Herr Eichhorn und der Mond

meschenmoser_mondWie versprochen, hier der Hinweis auf die erste Geschichte vom Herrn Eichhorn und seinen Freuden. Herr Eichhorn hat das Problem, dass er eines Tages vor seiner Wohnung den Mond findet, der direkt vom Himmel gefallen zu sein scheint. Herr Eichhorn macht sich große Sorgen, dass er beschuldigt werden könnte, den Mond gestohlen zu haben und versucht deshalb, ihn möglichst rasch los zu werden. Man kann sich denken, dass das nicht so einfach ist, besonders weil auch der Igel und der Bock und schließlich auch noch eine Gruppe von Mäusen in die Affäre verwickelt werden – wonach sich der Mond, offen gesprochen, in keinem guten Zustand mehr befindet. Mehr soll hier nicht verraten werden; aber das Buch wird ebenso wie Herr Eichhorn und der erste Schnee dringend zur Lektüre empfohlen.

Sebastian Meschenmoser: Herr Eichhorn und der Mond. Esslingen: Esslinger Verlag, 22007. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, 44 Seiten. 9,95 €.

Herr Eichhorn und der erste Schnee

meschenmoser_schnee Ein Bilderbuch von Sebastian Meschenmoser, von dem es noch ein weiteres Bilderbuch über den Herrn Eichhorn gibt, das ich bei nächster Gelegenheit hier vorstellen werde.

Herr Eichhorn und der erste Schnee erzählt die Geschichte der Herren Eichhorn, Igel und Bär, die alle drei noch nie Schnee gesehen haben, weil sie zu dem Zeitpunkt immer schon im Winterschlaf liegen. Da nun aber der Bock dem Herrn Eichhorn erzählt hat, wie wundervoll der Schnee ist, nimmt der sich vor, in diesem Jahr wenigstens die erste Schneeflocke abzuwarten. Allerdings wird Herr Eichhorn schon bald vom Warten ganz furchtbar müde und muss sich zuerst in Gesellschaft des Igels und dann des Bären mit den rabiatesten Methoden wach halten. Wie die drei dann im Wald die erste Schneeflocke suchen (weiß, kalt, feucht), ganz unterschiedliche Schneeflocken finden und schließlich doch noch den ersten Schnee erleben, ist mit einem solch einfachen und klaren Humor erzählt und illustriert, dass das Buch eine helle Freude ist. Ich habe lange nicht mehr so herzlich bei einer so einfache Geschichte gelacht! Ein rundum wundervolles Buch, auch zum Verschenken.

Sebastian Meschenmoser: Herr Eichhorn und der erste Schnee. Esslingen: Esslinger Verlag, 22008. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, 60 Seiten. 9,95 €.

Wer mag, kann sich bei libreka.de auch einen optischen Eindruck vom Buch verschaffen.

Zwei neuere Bücher über Vladimir Nabokov

maar_solus Bereits im letzten Jahr ist Michael Maars Solus Rex erschienen. Der Titel ist der eines Romanfragments Nabokovs aus dem Jahr 1939, zugleich aber auch der Name einer bestimmten Art von Schachproblem, bei der ein schwarzer König allein einer weißen Armee gegenübersteht. Aber der Leser braucht sich keine Sorgen zu machen: Außer bei dieser einen Erklärung kommt Nabokov als Schachspieler und Problemkomponist in diesem Buch nicht vor.

Maar ist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, als er im März 2004 unter großer öffentlicher Anteilnahme die Entdeckung einer mutmaßlichen Anregung zu Nabokovs Roman Lolita publizierte. Maar hat später in seinem Büchlein Lolita und der deutsche Leutnant versucht, dass dadurch provozierte Missverständnis wieder gerade zu rücken, was ihm aber wahrscheinlich eher nicht gelungen ist.

