet Professor Eagletons Kommentar zu diesen Sätzen?

Wie sollen wir diese kryptischen Sätze verstehen? Wittgenstein meint wahrscheinlich nicht, der Sinn des Lebens sei grundsätzlich eine Scheinfrage, sondern nur soweit es die Philosophie betrifft. […] Alle lebenswichtigen Fragen, so glaubte er, liegen außerhalb der strengen Grenzen des Subjekts. Der Sinn des Lebens ließ sich seines Erachtens nicht sagen, wie es in einer Tatsachenaussage geschieht, und für den frühen Wittgenstein hatten nur solche Aussagen Sinn. Wir erhaschen zumindest einen Blick auf den Sinn des Lebens, wenn wir erkennen, dass er nicht zu den Dingen gehört, die eine Antwort auf eine philosophisch sinnvolle Frage sein können.

Nein, Professor Eagleton, zumindest der frühe Wittgenstein meinte bestimmt etwas anderes und wahrscheinlich nicht das, was Sie sich da zusammenfaseln. Das mag für eine Konversation auf einer Gartenparty vielleicht gerade noch durchgehen, ist aber tatsächlich ein übles Gemisch aus Halbwissen und assoziativem Geraune. Und so ist im Wesentlichen das ganze Buch. Nirgends findet sich eine auch nur einigermaßen ernsthafte Auseinandersetzung mit einer der vorgeführten Positionen, alles bleibt im Beliebigen, und ich konnte während der Lektüre den Verdacht nicht loswerden, dass Eagleton eigentlich meint, man müsse nur wieder an den lieben Gott glauben, dann wäre alles in Ordnung. Und am besten als Katholik, denn die Protestanten sind eine üble, schwarzseherische und freudlose Bande – zumindest in Professor Eagletons Welt.

Alles im allen ein ärgerliches Buch, das deutlich hinter dem selbst gesetzten Anspruch zurückbleibt.

Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Berlin: Ullstein, 42008. Pappband, 159 Seiten. 18,– €.

Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann

edmons_fischer Das Elend mit diesem Buch beginnt schon beim Titel: Aus dem englischen Bobby Fischer Goes to War (also: »Bobby Fischer zieht in den Krieg«) macht der deutsche Verlag den oben angeschriebenen Titel. Man versucht damit wahrscheinlich, das Buch denjenigen Lesern zu empfehlen, die schon das vorangegangene Opus des Autorenteams David Edmonds und John Eidinow, Wittgenstein’s Poker, gekauft hatten, das bei der DVA den Titel Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhaken drohte trägt. Nun vertreten die beiden Autoren im Buch leider einen Standpunkt, der dem gewählten Titel ausdrücklich widerspricht:

Tatsächlich war der Weltmeisterschaftskampf keineswegs eine Verkörperung des Ost-West-Konfliktes, sondern fiel zeitlich genau in die Hochblüte der Entspannungspolitik. […] Obwohl nahezu alle westlichen Darstellungen des Fischer- Spasski-Kampfes die Ereignisse in weltpolitische Zusammenhänge rücken, sind sie in dieser Hinsicht seltsam irreführend. [S. 358]

Und genau in diese als irreführend bezeichnete Darstellungslinie ordnet der deutsche Titel das Buch ein. Allerdings ist es auch verständlich, dass sich in der Marketing-Abteilung der DVA keiner bereit fand, das Buch bis dorthin zu lesen. Das ist wesentlich auch der Übersetzung zuzuschreiben:

Fischers taktische Meisterleistung gegen Donald Byrne (den Bruder von Robert) wurde umgehend, auch wenn es vielleicht etwas übertrieben war, als die beste Einzelpartie des Jahrhunderts bezeichnet. Sein Spiel war ein beeindruckendes Kunstwerk, vielschichtig und komplex, mit kühner Weitsicht, und es machte in der Schachwelt Furore. Der Internationale Meister Bob Wade meinte, daß die Partie mit dem siebzehnten Zug, bei dem Fischer (Schwarz) einen Läufer zurücknahm, Le6, und den Angriff auf seine Königin übersah, auf eine »unsterbliche Ebene« gehoben wurde. Tatsächlich hatte Fischer keine vernünftige Alternative zu Le6, da jeder andere Zug zu seiner Niederlage geführt hätte, doch die Schnelligkeit, mit der die Stellung seines Gegners danach zusammenbrach, kam für Schachliebhaber trotzdem fast einem Wunder gleich. Schon beim fünfundzwanzigsten Zug war unübersehbar, daß Byrnes Figuren in einer erbärmlichen Unordnung waren. [S. 22 f.]

