Max Frisch: Homo faber

978-3-518-36854-1 Wie schon erwähnt, ist bei mir gerade aus didaktischen Gründen Max Frisch »dran«. Ich hatte eigentlich vor Jahren innerlich mit der Frisch-Lektüre abgeschlossen. Frisch war bei mir einer der ganz frühen, wichtigen Autoren in der Lesegeschichte, aber eines Tages war es dann soweit, dass ich alles Belletristische von ihm wenigstens einmal gelesen hatte – von den architektonischen Texten fehlt mir das meiste, aber das hat mich nie sonderlich interessiert, und auch viele der politischen Traktate und Reden habe ich übersprungen –, die wichtigen Romane und Erzählungen auch mehrfach, so dass ich beruhigt denken durfte, es sei nun genug und es gäbe auch noch soviel anderes zu lesen. Nun habe ich aber vor einiger Zeit angefangen, Literatur zu unterrichten, und so kommt man zu den alten Texten doch noch einmal zurück. Im nächsten Semester steht dann auch Dürrenmatt wieder einmal auf dem Plan.

Homo faber ist bei der nun fünften oder vielleicht auch sechsten Lektüre wieder einmal ein Buch vor dem ich mit Staunen und Schrecken stehe. Schrecken über die streckenweise hölzerne, ungelenke Sprache, bei der ich mir auch heute noch nicht sicher bin, wie viel von ihr der Rollenprosa Walter Fabers geschuldet ist und wie viel schlicht dem Unvermögen des Autors. Da geht Faber ein »Ristorante […] durch den Kopf«, das Wort »komisch« wird ständig für »seltsam« oder »merkwürdig« eingesetzt, auch dort, wo sich daraus kein Doppelsinn ergibt, Vorzeitigkeit zum erzählerischen Präteritum wird mit dem Perfekt gebildet, ein Nominativ ersetzt einen Akkusativ, hier und da fehlt eine Negation im Satz, um ihn logisch konsistent zu machen, da gibt es »jüdische Pässe« und was der Flausen mehr sind. Wie gesagt: Einiges davon mag man auf das Konto des Erzähler Fabers buchen wollen, aber auch in anderen Texten Frischs geht es zuweilen sprachlich recht locker zu. Ich erinnere mich an eine Stelle aus Montauk:

BLUE RIBBON, die Lichtschrift rot wie Limonade in der Dämmerung.

Staunend allerdings stehe ich auch diesmal – und diesmal wohl mehr als je zuvor – vor dem motivischen Reichtum des Textes, vor der sorgfältigen Gestaltung der Erzählerfigur, vor dem Verzicht darauf, seinen Erzähler wenigstens bis zur der Einsicht gelangen zu lassen, die der Autor ihm voraushaben muss, weil der Autor weiß, dass ihm auch dieses Bildnis von sich und der Welt nichts helfen würde. Faber ist nicht mehr zu helfen, aus seiner Verblendung gibt es keinen anderen Weg als den Tod – und so stirbt er, als er endlich mit seinem Schreiben in seiner Gegenwart angekommen ist. Da Faber eine Figur ohne Zukunft ist, gibt es weiter nichts zu schreiben.

08.05 Uhr
Sie kommen.

Mit manchen Dingen schließt man vielleicht doch nie ab …

Max Frisch: Homo faber. Suhrkamp Tacshenbuch 354. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1977. 208 Seiten. 8,– €.

Urs Bircher: Max Frisch

3-85791-286-3 Die bislang einzige umfangreiche biografische Darstellung des Lebens von Max Frisch, die inzwischen auch nicht mehr lieferbar ist. Wer sich derzeit über Frischs Leben informieren möchte, ist – wenn er nicht antiquarisch suchen will – auf die inzwischen ebenfalls mehr als zehn Jahre alte, dünne Rowohlt-Monographie von Volker Hage angewiesen. Das ist kein gutes Zeichen für einen Autor.

3-85791-297-9 Die beiden Bände von Urs Bircher behandeln sowohl die eigentliche Biografie als auch das Werk umfassend und – soweit ich das beurteilen kann – sorgfältig. Die Darstellung der Werke hat zumeist einführenden Charakter, was dem Rahmen des Buches aber ganz angemessen ist. Hier und da merkt man, dass das Buch von einem Fan geschrieben wurde, da kritische Stimmen zwar in Auswahl zitiert werden, die Zustimmung von Rezensenten und Kollegen zum Werk aber nahezu immer im Vordergrund steht. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Schwächen des Autors Frisch sollte man nicht erwarten. Auch eine Auseinandersetzung mit der Nachwirkung zumindest für das knappe Jahrzehnt nach Frischs Tod fehlt. Die zahlreichen Überschriften und ein Namen- und Werkregister in beiden Bänden erlauben den gezielten Zugriff auf bestimmte Themen oder Werke. Etwas lästig ist für den Leser allein die Marotte, die Legenden zu allen Bilder am Ende des jeweiligen Bandes zu versammeln.