Solus Rex ist ein motivisch lockerer Gang durch das erzählerische Werk Nabokovs, wobei Maar Themen behandelt wie etwa Nabokovs Auseinandersetzung mit Thomas Mann – wobei die Erzählung Der Kartoffelelf als Antwort auf Manns Der kleine Herr Friedemann gelesen wird –, seine Homophobie und das daraus resultierende zuerst schwierige, dann schuldbeladene Verhältnis zu seinem Bruder, das Auftauchen von Geistern im Werk und anderes mehr. Es werden zahlreiche motivische Verbindungen innerhalb des Werks und zu zahlreichen anderen Schriftstellern gezogen, und es ist durchaus vergnüglich dieser Schlenderei zu folgen. Wie erschließend und hilfreich das alles am Ende ist, wird sich nur demjenigen eröffnen, der selbst bereit ist, die Originale gründlich zu studieren und sich auf die eigentümliche Welt Nabokovs einzulassen. Nabokov ist nun einmal kein Autor für eine Lektüre en passant.

Der Leser sollte also keine Biografie oder systematische Einführung in das Werk Nabokovs erwarten, sondern sich mit einem interessanten, aber essayistischen Zugriff zufrieden geben können.

zimmer_lolitaDieter E. Zimmer ist als sein langjähriger Übersetzer und Herausgeber der Werkausgabe bei Rowohlt sicher einer der besten deutschen Kenner Nabokovs, wenn nicht der beste. Sein gerade erschienenes Buch Wirbelsturm Lolita beleuchtet dieses Hauptwerk Nabokovs aus verschiedenen Blickwinkeln: Publikationsgeschichte, Übersetzungen, die Frage nach dem vorgeblich pornografischen oder unmoralischen Charakter des Buches, aber auch zahlreiche inhaltliche Aspekte werden unprätentiös und frei von jedem literaturwissenschaftlichen Jargon spannend und gut lesbar präsentiert. Dabei hat nicht jedes Kapitel das gleiche Gewicht: So mag man Zimmers Reflexionen über die verschiedenen Schutzumschläge nicht in jedem Urteil nachvollziehen wollen oder den Bericht über die detektivische Arbeit, die nötig war, Humbert Humberts Fahrtroute in allen Details zu klären, für weniger gehaltvoll halten als deren Ergebnisse. Insgesamt aber ergibt sich ein hochinteressantes thematisches Panorama, das zahlreiche Missverständnisse über dieses wichtige Buch gerade rückt und entscheidende Hinweise zu seinem Verständnis gibt. Kennern wird der Band wahrscheinlich nur hier und da Neues bringen – so etwa die Geschichte der deutschen Übersetzung –, aber jedem, der einen Einstieg zu Nabokov sucht, sei die Lektüre dieses Buches dringend empfohlen! Oder, um es einmal mehr mit Lichtenberg zu sagen:

Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an.

In diesem Sinne könnte es sich bei Zimmers Buch um die wichtigste deutschsprachige Sekundär-Veröffentlichung zu Lolita überhaupt handeln, aber es steht zu befürchten, dass die Deutschen Zimmers Buch noch viel weniger lesen werden, als sie bereit sind, dem Original eine sorgfältige und verständige Lektüre angedeihen zu lassen. Wahrscheinlich wird Zimmers Buch als Merkstein des breiten – und nicht nur deutschen – Unverständnisses für dieses Meisterwerk stehen bleiben.

Nabokov sind mehr und immer bessere Leser überall auf der Welt zu wünschen, und Zimmers Buch ist die derzeit beste deutsche Werbeschrift für Buch und Autor. Vielleicht, wenn Rowohlt sich noch entschließen könnte, zum 50. Jubiläum der deutschen Ausgabe von Lolita auch die Biografie von Bryan Boyd im Taschenbuch erscheinen zu lassen, dass es in Deutschland zu einer breiten Wertschätzung des Meisters käme. Es wäre allmählich an der Zeit …

Michael Maar: Solus Rex. Die schöne böse Welt des Vladimir Nabokov. Berlin: Berlin Verlag, 2007. Pappband mit Lesebändchen, 205 Seiten. 22,– €.