Mag man diese und ähnliche Stellen noch den Übersetzern zur Last legen wollen (was ist eigentlich so schwierig daran, ein Buch vor der Drucklegung einem Schachspieler mit einem etwas ausgeprägteren Stilgefühl zur Lektüre anzudienen, um wenigstens solch dilettantische Passagen wie die oben zitierte zu vermeiden?), zeigen andere die Inkompetenz und Geschwätzigkeit der Autoren auf:

Bei ihrer Einzelpartie [in Mar del Plata, 1960] spielte Spasski (Weiß) das Königsgambit, eine ungestüme Eröffnung, bei der Weiß einen Bauern opfert, um die Brettmitte zu beherrschen und die wichtigsten Figuren rasch einsetzen zu können. (Die Eröffnung gilt inzwischen als unvorteilhaft: Bei präzisem Spiel von Schwarz gewinnt Weiß praktisch keinen Ausgleich für den Verlust des Bauern.) [S. 29]

In jedem Gambit wird ein Bauer geopfert; das Wort Gambit meint nichts anderes. Und in jeder Eröffnung geht es darum, die Brettmitte zu beherrschen und die Figuren rasch zur Wirkung zu bringen. Und das Königsgambit galt schon damals bei den meisten Schachspielern als riskante Eröffnung, in der Weiß eher auf Ausgleich spekuliert, als ihn sicher zu erreichen. Die Wahl des Königsgambits durch Spasski besagt eher etwas über seine Einschätzung des jungen Fischer, als es eine Aussage über die Qualität der Eröffnung macht.

Die Eröffnung [die Sizilianische Verteidigung], eine Spezialität des Sizilianers Gioacchino Greco, der im siebzehnten Jahrhundert lebte, wird in dem sowjetischen Film Schachfieber aus dem Jahre 1925 erwähnt, bei dem mit José Capablanca ein echter Weltmeister mitspielte. Die Ehe eines Paars droht auseinanderzugehen, weil der Ehemann schachbesessen ist. Schließlich findet das Paar doch noch sein Glück, da die Frau den Zauber des Spiels schätzen lernt. Ihr letzter Satz, unmittelbar vor der Schlußszene, die mit einem Kuß endet, lautet: »Schatz … laß uns die Sizilianische Verteidigung probieren.« [S. 259 f.]

Einmal abgesehen davon, dass dieser Und-das-wissen-wir-auch-noch-Unsinn nahezu die einzige Erläuterung der beiden Autoren zu Fischers meistgespielter Eröffnung darstellt, könnte man wenigstens durch kurzes Nachschlagen in Erfahrung bringen, dass sich Gioachino Greco nur mit einem »c« schrieb und dass die Sizilianische Verteidigung zwar durch Greco benannt, aber schon vor dessen Geburt, spätestens von Giulio Cesare Polerio in die Praxis eingeführt worden war. Außerdem könnte man die kleine Höflichkeit besitzen, den Schachweltmeister von 1921–1927, José Raúl Capablanca, mit seinen beiden Vornamen zu benennen. Was der Rest dieser Passage in dem Buch verloren hat, bleibt völlig unerfindlich. Aber weiter geht’s:

Bei Zug sechzehn [der vierten Partie des WM-Kampfes 1972] brachte Fischer unklugerweise ein Bauernopfer, wonach Spasskis beide Läufer das Brett praktisch in Beschlag nahmen, indem sie die langen Diagonalen kontrollierten. Wenn es dem Weltmeister im komplexen Mittelspiel gelungen wäre, Raum für einen vermeintlich sinnlosen Zug mit seinem Turm zu finden, hätte er Weiß (Fischer) zwingen können, einen Bauern vorzuziehen. Und dieser Bauer hätte anschließend den Fluchtweg blockiert, über den Fischer entkommen konnte. [S. 260]