Urs Bircher: Max Frisch 1911–1955. Vom langsamen Wachsen eines Zorns. Zürich: Limmat Verlag, 1997. Bedruckter Pappband, 287 Seiten. Derzeit nicht lieferbar.

Ders.: Max Frisch 1956–1991. Mit Ausnahme der Freundschaft. Zürich: Limmat Verlag, 2000. Bedruckter Pappband, 276 Seiten. Derzeit nicht lieferbar.

Max Frisch / Friedrich Dürrenmatt: Briefwechsel

978-3-257-06174-1 Ein mit 36 Briefen dünner Briefwechsel dieser beiden prominentesten Schweizer Autoren des vergangenen Jahrhunderts, den ich aus didaktischem Anlass wieder einmal aus dem Schrank geholt habe. Natürlich erklärt sich der geringe Umfang hauptsächlich daraus, dass Frisch und Dürrenmatt sehr vieles mündlich verhandelt haben bzw. sich später nur noch wenig zu sagen hatten. Man merkt beiden am Ende die gute Absicht an, mit der der jeweils andere nichts mehr anzufangen weiß. Dennoch waren sie wohl bis zum Schluss mit dem Gegenüber innerlich mehr beschäftigt, als es die äußerlich bleibenden Briefe ahnen lassen.

Daher ist das beinahe das Wichtigste an dem Buch der umfangreiche Essay Fast eine Freundschaft des Herausgebers Peter Rüedi, der die Bekanntschaft der beiden Autoren sorgfältig aufarbeitet und darstellt. Rüedi hat zudem die einzelnen Briefe sorgfältig kommentiert, so dass das Bändchen eine Fülle von biografischen Materialien zu beiden Autoren liefert. Die Texte sind ergänzt um einige Brief-Faksimiles und Bilder sowie eine parallele Chronik zu beiden Autoren. Ein Personen- und Werkregister erschließt das Buch.

Max Frisch / Friedrich Dürrenmatt: Briefwechsel. Hg. v. Peter Rüedi. Zürich: Diogenes, 1998. Leinen, Lesebändchen, 240 Seiten. 19,90 €.

Lion Feuchtwanger: Die häßliche Herzogin

978-3-7466-5627-4 Auf eine Empfehlung hin als vorläufig letzten der historischen Romane Feuchtwangers gelesen. Auch sonst kommt nun erst einmal wieder ein anderer Autor dran und das nicht nur, damit dies hier nicht zu einem Feuchtwanger-Blog ausartet. Zudem fällt mir die Rezension dieses Mal ausgesprochen schwer, denn es ist kein richtig schlechtes Buch, so richtig gelungen ist es aber auch nicht.

Es beginnt damit, dass das Buch mehr eine historische Phantasie als einen historischen Roman liefert. Zwar werden die historischen Rahmenbedingungen im Großen weitgehend korrekt dargestellt, aber damit ist die Grenze auch schon erreicht. Es muss als Legende gelten, dass Margarete, Herzogin von Kärnten, ausnehmend hässlich gewesen sei, jedenfalls wissen die zeitgenössischen Quellen darüber nichts. Der Beiname Maultasch scheint überhaupt nicht auf die Körperbildung der Herzogin zurückzugehen, vielmehr scheint es sich dabei um gegnerische Propaganda gehandelt zu haben. Damit fällt zumindest schon einmal jeglicher Zusammenhang zwischen der von Feuchtwanger angesetzten Hässlichkeit der Herzogin und den tatsächlich geschehenen geschichtlichen Abläufen weg. Auch der den Großteil des Buches durchziehende Kampf der hässlichen Margarete gegen die schöne Agnes gerät so zur reinen Phantasie und muss ganz für sich selbst, ohne die Weihe der historischen Wahrhaftigkeit bestehen.