Dieter E. Zimmer: Wirbelsturm Lolita. Auskünfte zu einem epochalen Roman. Reinbek: Rowohlt, 2008. Pappband mit Lesebändchen, bedruckte Vorsätze, 222 Text- + 24 Bildseiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen. 19,90 €.

Ian McEwan: Amsterdam

mcewan_amsterdamKurzer Roman von Ian McEwan, der bereits zehn Jahre alt ist. Die Handlung spielt im Erscheinungsjahr 1998 hauptsächlich in London und dreht sich im Wesentlichen um vier Männer, die sich zu Anfang auf einer Beerdigung treffen: Zu Grabe getragen wird Molly Lane, die mit einem der Männer, George, verheiratet war und mit den drei anderen längere Beziehungen hatte. Clive Linley ist ein erfolgreicher Komponist, der gerade an einem wichtigen Auftrag arbeitet, einer Millenniumssinfonie. Vernon Halliday ist ein ambitionierter Journalist, der versucht die Zeitung zu retten, deren Chefredakteur er ist. Julian Garmony schließlich, einer der letzten Liebhaber Mollys, ist sogar britischer Außenminister.

Der Großteil der Handlung dreht sich um Clive und Vernon, deren lange Freundschaft nun, nach dem Tod Mollys, zerbricht. Anlass sind Fotos, die sich in Mollys Nachlass finden, auf denen Garmony in Frauenkleidern posiert. George spielt Vernon diese Bilder zu, der darin nicht nur die Chance sieht, seiner Zeitung eine ungeahnte Auflagenhöhe zu verschaffen, sondern auch, den ihm politisch und persönlich verhassten Garmony politisch unmöglich zu machen. Zuerst stößt er in seiner Redaktion auf heftigen Widerstand, und als er sich, Verständnis für seine Position suchend, mit Clive ausspricht, hält auch der den Plan für moralisch verwerflich. Es kommt zu einem heftigen Streit zwischen den beiden, den sie zwar versuchen zwischenzeitlich zu schlichten, der aber letztlich in eine Katastrophe mündet.

Wie es ausgeht und besonders, warum der Roman den Titel Amsterdam trägt, soll hier nicht verraten werden, um niemandem die Lektüre zu verderben. Gesagt sei nur noch, dass McEwan die Handlung mit einem aktuellen ethischen, gesellschaftspolitischen Thema unterfüttert, aus dem er die abschließende Pointe schöpft.

Insgesamt bleibt der Eindruck einer etwas länglich geratenen Erzählung, die motivisch zu locker bleibt. Die wesentliche Entwicklung der Handlung hängt an Vernon; um ein Gleichgewicht der Hauptfiguren zu erreichen, wird Clive eine kreative Krise gestürzt, zudem noch in eine Nebenhandlung um einen Vergewaltiger verstrickt. Das alles wirkt konstruiert – ein Mangel, den McEwan dann in Abbitte in eine Stärke verwandelt hat –, ohne dass sich beim Leser der Eindruck eines notwendigen Zusammenhangs der Motive einstellt. Sieht man davon ab, bietet Amsterdam gute und intelligente Unterhaltung.

Ian McEwan: Amsterdam. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. detebe 23284. Zürich: Diogenes, 2001. 212 Seiten. 8,90 €.

Ian McEwan: Am Strand

mcewan_strand Eine längere Erzählung, in deren Zentrum die Hochzeits- nacht eines jungen, englischen Ehepaars steht. Die Hochzeitsreise hat sie nach Dorset geführt, wo sie in einem Hotel in der Nähe von Chesil Beach Quartier nehmen. Es ist der Juli 1962, und McEwan betont die zeitliche Nähe der erzählten Ereignisse zum Umbruch der Sexualmoral Ende der 60er-Jahre. Die Jungvermählten, Florence und Edward, scheinen auf den ersten Blick beide über keine erheblichen sexuellen Erfahrungen zu verfügen: Zwar masturbiert Edward offensichtlich exzessiv, aber Florence hat einen heimlichen Ekel vor den Vorstellungen, die sie von sexuellen Handlungen zwischen den Geschlechtern hat.