Leider war es nun aber Spasski, der schon im 13. Zug einen Bauern opferte (der allerdings erst im 16. Zug geschlagen wurde), ein Zug übrigens, der von den Kommentatoren nicht für unklug, sondern für besonders stark gehalten wird, da er, wie auch die beiden Autoren richtig irgendwo abgeschrieben haben, die beiden schwarzen Läufer aktiviert (von denen wiederum nur einer »die lange Diagonale kontrolliert«, während der andere schlicht auf die weiße Königsstellung zielt). Was es mit dem »vermeintlich sinnlosen Zug mit seinem Turm«, für den Spasski angeblich keinen »Raum« hat finden können, auf sich hat, wissen die Götter. Wahrscheinlich ist 29… Td8 gemeint, ein Zug, den Spasski ohne Tempoverlust hätte einschalten können, da Fischer seinen Springer auf d4 mittels 30. c3 hätte verteidigen müssen. Aber auch dabei hat weder die Rede vom mangelnden »Raum« noch vom »blockierten Fluchtweg« einen Sinn.

Wenn man von den zahlreichen sachlichen und sprachlichen Mängeln absieht, ist das Buch eine ganz brauchbare Darstellung der welt- und schachpolitischen Umstände, unter denen der WM-Kampf 1972 in Reykjavík stattgefunden hat. Das Buch macht zum einen deutlich, welche Entwicklungen der WM-Kampf 1972 angestoßen hat, so etwa den Traum von der Vermarktung des Schachspiels im Fernsehen, dem auch heute noch hohe Funktionäre anhängen, oder die Steigerung der Preisfonds, die zu einer ausgeprägten Profi-Elite des Schachs geführt hat. Zum anderen liefert es interessante Einblicke in die Bedingungen, Strukturen und Entscheidungsprozesse auf der sowjetischen Seite, die so detailliert und zugleich kompakt bislang wohl noch nicht zu lesen waren. Dagegen fällt die von den Autoren ausgegrabene Sensation der Entdeckung von Fischers wahrem Vater etwas dünn aus, da der wahre so wenig eine Rolle in Fischers Leben gespielt hat wie der falsche.

Insgesamt ein schlecht geratenes Buch, das durch die Übersetzung keine Aufwertung erfahren hat. Für den echten Fachmann wahrscheinlich weitgehend unerheblich, für den nachgeborenen Schachspieler aber von einigem Interesse, wenn er sich denn entschließen kann, an den Schwächen und Fehlern vorbeizulesen.

David Edmonds / John Eidinow: Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann. Die ungewöhnlichste Schachpartie aller Zeiten. Aus dem Englischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. München: DVA, 2005. Pappband, 432 Seiten. 22,90 €.

Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel

eco_pendel Nach beinahe 30 Jahren aus Neugier die Lektüre eines zweiten Romans von Eco (seine Essays und wissenschaftlichen Publikationen stehen auf einem gänzlich anderen Blatt), da er mir in der letzten Zeit immer mal wieder untergekommen ist und mich interessiert hat, ob sich der Eindruck der Lektüre von Der Name der Rose wieder einstellen würde. Und er hat sich wieder eingestellt; diesmal habe ich die Lektüre allerdings nach 250 Seiten abgebrochen. Auch Das Foucaultsche Pendel ist ein langweiliger Krimi, aufgefüllt mit Material, das Beweis für einen beeindruckenden Fleiß des Autors ist, ansonsten aber nichts anderes als eine in Dialoge umgesetzte, wirre Ansammlung von Referaten anderer Literatur, die ich im Original nicht würde lesen wollen, um so viel weniger in Ecos Inhaltsangaben.