Hier aber kommt die bereits bei der Josephus-Trilogie angemerkte Schwäche in der Figurenentwicklung zum Tragen. Feuchtwangers Figuren mögen sich für die Bühne eignen, für einen Roman sind sie deutlich zu eindimensional und statisch. Alles an Maragrete und was sie tut, erklärt sich letztlich aus ihrer Hässlichkeit, der Frauenberger ist ein skrupelloser Intrigant und sonst eben gar nichts, der Schenna treu, Prinz Friedrich ein verantwortungsloser Hallodri usw. usf. Jede Figur bleibt in ihrem Muster, erfüllt brav die ihr zugedachte Funktion, aber keine einzige Figur hat wirklich Leben, changiert, wird ihrer Eintönigkeit selbst einmal müde oder gerät gar zu sich selbst in einen Widerspruch. Alle Figuren sind ordentlich, funktional und langweilig.

Zudem ist das Buch an einigen Stellen flüchtig und lieblos gearbeitet. So wird etwa das Giftfläschchen, das Margarete dem Frauenberger auf S. 181 in die Hand drückt, auf S. 179 eingeführt, und der darin befindliche »Saft« verwandelt sich auf S. 234 mir nichts dir nichts in ein »Pulver«. Da wird dem Sohn der Maragrete, Meinhard, wohl wegen des charakterisierenden Namens ein Siebenschläfer als Schmusetier beigesellt, von dem nicht nur wiederholt behauptet wird, es handele sich dabei um ein Murmeltier – das nun wieder einer ganz anderen Tierfamilie angehört –, sondern das auch sonst als Haustier denkbar ungeeignet ist:

Der Siebenschläfer wird verhältnismäßig selten in der Gefangenschaft gehalten. Es läßt sich von vornherein erwarten, daß ein so großer Fresser geistig nicht sehr befähigt sein, überhaupt nicht viele gute Eigenschaften haben kann. Sein Wesen ist nicht gerade angenehm, seine größte Tugend die Reinlichkeit; im übrigen wird er langweilig. Er befindet sich fortwährend in gereizter Stimmung, befreundet sich durchaus nicht mit seinem Pfleger und knurrt in eigenthümlich schnarchender Weise jeden wüthend an, welcher sich erfrecht, ihm nahe zu kommen. Dem, welcher ihn ungeschickt angreift, beweist er durch rasch aufeinanderfolgende Bisse in sehr empfindlicher Weise, daß er keineswegs geneigt sei, sich irgendwie behelligen zu lassen. Nachts springt er wie rasend im Käfige umher und wird schon deshalb seinem Besitzer bald sehr lästig. Er muß auf das sorgfältigste gepflegt, namentlich gefüttert werden, damit er sich nicht durch den Käfig nagt oder einen und den andern seiner Gefährten auffrißt; denn wenn er nicht genug Nahrung hat, geht er ohne weiteres andere seiner Art an und ermordet und verzehrt sie ebenso ruhig wie andere kleine Thiere. Auch die im Käfige geborenen Jungen sind und bleiben ebenso unliebenswürdig wie die Alten.

Brehms Tierleben (1882 ff.)

Solche Patzer sind ärgerlich und mit ein wenig Sorgfalt und Recherche vermeidbar.

Wer sich nur für die geschichtlichen Abläufe des 14. Jahrhunderts im Großen interessiert, findet ein ganz nettes Lesebuch; mehr sollte man aber nicht erwarten.

Lion Feuchtwanger: Die häßliche Herzogin. Aufbau Taschenbuch 5627. Berlin: Aufbau, 72008. 270 Seiten. 8,95 €.

Lion Feuchtwanger: Der Tag wird kommen

feuchtwanger_josephus_III Der dritte Band der Josephus-Trilogie. Das Buch ist zuerst 1942 in einer englischen Übersetzung erschienen, dann 1945 das deutsche Original. Der Roman verschärft die Tendenzen, die sich schon im zweiten Teil Die Söhne beobachten ließen: Der Autor kann mit seinem ursprünglichen Protagonisten Josephus Flavius nun noch weniger anfangen als bislang schon. So gerät das Buch zu einem historischen Roman über den Kaiser Domitian, in dem Josephus nurmehr eine Nebenfigur abgibt. Josephus ist zwar weiterhin mit dem Kaiserhaus schicksalhaft verbandelt, aber weder der Umfang der Anteile am Text, die ihm gewidmet sind, noch die darin geschilderten Ereignisse heben ihn wesentlich über andere Nebenfiguren in diesem Roman heraus. So erfahren wir etwa ausführlich vom Schicksal der Vestalin Cornelia, die im berauschten Zustand vom Privatsekretär des Kaisers beschlafen und deshalb einem jämmerlichen Tod zugeführt wird. Oder von Clemens und Domitilla, deren Söhne Domitian zu seinen Nachfolgern bestimmt hat, und die deshalb als störende Elemente in der Erziehung der Knaben beseitigt werden müssen. Oder von der Kaiserin Lucia, ihrem Einfluss, ihrer Macht und ihren Sym- und Antipathien dem Kaiser gegenüber. Usw. usf.