So beginnt diese Hochzeitsnacht unter schlechten Voraussetzungen: Während Edward sich an der Schwelle zur Erfüllung seiner sexuellen Wünsche wähnt, sieht sich Florence einer angstbesetzten Probe ihrer Liebe zu Edward gegenüber. McEwan behandelt die konkrete Situation selbst mit einigem psychologischen Geschick. Statt seine Protagoni- sten geradewegs auf die sich abzeichnende Katastrophe zusteuern zu lassen, schiebt er einen Augenblick echter Erregung als retardierendes Moment in den Gang der Ereignisse ein: Mehr zufällig berührt Edward bei einem ungeschickten Griff an den Oberschenkel seiner Frau dabei eines ihre Schamhaare, und sein hin- und herstreichelnder Daumen versetzt sie für einen Moment lang in einer Zustand, der sie ihre Angst vergessen lässt. Aber dann verdirbt Edward alles: Weil er den Reißverschluss am Kleid seiner Frau nicht öffnen kann, bricht er alle weiteren Zärtlichkeiten ab, entkleidet sich und versucht, ohne weitere Umstände zum Vollzug zu kommen. Florence, im Bewusstsein ihrer ehelichen Pflicht, greift nach seinem Glied und versucht, es in sich einzuführen. Bei dem Versuch erleidet Edward, der sich für die bevorstehende Hochzeitsnacht seit einer Woche der Masturbation enthalten hatte, einen vorzeitigen Samenerguss, den er nur als ein eklatantes Versagen begreifen kann. Florence wiederum ekelt sich vor dem sich über sie ergießenden Samen Edwards so sehr, dass sie aufspringt und aus dem Zimmer flieht.

Später findet Edward Florence am Strand wieder, und es kommt zum Streit. Florence eröffnet Edward einen Plan, den sie sich schon vor der Hochzeitsnacht zurechtgelegt hatte: Edward soll jegliche Freiheit genießen, sich mit anderen Frauen sexuell auszuleben, dabei aber mit ihr zusammenleben und sie lieben. Edward kann dies im Augenblick nur als einen Zynismus und Betrug an sich und seiner Liebe begreifen, und so kommt es zu einem endgültigen Bruch zwischen den beiden.

McEwan füllt diese kleine Studie mit den Vorgeschichten seiner beiden Protagonisten auf und rundet sie mit einer kurzen Erzählung ihrer weiteren Schicksale ab. Am spannendsten an der Geschichte von Florence dürfte ihr enges Verhältnis zu ihrem Vater sein, von dem der Text offenlässt, ob es sich um eine platonische Vater-Tochter-Liebe handelt, wie sie sich wohl in vielen Fällen entwickelt, oder ob diese Liebe in einen Missbrauch gemündet ist, den Florence komplett aus ihrem Bewusstsein verdrängt hat. Letzteres bleibt aber Spekulation, die der Text höchstens nahelegt, aber nicht tatsächlich stützt.

McEwan lässt aber von Beginn an keinen Zweifel daran, dass es sich für ihn wesentlich um eine Geschichte mangelnder Kommunikation handelt:

Sie waren beide jung, gebildet und in ihrer Hochzeitsnacht beide noch unerfahren, auch lebten sie in einer Zeit, in der Gespräche über sexuelle Probleme schlicht unmöglich waren. Einfach sind sie nie.

Wie oben bereits gesagt, ist die Nähe zur sogenannten Sexuellen Revolution nicht zufällig gewählt: McEwan konfrontiert die heutige Lage an der sexuellen Front – wie sie inzwischen in der Literatur gehandelt wird – mit der Situation, in der sich junge Menschen noch vor knapp 50 Jahren normalerweise befanden. Dies ist eine reizvolle Folie, und der Autor verzichtet bewusst auf jeglichen expliziten Kom- mentar der vorgeführten Differenz.