Der Roman dreht sich im Wesentlichen um zahlreiche Lieblingsthemen der europäischen Mystiker und Verschwörungstheoretiker: Im Zentrum stehen die Templer, aber auch Rosenkreuzer und zahlreiche andere ähnliche Gruppen werden nach Belieben ins Treffen geführt. Verbunden ist das alles durch ein dünnes Fähnchen von Handlung, in der sich die handelnden Personen ständig gegenseitig den Inhalt irgendwelcher Bücher erzählen. Da dem Autor selbst klar war, dass eine solche Lektüre für einen nicht dem Wahn verpflichteten Leser insgesamt ungefähr so spannend ist wie die eines Kursbuchs, strickt er eine Rahmenhandlung, in der ein Ich-Erzähler unmittelbar vor der großen Entdeckung steht, auf die hin sich der Leser durch 700 Seiten Stoff quälen soll.

Mir liegt die 18. Auflage der deutschen Taschenbuchausgabe vom De- zember 2006 vor, und ich frage mich, wie einem solch durch und durch wirren und langatmigen Buch solche Best- und Longseller-Qualität zuwachsen kann. Ich muss allerdings gestehen, dass ich schon die Faszination des Rosen-Buches nicht wirklich habe nachvollziehen können. Nur die wenigsten seiner weltweit in die Millionen gehenden Leser kann sich ernsthaft für die Probleme der Bettelorden oder Ecos Anspielungen auf die positivistische Philosophie interessiert haben, die auch dadurch nicht wirklich spannender wurden, dass Eco sich herabgelassen hat, sie denen, die sie nicht von selbst verstanden, ausführlich nachzuweisen und zu erläutern. Nun hatte Der Name der Rose wenigstens einen starken und schillernden Protagonisten wie William von Baskerville, dem in Das Foucaultsche Pendel jegliches Pendant fehlt.

Ich werde Eco hiermit endgültig unter die mir unlesbaren Roman-Autoren ablegen.

Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel. dtv 11581. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 182006. 841 Seiten. 13,– €.

Enzensberger: Im Irrgarten der Intelligenz

enzensberger-irrgarten Hans Magnus Enzensberger hat es mal wieder witzig gemeint und die Pointe nicht recht rübergebracht. Sein »Idiotenführer«, wie er das Büchlein selbst nennt, versucht eine Kritik der gerade wieder grassierenden Intelligenz-Hysterie, allerdings unterläuft sein Text die Latte einer ernsthaften Auseinandersetzung deutlich. Einzig originell ist sein Ansatz, die Intelligenz als »Tugend« der modernen Gesellschaft anzusprechen; allerdings folgt aus dieser Einordnung schlicht nichts, wie aus den meisten anderen gedanklichen Ansätzen des Bändchens auch. Das Ding ist sicherlich gut gemeint, aber das war es dann auch. Wie Tucholsky so richtig festgestellt hat:

Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay.

gould-vermessen Wichtig ist das Büchlein einzig und allein, weil es wieder einmal an ein wirklich bedeutendes Buch zum Thema Intelligenzforschung und -messung erinnert, das aufgrund seines Alters droht, in Vergessenheit zu geraten: Stephen Jay Goulds Der falsch vermessene Mensch. Alles Relevante, was Enzensberger zu sagen hat, steht schon bei Gould, und es steht hier in einem sauberen, wissenschaftlichen Argumentationszusammenhang. Goulds Kritik der Intelligenz-Industrie zeigt stringent, dass völlig unklar ist, was Intelligenztests eigentlich messen bzw. dass das, was sie messen, wahrscheinlich nicht mehr ist, als die Fähigkeit des Geprüften, einen Intelligenztest auszufüllen. Zudem liefert seine Darstellung der mit dem Intelligenzbegriff verknüpften Vorurteile von Vererbung und rassischen Unterschieden, die diese Tests angeblich nachweisen, eine unverzichtbare soziologische Rahmung, die die Karriere des Konzepts Intelligenz erst begreiflich und zugleich inakzeptabel macht. Diesen Zusammenhang ignoriert Enzensberger nahezu komplett – obwohl er Goulds Buch benutzt und anführt –, so dass seine Kritik weitgehend beliebig bleibt.

Hans Magnus Enzensberger: Im Irrgarten der Intelligenz. Ein Idiotenführer. edition suhrkamp 2532. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2007. 59 Seiten. 7,– €.