Feuchtwanger war diese Schwäche des Romans natürlich bewusst. Er hat versucht sie dadurch zu verschleiern, dass er die Josefs-Figur an Anfang und Ende des Romans prominent präsentiert – so wird seinem Tod das Schlusskapitel gewidmet, das deshalb auch wie angeklebt wirkt – und außerdem den Roman in zwei Teile gliedert, deren ersten er »Domitian« und deren zweiten er »Josephus« überschreibt. Erzählt wird über Joseph in etwa das folgende: Er sitzt daheim mit seiner neuen Familie, die er mit Mara gegründet hat und schreibt an seiner »Geschichte des jüdischen Volkes«. Er tritt nur selten in der Öffentlichkeit auf und lebt ein bescheidenes und zurückgezogenes Leben für einen Mann seines Ruhms. Aufgrund seiner prominenten Position unter dem Kaiser Vespasian ist er am Hofe aber nicht vergessen. Er nimmt am Besuch einer Delegation jüdischer Gelehrter aus Jabne beim Kaiser teil, bei der unter anderem erörtert wird, dass der Messias dem Geschlecht  Davids entstammen soll, was auch für Josephus zutrifft. Der Kaiser will nun alle Nachfahren Davids töten lassen, um sicher zu gehen, dass es keinen Messias wird geben können, fürchtet sich aber vor dem unsichtbaren Gott der Juden so sehr, dass er doch lieber darauf verzichtet. Stattdessen sucht er lieber eine Gelegenheit, Josephus zu verletzen, die er auch findet, als dessen Sohn Matthias ins Gefolge der Kaiserin Lucia eintritt und in die Affäre um die oben schon erwähnte Domitilla verwickelt wird. Dies liefert Domitian den Vorwand, Matthias ermorden zu lassen. Josephus überführt die Leiche des Matthias zur Beisetzung nach Judäa und verbringt den Rest seines Lebens dort. Mit über 70 lässt er sich noch einmal von nationalistischen Gefühlen hinreißen und wird von einer Gruppe römischer Soldaten beiläufig zu Tode geschleift.

Auch in diesem Buch zeigt sich wieder Feuchtwangers Desinteresse an Entwicklung oder Veränderung seiner Figuren. Domitian gleicht als Kaiser in seinen Befürchtungen und Motivationen weitgehend seinem Bruder und Vorgänger im Amt Titus, er reagiert nur bösartiger auf sie. Josephus ändert sich in den mehr als 50 Jahren, die die Trilogie umfasst, nicht – wie Feuchtwanger im Roman explizit schreibt –, sondern bleibt im Grunde derselbe eitle, von sich und seiner Sendung überzeugte Dummkopf, der er von Anfang an ist. Das eigentliche Problem mit dieser Hauptfigur ist aber, dass sie die knapp 1.500 Seiten der Trilogie einfach nicht trägt. So wiederholt sich vieles und die soziale Dynamik der Figuren hat sich lange erschöpft, bevor der Leser den dritten Band erreicht. Was bleibt, ist ein Erzählen historischer Ereignisse, von denen sich einige ereignet haben mögen, die meisten aber sicherlich nicht. Insoweit bleibt die Trilogie am Ende eine Enttäuschung, gut zum Zeitvertreib, mehr aber nicht. Wer sich einen Eindruck verschaffen will, für den genügt es, den ersten Band Der jüdische Krieg zu lesen und den ersten Teil dieses dritten Bandes.

Lion Feuchtwanger: Der Tag wird kommen. Aufbau Taschenbuch 5604. Berlin: Aufbau, 32006. 439 Seiten. 10,00 €.

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P.S.: Was den Aufbau Verlag wohl dazu getrieben haben mag, ausgerechnet Catilina als Abbildung aufs Cover zu setzen?