Ein gehaltvolles kleines Buch, das McEwan einmal mehr als einen Autor von außergewöhnlichem psychologischem Einfühlungsvermögen zeigt.

Ian McEwan: Am Strand. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Zürich: Diogenes, 2007. Leinenband, 208 Seiten. 18,90 €.

Weiland zu Radebeul …

Wir Deutschen sind merkwürdige Leute. Nicht etwa, daß wir uns ruhig gestehen: auch wir wollen uns einmal ausruhen und leichte Bücher lesen, auch wohl ruhig einmal einen richtigen Quark – das ist kein Mann, der nicht aus vollen Kräften banal sein kann – nein, wenn wirs schon tun, dann lügen wir uns irgend ein Brimborium darum herummer. Es gibt Leute, denen dieser Karl May – mir ist der Bursche immer als Ausbund der Fadheit vorgekommen – lieb und teuer ist. Aber sie sagens nicht. Sie malen ihm eine Glorie an: ihr meint, das sei einfach ein Unterhaltungsschriftsteller für die reifere Jugend gewesen? Gott bewahre, ein Philosoph war das, ein Mann mit den allegorischsten Hintergedanken, ein schwerer, vollbärtiger, sächsischer Denker, weiland zu Radebeul, jetzt in der Unsterblichkeit.

Kurt Tucholsky
Nette Bücher

May und Kafka

Der Bamberger Verleger Lothar Schmid, der seit 1951 mitverantwortlich für die gleichzeitige Glorifikation und Verhunzung des Schreiberlings Karl May und seiner sogenannten Werke ist, versucht den Freistaat Sachsen dazu zu bringen, den Nachlass seines Zugesels für die Summe von 15 Millionen Euro zu kaufen. Dort scheint man allerdings realistischere Vorstellungen vom »Wert« eines solchen Überbleibsels zu haben und bietet – gnädig genug – für den Haufen Unsinn immerhin noch 3,5 Millionen Euro an. Lothar Schmid jault deshalb. Immerhin, so sagt er in einem Interview mit Eckart Baier für das Börsenblatt des deutschen Buchhandels (Heft 16-2008, S. 17), hätten »Nachlassteile [sic!] eines anderen berühmten Autors, Franz Kafka, den siebenfachen Preis erzielt«. Etwas erstaunt fragt Baier nach:

Ist es denn legitim, Karl May mit Franz Kafka zu vergleichen?
Schmid: Selbstverständlich. Beide sind auf ihre Art geniale und wichtige Schriftsteller.

Wohlgemerkt: »auf ihre Art«!

Ian McEwan: Zwischen den Laken

mcewan_laken Sammlung von sieben routiniert und gekonnt erzählten Geschichten McEwans, von denen drei (Zwei Fragmente, Hin und Her und Psychopolis) bereits zuvor bei Diogenes veröffentlicht worden sind. Der Band hat kein wirklich einheitliches Thema, wenn sich auch die meisten mehr oder weniger zentral um das Thema Sexualität drehen. Sie umfassen stilistisch eine deutliche Bandbreite, so dass kein geschlossenes Bild der Sammlung entsteht. Die Übersetzungen scheinen – soweit sich das vom deutschen Text ablesen lässt – anspruchsvoll und sorgfältig gearbeitet zu sein.

Pars pro toto hier ein paar inhaltliche Hinweise: Pornographie erzählt von einem jungen Mann, der im Sexshop seines Bruders arbeitet. Nebenher hat er Verhältnisse zu mindestens zwei Frauen, die aber nichts voneinander wissen. Nun zwingt ihn eine Geschlechtskrankheit, sich für einige Zeit zurückzuziehen, und als er wieder Kontakt zu seinen Damen aufnimmt, erwartet ihn eine Überraschung …

Der kleine Tod erzählt von einem sehr erfolgreichen Londoner Geschäftsmann, der sich eines Tages in eine Schaufensterpuppe verliebt und mit ihr einige glückliche Wochen verbringt. Dann allerdings schöpft er Verdacht, dass sie ihn mit seinem Fahrer betrügen könnte und verfällt einer zunehmend tiefen Verzweiflung. So absurd die Grundkonstellation auf der einen Seite zu sein scheint, so realistisch gerät die aus ihr entwickelte Beziehungsgeschichte. Diese Erzählung stellt sicherlich das humoristische Prunkstück der Sammlung dar.