Stephen Jay Gould: Der falsch vermessene Mensch. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 583. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988. 394 Seiten. 15,– €.

Hartwig Schultz: Joseph von Eichendorff

schultz_eichendorff Insel legt mit diesem Buch wenige Tage vor dem 150. Todestag Eichendorffs die fällige neue Biographie des letzten echten Romantikers vor. Der Autor hat durchaus einen guten Namen in Sachen Eichendorff: Er ist Mitherausgeber der großen Eichendorff-Ausgabe beim DKV und hat auch bei Reclam nicht nur die neue, illustrierte Taugenichts-Ausgabe herausgegeben, sondern auch zahlreiche Anthologien betreut und Texte kommentiert. Um so verwunderlicher ist es, dass seine Eichendorff-Biographie in Teilen oberflächlich und uninteressant bleibt.

Schon seine späten Zeitgenossen hatten mit der Wahrnehmung Eichendorffs einige Schwierigkeiten: Seine Werke hatten sich überlebt und schienen bereits einer anderen Epoche anzugehören, seine katholische Grundüberzeugung passte nur ungenügend in die immer säkularere Zeit, und so musste es der alte Eichendorff erleben, bereits vor seinem Ableben literaturgeschichtlich für tot erklärt worden zu sein. Was im Wesentlichen geblieben ist, ist sein Taugenichts, der zu einem erklärten Lieblingsbuch der Deutschen wurde, dem von Fontane und Thomas Mann sogar zugemutet wurde, ein Idealbild der Deutschen zu liefern, und das, inzwischen zur Schullektüre heruntergekommen, bis dato nur selten in seinem motivischen und artifiziellen Reichtum verstanden und erschlossen worden ist. Interessanterweise kann auch Schultz mit dem Text so wenig anfangen, dass er – trotz seiner Herausgeberschaft und seinem Status als Kommentator – nicht einmal in der Lage ist, die Fabel einigermaßen stimmig und vollständig wiederzugeben. Auch scheint er gänzlich taub zu sein für jeglichen Humor Eichendorffs; nur an einer Stelle äußert er den Verdacht, es könne sich um eine »vielleicht sogar ironische gedachte – Darstellung eines literarischen Modells der Romantik« handeln, lässt sich aber in seinen weiteren Ausführungen von diesem Einfall nicht weiter verunsichern. Dafür unterschlägt er beim Nacherzählen die Liebesintrige und den Aufenthalt auf dem Schloss, versetzt die Prager Studenten einfach an eine andere Stelle im Text – es kommt ja ohnehin nicht so genau drauf an, nicht wahr?

Auch ansonsten herrschen allenthalben Oberflächlichkeit und Schlamperei: Da heißt Eichendorffs Versepos Julian auch gern einmal »Julius« oder sein Robert und Guiscard wird zum beinahe schon Kleistschen »Robert Guiscard« verkürzt. Oder Schultz gibt die Nummern der immerhin von ihm mit herausgegebenen Taschenbuch-Bände der DKV-Ausgabe falsch an. Oder der Leser wird mit tiefen Einsichten in die Motivik der Romantik überrascht: »Offensichtlich führte die oft einsame Lage der Mühlen dazu, daß dieser Ort seit je mit Liebesbegegnungen in Verbindung gebracht wurde.« Ja, ja, offensichtlich! Oder zur Geschichte der Romantik: »Heute werden Eichendorff und Heine beide zu den größten Dichtern der deutschen Romantik gezählt, aber es waren eben Dichter und keine Verfasser objektiv abwägender Literaturgeschichten.« Und der Thomas Mannsche Wind zum Taugenichts wird kommentiert: »Thomas Manns ausführliche Charakteristik von Eichendorffs Werk und seinem Helden ist – wie könnte es anders sein – treffend und überzeugend.« Wie es anders sein könnte? Selbstgefälliges Geschwafel könnte es sein, wie so oft bei Thomas Mann!