Lion Feuchtwanger: Die Söhne

feuchtwanger_josephus_II Zweiter Teil der Josephus-Trilogie. Wie bei der Besprechung von Der jüdische Krieg bereits festgestellt, war das Werk ursprünglich nur auf zwei Bände angelegt. Ein Nachwort Feuchtwangers zu Die Söhne teilt dem Leser mit, dass der zweite Band bei Erscheinen des ersten bereits vollständig konzipiert und zu einem großen Teil auch geschrieben war. Diese Fassung und die zugehörigen  Materialien wurde bei der Plünderung von Feuchtwangers Haus im März 1933 – Feuchtwanger befand sich seit November 1932 im Ausland – durch die Nationalsozialisten vernichtet. Feuchtwanger schreibt weiter:

Den verlorenen Teil in der ursprünglichen Form wiederherzustellen erwies sich als unmöglich. Ich hatte zu dem Thema des »Josephus«: Nationalismus und Weltbürgertum, manches zugelernt, der Stoff sprengte den früheren Rahmen, und ich war gezwungen, ihn in drei Bände aufzuteilen.

Ob das dem Roman gut getan hat, ist natürlich eine kaum zu entscheidende Frage. Allerdings ist das Buch recht handlungsarm und langatmig geraten. Es beginnt mit dem Tod Kaiser Vespasians (79) und erstreckt sich bis über den Tod Titus’ (81) hinaus in die erste Regierungszeit von dessen Bruder Domitian. Wie der Titel schon vorgibt, steht im Zentrum eines Großteils der Handlung der Kampf des Josephus Flavius um seine beiden Söhne: Simon, sein »jüdisches Kind«, das er zusammen mit seiner ersten Frau Mara gezeugt hat, und Paulus, dessen Mutter die Ägypterin Dorion ist, die den Knaben im Sinne der griechischen Kultur erziehen lässt und dem Joseph aus einem Rachebedürfnis heraus entfremdet. Joseph kämpft um seinen Sohn Paulus, in dem er sein Ideal des jüdisch-griechischen Weltbürgers zu verwirklichen sucht, indem er ein Adoptionsverfahren anstrengt. Als er die Gunst des Kaisers Titus für sich erlangen kann, gewinnt er den Prozess, gibt den nun rechtlich unter seiner Obhut stehenden Jungen aber seiner Mutter zurück, als er begreift, wie unglücklich er ihn durch die Trennung von Mutter und Lehrer gemacht hat. Unterdessen ist der etwas von Joseph vernachlässigte Simon bei einem jugendlichen Kampfspiel verunglückt und ums Leben gekommen.

Dann kehrt Joseph nach Judäa zurück. Hier trifft er seine erste Frau Mara wieder, und es gibt eine ganze Menge Gerede um die jüdische Sekte der Christen und den Fortbestand des Judentums überhaupt. Josephus wird für eine Weile in die lokalen religiös-politischen Streitigkeiten verwickelt, entschließt sich dann aber überraschend, Mara wieder zu heiraten und nach Rom zurückzukehren, um endlich mit seiner großen Geschichte des jüdischen Volkes zu beginnen. Das Buch endet mit einer durch Domitian inszenierten öffentlichen Demütigung Josephs, die ihn für immer von seinem Sohn Paulus zu trennen scheint.

Der offensichtlichste Mangel des Buches ist wohl, dass Feuchtwanger ein ausreichend gewichtiger Handlungsfaden fehlt: Während in Der jüdische Krieg der Krieg, seine Vorgeschichte und seine Folgen das Unterfutter für eine Art von Entwicklungsroman Josephs lieferte, fehlt eine solche grundierende Fabel diesmal. Das Buch erschöpft sich daher über weite Strecken darin, zwischen einzelnen Figuren und Schauplätzen hin und her zu springen, ohne dass der Leser einen Eindruck davon bekäme, wo das ganze hinaus will. Der Charakter des Josephus bleibt weitgehend statisch; der Entwicklungsroman wird nicht fortgesetzt, man hat den Eindruck, dass der Autor selbst nicht so recht weiß, was er mit seinem Protagonisten anfangen soll. Dafür treten ideologische Aspekte stark in den Vordergrund: Es wird an einer breiten Zahl von Fällen erörtert, wie Isolationismus der Juden und Vorurteile der Nichtjuden einander bedingen und verstärken, so dass auch der Gutwilligste unfähig bleibt, die Schranken zu überwinden. Allerdings ist derlei höchstens ausreichend für eine Kurzgeschichte und trägt keinen Roman.

Insgesamt ein Buch, das sich nicht recht entscheiden kann, was es nun eigentlich erzählen will, deshalb viele Versuche und nur wenig wirklich Gerundetes enthält.

Lion Feuchtwanger: Die Söhne. Aufbau Taschenbuch 5603. Berlin: Aufbau, 32006. 527 Seiten. 10,00 €.