Die Titelerzählung erzählt von einem geschiedenen Schriftsteller, den die beginnende Pubertät seiner bei seiner Frau lebenden Tochter in einige Verwirrung stürzt. Der Titel In Betwen the Sheets stammt übrigens aus dem Rolling-Stones-Song Live With Me, der in der Erzählung auch zitiert wird.

Ian McEwan: Zwischen den Laken. Erzählungen. Aus dem Englischen von Michael Walter und Bernhard Robben. detebe 21084. Zürich: Diogenes Verlag , 2008. 224 Seiten. 8,90 €.

Walter Moers: Der Schrecksenmeister

moers-schrecksenmeister Es scheint beinahe unmöglich, diesem Buch oder besser dem Autor im Fall dieses Buches gerecht zu werden. Nach einem Buch wie Die Stadt der träumenden Bücher (2005) muss einem Schriftsteller die Herausforderung, die nächste Fortsetzung der Zamonien-Romane zu schreiben, von überwältigenden Schwierigkeit erscheinen. Beinahe scheint es, dass sich Moers in der »Anmerkung des Übersetzers« dafür entschuldigt, keinen zweiten Teil der Stadt geschrieben zu haben, sondern auf eine eher kleine, beinahe unscheinbare Geschichte ausgewichen zu sein.

Grundlage des Buches ist Gottfried Kellers Spiegel, das Kätzchen, ein »Märchen«, wie Keller selbst es benennt, das aber bei genauerer Betrachtung wenig Märchenhaftes aufweist, sondern sich erstaunlich konkret mit gesellschaftlichen Realitäten des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Mit all dem kann natürlich Moers’ Transfer in zamonische Gefilde wenig anfangen, was auf der einen Seite zu einer Verflachung und Verharmlosung des Stoffes, auf der anderen Seite zu nicht unwesentlichen Eingriffen in den Text geführt hat, besonders was die Länge und das Ende betrifft. Für den Kenner Kellers macht Moers’ Buch den Eindruck, den eine schlechte Verfilmung machen kann, die einen eigentlich ungeeigneten Stoff unter Aufgabe von Sinn und Struktur in das eigene Medium einpresst.

Doch dieser Eindruck ist zumindest insoweit unerheblich, als dass Moers’ Buch durchaus den Anspruch machen kann, ganz für sich selbst zu stehen und Kellers Märchen für nicht mehr als eine Anregung genommen zu haben. Aber selbst wenn man darauf verzichtet, Moers und Keller nebeneinander zu halten, so kommt man nicht umhin, es mit dem Vorläufer zu vergleichen. Und in diesem Vergleich schneidet es enttäuschend ab: Wo Die Stadt der träumenden Bücher überschäumte von Wortwitz, phantastischen Einfällen und skurrilen Figuren, hat Der Schrecksenmeister einen Schuhu mit einer Sprachstörung bei Fremdwörtern, eine Ansammlung literarischer Motive klassischer Schauerromane und als einzige erwähnenswerte Erfindung die Ledermäuse, deren wesentlicher Witz in der wiederholten Feststellung besteht:

Niemand versteht die Ledermäuse! Nicht mal die Ledermäuse!

Würde dieses Buch nicht im Schatten seines Vorgängers stehen, so erschiene all das sicherlich im Rahmen des Gewöhnlichen und würde für ein nicht herausragendes, aber durchaus angängiges Buch ausreichen. Aber so wird Die Stadt der träumenden Bücher wohl zu jenem Fall werden, an dem sich das Schicksal aller folgenden zamonischen Romane entscheiden wird.