Bei Werken, zu denen Schultz gar nichts eingefallen ist, zitiert er einfach ausführlich zeitgenössische Rezensionen, ohne klar zu machen, warum die damaligen Urteile für den heutigen Leser erheblich sein sollen. Überhaupt macht das Buch an keiner einzigen Stelle klar, was an Eichendorff 150 Jahre nach seinem Tod für Leser noch von Interesse sein könnte. Es kann sich ja nicht in der Feststellung erschöpfen, dass zahlreiche seiner Lieder heute noch gesungen werden.

Ein Buch, dem man die Lustlosigkeit und Zeitnot des Verfassers allenthalben anmerkt. Es hat einzig den Vorteil, nicht ganz so umfangreich zu sein wie die Biographie von Günther Schiwy (C.H. Beck, 2000), die inzwischen auch an einigen wenigen Stellen überholt ist, ist aber höchstens zur ersten und oberflächlichen Information geeignet. Der Eichendorff-Liebhaber oder gar -Kenner sollte seine Zeit besser verwenden als mit der Lektüre dieses alles in allem doch ärgerlichen Buches.

Hartwig Schultz: Joseph von Eichendorff. Frankfurt/M.: Insel, 2007. Pappband, 368 Seiten. 22,80 €.

Dunkel war’s, der Mond schien helle …

In seiner soeben erschienenen Biographie Josephs von Eichendorff zitiert Hartwig Schultz gleich zu Anfang den offensichtlich an der Goetheschen Selbstdarstellung in »Dichtung und Wahrheit« ironisch entlang geschriebenen Bericht Eichendorffs von den äußeren Umständen seiner Geburt:

Es war eine tiefe, stille, klare Winternacht des Jahres 1788, die Konstellation war überaus günstig, Jupiter und Venus blinkten freundlich auf die weißen Dächer, der Mond stand im Zeichen der Jungfrau und mußte Schlag Mitternacht kulminieren.

Schultz merkt dazu an:

Alle Umstände der Geburt sind in den autobiographischen Entwürfen, die unter dem Titel Unstern überliefert sind, so präzise beschrieben, daß der Leser annehmen muß, der Autor habe sich genau erkundigt. Eichendorff gibt nicht nur die Wetterbedingungen zum Zeitpunkt seiner Geburt an, sondern scheint auch den Stand der Gestirne ergründet zu haben – ganz so genau hat er es aber doch nicht genommen, da die Venus um Mitternacht natürlich längst untergegangen ist. [S. 7]

Liest man Eichendorffs Text genau, so bemerkt man, dass dort gar nicht steht, Venus sei um Mitternacht noch am Himmel sichtbar gewesen, sondern nur, dass der Mond um Mitternacht habe kulminieren müssen. Nun hat Schultz aber dennoch recht, er weiß es bloß nicht, da er – wie unter Germanisten üblich – lieber halbgebildet daherfaselt, als sich auch nur für fünf Minuten mit einer fachfremden Sache ernsthaft zu befassen. Ansonsten hätte er nämlich herausfinden können, dass am 8. März 1788 Neumond gewesen ist und der noch nicht zwei Tage alte Mond am 9. März schon vor 8 Uhr abends, etwa eine Stunde vor der Venus, untergegangen war. Von einer Kulmination um Mitternacht konnte also gar keine Rede sein. – Ja, wenn man’s nur ein bißchen tiefer wüßte.

Aus dem Leben eines Taugenichts

taugenichtsReclam bringt zum Eichendorff-Jahr (der 26.11.2007 ist der 150. Todestag Eichendorffs) eine wunderhübsche illustrierte Neu-Ausgabe dieses Textes, der wahrscheinlich mit zu den meistgedruckten und am häufigsten illustrierten der deutschsprachigen Literatur gehört. Hans Traxler hat neben dem bedruckten Leineneinband auch das Vorsatzpapier gestaltet und 19 großformatige Bilder zum »Taugenichts« geliefert. Die Zeichnungen entsprechen in ihrer vordergründigen Einfachheit und leichten Ironie ganz wundervoll der zwischen artistischer Raffinesse und volkstümlichem Ton gespannten Erzählung Eichendorffs.