Lion Feuchtwanger: Der jüdische Krieg

feuchtwanger_josephus_I Der erste Roman einer Trilogie, in deren Zentrum der jüdisch-stämmige Historiker Josephus Flavius steht. Der erste Band umfasst in etwa fünf Jahre vom ersten Besuch Josefs in Rom noch unter der Herrschaft Neros bis zu seiner Rückkehr dorthin unter dem Kaiser Vespasian. In der Zwischenzeit hat er eine erstaunliche Karriere hinter sich gebracht: Vom jüdischen Rebellenführer im Kampf gegen die römische Besatzungsmacht Judäas über die Gefangenschaft bis zum offiziellen Kriegsberichterstatter des jüdischen Krieges und persönlichen Berater des Kaisersohns Titus. Am Ende des Romans ist aus dem jungen jüdischen Juristen ein kompletter Außenseiter geworden: Die jüdischen Gemeinden Jerusalems und Roms feinden ihn an und das römische Bürgerrecht, das er sich für einen hohen Preis vom Kaiser hatte erwerben müssen, um seine Geliebte heiraten zu können, erscheint als eine Äußerlichkeit, der keine soziale Gemeinschaft entspricht.

Der Roman konzentriert sich auf einige wenige »große Figuren« der Zeit, wobei deren Motivationen nicht immer ganz zu überzeugen wissen. Auch die konkreten politischen Vorgänge – so etwa die Ausrufung Vespasians zum Kaiser – bleiben eher schemenhaft. Auch der Alltag der »kleinen Leute« in Rom und dem Nahe Osten bleibt bis auf einzelne Schilderung der Unterschiede zwischen jüdischen und römischen Haushalten eher blass. Sehr überzeugend sind dagegen die Belagerung und Zerstörung Jerusalems, deren Beschreibung sicherlich den Höhepunkt des Buches bilden.

Die Entwicklung des Protagonisten hebt sich recht positiv von der Darstellung der anderen Figuren ab: Josef Ben Matthias beginnt seine Karriere als ein hoch begabter, aber auch etwas selbstverliebter junger Mann, der erst langsam lernt, dass seine Handlungen neben den erwünschten auch unerwünschte und von ihm unvorhergesehene Konsequenzen zeitigen, dass sein Konzept des »Vernünftigen« durchaus nicht von allen seinen Zeitgenossen geteilt wird und dass er schließlich weit öfter Getriebener als Treiber ist.

Das Ende des Buches macht deutlich, dass es nicht für sich steht, sondern eine Fortsetzung konkret geplant geplant war; allerdings hatte Feuchtwanger wohl vorerst an einen, nicht zwei weitere Bände gedacht. Es hat sich dann so ergeben, dass die drei Bände der Josephus- zwischen 1931 und 1941 alternierend mit denen der Wartesaal-Trilogie entstanden sind. Die beiden Folgebände werden ebenfalls hier vorgestellt werden.

Lion Feuchtwanger: Der jüdische Krieg. Aufbau Taschenbuch 5602. Berlin: Aufbau, 32006. 463 Seiten. 10,00 €.

Richard Ford: Die Lage des Landes

ford_lageDer dritte der Frank-Bascombe-Romane, erschienen im Jahr 2006, also 20 Jahre nach Der Sportreporter. Die Handlung spielt wieder einmal in einem Wahljahr, diesmal im Jahr 2000 vor dem Thanksgiving-Wochenende im November – diesmal also ein Herbst-Roman nach dem Oster-Wochenende und dem Unabhängigkeitstag. Der Wahlausgang (George W. Bush vs. Al Gore) ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar, da das Ergebnis der Wahlen in Florida noch gerichtlich geklärt werden muss.

Frank Bascombe befindet sich einmal mehr in einer Umbruch-Phase seines Lebens. Er hat Sally, seine Geliebte aus Unabhängigkeitstag geheiratet, die ihn allerdings inzwischen für ihren Ex-Mann, den sie hatte für tot erklären lassen und der im Frühjahr 2000 unvermutet wieder aufgetaucht war, verlassen hat. Frank leidet unter Prostata-Krebs, der mittels radioaktiver Titan-Kügelchen behandelt wird. Der Krebs lässt Frank ernsthaft über seinen Tod nachdenken; außerdem fürchtet er, impotent zu werden. Während der Zeit seiner Krankheit hat ihn seine Tochter Clarissa betreut; zu seinem Sohn Paul hat er ein eher gespanntes Verhältnis – die beiden scheinen sich nicht recht zu verstehen. Und um die private Verwirrung komplett zu machen, macht ihm nicht nur seine Ex-Frau Ann einen überraschenden Heiratsantrag, sondern er erhält auch einen Brief von Sally, die ihm mitteilt, dass ihr Ex-Mann inzwischen tatsächlich verstorben ist. Geschäftlich geht es Frank aber gut: Er hat sich als Makler selbstständig gemacht, hat sogar einen Angestellten, der aber gerade Ambitionen entwickelt, sich ebenfalls auf eigene Beine zu stellen. Außerdem ist er von Haddam nach Sea-Clift, direkt am Atlantik, umgezogen, wo er in Sallys altem Haus lebt.