Wie der unsterbliche Laurence Sterne bei Anlass des berühmten herausgerissenen Kapitels des Tristram Shandy so richtig schrieb:

Ein Zwerg, der einen Maßstab bei sich führt, um damit seine eigene Länge zu messen, ist – glauben Sie mir’s auf mein Wort – in mehr als einem Sinne ein Zwerg.

Walter Moers: Der Schrecksenmeister. München: Piper, 2007. Bedruckter Pappband, Lesebändchen, farbiger Kopfschnitt, 384 Seiten. 22,90 €.

McCall Smith: Die verschmähten Schriften …

mccall-smith-schriften … des Professor von Igelfeld ist ein Sammelband der drei kleine Büchlein zusammenfasst, deren gemeinsamer Held der im deutschen Titel genannten Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist. Leider ist der Titel insoweit etwas irreführend, als Professor Dr. Igelfeld keinerlei verschmähte Schriften geschrieben hat und dementsprechend der Band weder solche enthält noch von ihnen zu berichten weiß. Offensichtlich hat sich der deutsche Verlag gescheut, den englischen Sammeltitel The 2½ Pillars of Wisdom zu übernehmen, offenbar weil Lawrences Sieben Säulen der Weisheit den deutschen Lesern nicht mehr präsent genug sind, um die Pointe auszulösen. Das ist allerdings schon der einzige Einwand, der sich gegen die deutsche Ausgabe erheben lässt. Nicht nur ist der Band in einem leichten und angenehmen Stil übersetzt, der Verlag hat sich auch entschlossen, die Illustrationen von Iain McIntosh abzudrucken.

Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist Autor des weltberühmten, grundstürzenden, mehr als 1200 Seiten umfassenden Werkes Portugiesische unregelmäßige Verben, das nicht nur Igelfelds wissenschaftliche Reputation begründet hat, sondern auch den Dreh- und Angelpunkt all seines Selbstbewusstseins darstellt. Und davon hat er nicht zu wenig. Allerdings muss er feststellen, dass seine Mitmenschen nicht immer in der Lage sind, sich Igelfelds Rang und persönlicher Bedeutung – er ist sogar fast ein Baron – angemessen zu verhalten. Deshalb sind auch seine beiden Kollegen Professor Dr. Dr. h. c. Florianus Prinzel (den Igelfeld heimlich beneidet) und Professor Dr. Detlev Amadeus (von) Unterholzer, die zusammen mit ihm romanische Philologie an der Universität von Regensburg lehren, die wichtigsten Bezugspersonen seines Lebens, weil er bei Ihnen sicher sein kann, dass sie ihm nicht nur in Neid und Bewunderung treu verbunden sind, sondern auch seine spezifische Art der Weltfremdheit (man nennt das wohl gemeinhin einen Wertekanon) teilen.

Er konnte sich vorstellen, dass das Leben eines Diplomaten oder selbst eines Schismatikers fast so spannend sein konnte wie das eines Professors für romanische Philologie. Fast, aber nicht ganz.

Diese Clique deutscher Philologen wird nun vom Autor mehr oder weniger gemeinsam in der Welt herumgetrieben und machen dort die mehr oder weniger unvermeidlichen Erfahrungen. Das ganze steht offensichtlich in der Tradition der Prosakomödien P. G. Wodehouses, nur eben ins späte zwanzigste Jahrhundert und die Schicht der deutschen intellektuellen Snobs verpflanzt. Dabei lässt McCall Smith den deutschen intellektuellen Snobs insoweit Gerechtigkeit wider- fahren, als während eines Gastsemesters Igelfelds in Cambridge eine Auswahl englischer intellektueller Snobs als Folie dient.

Eine höchst vergnügliche Lektüre, die nur diejenigen meiden sollten, denen der Gedanke der Misshandlung von Dackeln schwer erträglich ist.

Alexander McCall Smith: Die verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld. Aus dem Englischen von Thomas Stegers. München: Karl Blessing, 2007. Pappband, 448 Seiten. 19,95 €.