Der »Taugenichts« erfreut sich seit seinem Erscheinen 1826 bei Lesern einer beinahe durchgängigen Beliebtheit. Auch zahlreiche nachgeborene Schriftsteller haben sich lobend über Eichendorffs erzählerisches Meisterstück geäußert. Diese breitgestreute positive Resonanz (aus der eigentlich nur die Germanistik des ausgehenden 19. Jahrhunderts ausschert, die mit Eichendorffs Prosa kaum etwas anzufangen weiß) deutet daraufhin, dass hier nicht nur ein populärer Ton getroffen wurde, sondern auch artistisch etwas Besonderes gelungen ist.

Eichendorff hat in seinem »Taugenichts« zahlreiche literarische Tendenzen und Moden seiner Zeit sowohl inhaltlich als auch formal einfließen lassen: Passagenweise liest sich der Text wie ein »modernes« Märchen, andere Passagen haben deutlich den Charakter eines Traumtextes:

In diesem Schlosse ging es mir wunderlich. Zuerst, wie ich mich in der weiten kühlen Vorhalle umschaue, klopft mir jemand mit dem Stocke auf die Schulter. Ich kehre mich schnell um, da steht ein großer Herr in Staatskleidern, ein breites Bandelier von Gold und Seide bis an die Hüften übergehängt, mit einem oben versilberten Stabe in der Hand, und einer außerordentlich langen gebogenen kurfürstlichen Nase im Gesicht, breit und prächtig wie ein aufgeblasener Puter, der mich fragt, was ich hier will. Ich war ganz verblüfft und konnte vor Schreck und Erstaunen nichts hervorbringen. Darauf kamen mehrere Bedienten die Treppe herauf- und heruntergerannt, die sagten gar nichts, sondern sahen mich nur von oben bis unten an. Sodann kam eine Kammerjungfer (wie ich nachher hörte) gerade auf mich los und sagte: ich wäre ein scharmanter Junge, und die gnädige Herrschaft ließe mich fragen, ob ich hier als Gärtnerbursche dienen wollte? – Ich griff nach der Weste; meine paar Groschen, weiß Gott, sie müssen beim Herumtanzen auf dem Wagen aus der Tasche gesprungen sein, waren weg, ich hatte nichts als mein Geigenspiel, für das mir überdies auch der Herr mit dem Stabe, wie er mir im Vorbeigehn sagte, nicht einen Heller geben wollte. Ich sagte daher in meiner Herzensangst zu der Kammerjungfer: »Ja«; noch immer die Augen von der Seite auf die unheimliche Gestalt gerichtet, die immerfort wie der Perpendikel einer Turmuhr in der Halle auf und ab wandelte, und eben wieder majestätisch und schauerlich aus dem Hintergrunde heraufgezogen kam.

Wieder andere – so etwa das Künstlerfest in Rom – tragen eindeutig den Charakter einer Gesellschaftssatire, während sich noch andere als Literaturparodien auf den Entwicklungsroman oder die Trivialromane des frühen 19. Jahrhunderts lesen lassen. Zugleich steckt der »Taugenichts« voller literarischer Anspielungen: Unfraglich ist der Held zugleich auch ein fahrender Minnesänger; er ist ein bürgerlich gewendeter Parsival, der reine Tor, der der Verführung durch Frau Venus widersteht. Er ist aber auch ein verkehrter Wilhelm Meister, dem der Gang durch die Welt gar nichts nützt und der am Ende unverwandelt von einer praktischen Frau ins bürgerliche Leben hinübergeführt wird.

Alle diese divergenten Elemente hat Eichendorff unter einer scheinbar harmlosen, wohlgefälligen und unanstößigen Geschichte vereint, ohne dass sie einander behindern oder stören. Alles scheint mit leichtester Hand gearbeitet, nichts wirkt gezwungen, nirgends merkt man dem Text die Mühe und Sorgfalt des Autors an. Sicherlich verführt diese glatt gearbeitete Oberfläche auch dazu, den Text zu unterschätzen; aber auch das mag der Absicht Eichendorffs durchaus entsprechen.

Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts. Bilder von Hans Traxler. Hg. v. Hartwig Schultz. Stuttgart: Reclam, 2007. Bedrucktes Leinen, fadengeheftet, 149 Seiten. 16,90 €.