Insgesamt ähnelt das Buch sehr stark den beiden Vorläufer-Bänden. Wieder beherrscht das breite, aber nicht sehr tiefgehende Raisonnement Franks den Text. Wieder ist seine individuelle Vergangenheit der Anker dieses Sinnierens über Gott und die Welt. Wieder geht es um Amerika, Toleranz, die politische und wirtschaftliche Zukunft, aber eben zugleich auch um die persönliche Lage, die Ängste, die Hoffnungen, Sehnsüchte und Schwächen des Protagonisten. Die sich schon in Unabhängigkeitstag andeutende Zunahme von Gewalt wird in dieser Fortsetzung noch einmal verschärft; ganz nebenbei wird auch das Thema des Terrorismus angeschnitten und durchgespielt. Und die das Buch beschließende Pointe kommt so unerwartet, dass sie hier verschwiegen werden muss.

Ich habe diesmal die Übersetzung mit dem Original abgeglichen, da der deutsche Text von Frank Heibert weniger glatt erscheint als der der beiden anderen Bände. Alle auffälligen Stellen hielten einem Vergleich aber ohne weiteres stand; allerdings sollte erwähnt werden, dass die deutsche Übersetzung mit etwa 1.500.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) 20 % mehr Text enthält als das englische Original. Das ist eine recht hohe Quote für eine Übersetzung und macht das Buch wohl behäbiger, als es sein müsste. Ich kann aber keine konkreten Vorschläge machen, was man wie hätte anders und kürzer fassen können.

Eine gelungene und runde Fortsetzung. Ob es den Abschluss der Bascombe-Reihe darstellt, bleibt offen. Vielleicht ist es aber nicht gut, die drei Bände so rasch hintereinander zu lesen, wie ich das getan habe, denn besonders zu Anfang des dritten Bandes ist mir Frank Bascombe ein wenig auf die Nerven gegangen, was er sicherlich bei persönlicher Bekanntschaft auch tun würde. Aber das kann man dem Autor kaum vorwerfen, da er sich für die Trilogie immerhin 20 Jahre Zeit gelassen hat.

Richard Ford: Die Lage des Landes. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Berlin: Berlin Verlag, 2007. Pappband, 681 Seiten. 24,90 €.

Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo

feuchtwanger_toledo Endlich also Feuchtwanger! Feuchtwanger ist eine der ganz großen Lücken meiner Lesegeschichte. Nun hat der Aufbau Verlag anlässlich der 50. Wiederkehr des Todestages drei Kassetten mit Romanen Feuchtwangers auf den Markt gebracht: zum einen fünf historische Romane – darunter eben auch Die Jüdin von Toledo –, zum zweiten die »Wartesaal«-Trilogie und zum dritten die Josephus-Trilogie. Ich habe das zum Anlass genommen, endlich mit der Feuchtwanger-Lektüre zu beginnen.

Die Jüdin von Toledo behandelt die legendenhafte Affäre Alfons VIII. von Kastilien mit einer schönen Jüdin, die seit dem 16. Jahrhundert zahllose Bearbeitungen in Romanzen, Dramen und Erzählungen erfahren hat, selbst aber natürlich alles andere als originell ist, sondern letztendlich auf den Aufenthalt des Odysseus auf der Insel der Kalypso zurückgeht. Was den Roman Feuchtwangers auszeichnet, ist, dass er diese Legende in ein historisch genaues Zeitbild Spaniens im 12. Jahrhundert einpasst, die Geschichte der »Fermosa« mit den historischen Ereignissen verknüpft und ihr auf diese Weise mehr als die übliche tragische Liebesgeschichte abgewinnt.

Feuchtwangers Erzählung beginnt mit der Rückkehr Jehuda Ibn Esras nach Toledo. Er ist eine Art Wirtschaftsminister für Alfons VIII., der gerade in einen achtjährigen Frieden mit den Moslems der iberischen Halbinsel hat einwilligen müssen. Jehuda kehrt mit einer fast erwachsenen Tochter und einem jüngerern Sohn in das toledanische Haus seiner Familie zurück, das zuvor von den Baronen Castro bewohnt war, mit denen Alfons VIII. verfeindet ist. Alfons ist mit seinem neuen Minister nicht sehr zufrieden, da dessen Vorsicht, Umsicht und Bedachtsamkeit seinem ritterlichen Wesen zuwider sind. Alfons erscheint als eine Art gezähmter Raufbold, der sich nur ungern sagen lässt, was gut für sein Land ist.

Als Alfons die Tochter Jehudas, Raquel, kennenlernt, verliebt er sich widerstrebend in sie. Er lässt für sie ein altes Lustschloss in der Umgebung Toledos wieder herrichten und verfügt, dass sie dort zu wohnen habe. Vater und Tochter willigen in dieses Arrangement ein, und Alfons verfällt dort seiner Liebe zu Raquel so sehr, dass er darüber sein Land und seine Frau vergisst. Seine Frau Leonora aber, immerhin Tochter des englischen Königs Heinrich II., verzehrt sich vor Eifersucht und dynastischen Befürchtungen, denn Raquel gebiert Alfons den lang ersehnten Sohn und möglichen Thronfolger. Leonora stiftet also einen Krieg an, der ihren Mann aufs Schlachtfeld zwingen soll, wo er seine kleine Jüdin hoffentlich rasch vergessen soll. Um sicher zu gehen, stiftet sie – während Alfons sich im Krieg befindet – auch noch einen der Barone Castro zur Ermordung Jehudas und seiner Tochter an. Das Kind bleibt verschont, da es Jehuda schon zuvor hat in Sicherheit bringen lassen, um es der christlichen Taufe zu entziehen. Den aus dem Krieg nach Toledo geschlagen zurückkehrende König trifft die Nachricht von der Ermordung Raquels schwer. Er geht als veränderter, tief getroffener Mann aus dieser Kriese hervor.

Feuchtwanger leuchtet den Stoff gründlich aus: Ihn interessieren über die tragische Liebesgeschichte hinaus das Verhältnis von Privatem und Historischem, die wirtschaftlichen Grundlagen von Krieg und Frieden, das Verhältnis der drei abrahamitischen Religionen zueinander sowohl im historischen als auch im aktuellen Sinn. Er setzt der kriegerischen bzw. feindlichen Opposition der Angehörigen der Glaubensgruppen die tolerante Auseinandersetzung freier Geister im Hause Jehudas gegenüber, in dem ein moslemischer Skeptiker, ein christlicher Zweifler und ein junger jüdischer Wahrheitssucher gleichberechtigt miteinander umgehen, ohne dass dazu einer von seiner Religion oder seiner Herkunft Abstand nehmen müsste.

Als etwas mühsam mögen einige jüngere Leser wahrscheinlich die leicht manieristische Sprache des Romans empfinden, die auch hier und da Kobolz schießt. Was mir am meisten gefehlt hat, ist psychologische Dynamik der Figuren: Außer Alfons und Raquel wandelt sich eigentlich keine der Figuren, und selbst bei diesen beiden erscheint die Verwandlung mehr behauptet als durchgeführt. Und Sätze wie die folgenden sind schon das Höchste, wozu sich Feuchtwanger aufschwingt:

Don Alfonso hörte zu, ablehnend, doch mit Teilnahme. Seine Welt war nun einmal die der Ritter. Die Wahrheit eines Königs war eine andere als die eines alten Juden und Bänkers. Seine, Alfonsos, Philosophie waren die Lieder Bertrans. Dabei hat dieser Ephraim vermutlich recht, und wenn er, Alfonso, in zwölf Jahren seinen Krieg erfolgreich führen will, muß er jetzt die Untern verhätscheln.

Die Wahrheit eines Königs ist nicht die eines Bänkers und dennoch hat der Bänker wahrscheinlich recht? Was für eine Sorte von Wahrheit soll denn das bitte sein? Und »Seine Welt war nun einmal die der Ritter« befindet sich psychologisch etwa auf dem Niveau von »La donna è mobile«.

Insgesamt ein gut lesbarer, stoffreicher Roman über die hochmittelalterliche Phase der Reconquista.

Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo. Mit dem Nachwort des Autors von 1955. Aufbau Taschenbuch 5638. Berlin: Aufbau, 112008. 511 Seiten. 9,95 €.