Unsere persönlichen Zusammenkünfte waren unterbrochen; wir wechselten fliegende Blätter. Einige im Februar und März von ihm geschriebene zeugen noch von seinen Leiden, von Tätigkeit, Ergebung und immer mehr schwindender Hoffnung. Anfangs Mai wagt ich mich aus, ich fand ihn im Begriff, ins Schauspiel zu gehen, wovon ich ihn nicht abhalten wollte: Ein Mißbehagen hinderte mich, ihn zu begleiten, und so schieden wir vor seiner Haustüre, um uns niemals wiederzusehen. Bei dem Zustande meines Körpers und Geistes, die, um aufrecht zu bleiben, aller eigenen Kraft bedurften, wagte niemand, die Nachricht von seinem Scheiden in meine Einsamkeit zu bringen. Er war am Neunten verschieden und ich nun von allen meinen Übeln doppelt und dreifach angefallen.
Goethe, Tages- und Jahreshefte, 1805
Schiller starb am 9. Mai 1805 an einer vermutlich von einer Tuberkulose ausgelösten akuten Lungentzündung.
[Weimar, den 26. oder 27. April 1805]
Beiliegende kleine Note haben Sie ja wohl die Gefälligkeit nach Leipzig zu befördern und gelegentlich den beiliegenden Versuch, die Farbengeschichte zu behandeln, durchzulesen. Lassen Sie das Manuskript bei sich liegen, bis ich den Schluß dieses Kapitels zuschicke. Voran liegt ein kurzes Schema zur Übersicht des Ganzen.
G.
H – | S 1011 | B 1015
Nicht bei H, zitiert nach S.
[Weimar, zwischen 26. und 29. April 1805]
Die Anmerkungen schließen mit Voltaire lustig genug, und man bekommt noch eine tüchtige Ladung auf den Weg. Indessen seh ich mich gerade bei diesem letzten Artikel in einiger Kontroverse mit Ihnen, sowohl was das Register der Eigenschaften zum guten Schriftsteller, als was deren Anwendung auf Voltaire betrifft.
Zwar soll das Register nur eine empirische Aufzählung der Prädikate sein, welche man bei Lesung der guten Schriftsteller auszusprechen sich veranlaßt fühlt, aber stehen diese Eigenschaften in Einer Reihe hintereinander, so fällt es auf, Genera und Spezies, Hauptfarben und Farbentöne nebeneinander aufgeführt zu sehen. Wenigstens würde ich in dieser Reihenfolge die großen viel enthaltenden Worte Genie, Verstand, Geist, Stil etc. vermeiden und mich nur in den Schranken ganz partieller Stimmungen und Nuancen gehalten haben.
Dann vermisse ich doch in der Reihe noch einige Bestimmungen wie Charakter, Energie und Feuer, welche gerade das sind, was die Gewalt so vieler Schriftsteller ausmacht und sich keineswegs unter die angeführten subsumieren läßt. Freilich wird es schwer sein dem Voltairischen Proteus einen Charakter beizulegen.
Sie haben zwar, indem Sie Voltaire die Tiefe absprechen, auf einen Hauptmangel desselben hingedeutet, aber ich wünschte doch, daß das, was man Gemüt nennt und was ihm sowie im ganzen allen Franzosen so sehr fehlt, auch wäre ausgesprochen worden. Gemüt und Herz haben Sie in der Reihe nicht mit aufgeführt; freilich sind sie teilweise schon unter andern Prädikaten enthalten, aber doch nicht in dem vollen Sinn, als man damit verbindet.
Schließlich gebe ich Ihnen zu bedenken, ob Ludwig XIV., der doch im Grund ein sehr weicher Charakter war, der nie als Held durch seine Persönlichkeit viel im Kriege geleistet, und dessen stolze Repräsentations-Regierung, wenn man billig sein will, zunächst das Werk von zwei sehr tätigen Ministerialregierungen war, die ihm vorhergingen und das Feld rein machten, ob Ludwig XIV. mehr als Heinrich IV. den französischen Königscharakter darstellt.
Dieser heteros logos fiel mir beim Lesen ein, und ich wollte ihn nicht vorenthalten.
Sch.
H – | S 1010 | B 1014
Nicht bei H, zitiert nach S.
[Weimar, den 25. April 1805]
Hier endlich der Rest des Manuscripts, das ich noch einmal anzusehen und sodann nach Leipzig abzuschicken bitte. Wäre nicht alles was man thut und treibt, am Ende extemporisirt, so würde ich bei den sehr extemporisirten Anmerkungen manches Bedenken haben. Mein größter Trost ist dabei, daß ich sagen kann: sine me ibis Liber! denn ich möchte nicht gern überall gegenwärtig seyn, wohin es gelangen wird.
Ich habe indeß an der Geschichte der Farbenlehre zu dictiren angefangen und ein schweres Capitel aus der Mitte heraus bald absolvirt.
Übrigens geht es mir gut, so lang ich täglich reite. Bei einer Pause aber meldet sich manche Unbequemlichkeit. Ich hoffe Sie bald zu sehen.
G.
H 996 | S 1009 | B 1013
[Weimar, den 24. April 1805]
Wollten Sie wohl die Gefälligkeit haben, aus dem Geschriebenen den Artikel Le Mierre herauszunehmen. So eben sehe ich, daß ich mich in der Person geirrt habe.
G.
H 998 | S 1008 | B 1012
[Weimar,] Den 24. April 1805
Die Anmerkungen lesen sich vortrefflich und auch unabhängig von dem Text, auf den sie übrigens ein sehr helles Licht verbreiten. Was über französischen Geschmack, über Autoren und Publicum überhaupt und mit einem Seitenblick auf unser Deutschland gesagt wird, ist eben so glücklich und treffend, als die Artikel von Musik und Musikern, von Palissot und andern für das commentirte Werk passend und unterrichtend sind. Auch Voltaire’s Brief an Palissot und Rousseau’s Stelle über Rameau machen eine gute Figur.
Ich habe weniges zu bemerken gefunden und auch dieses nur in Beziehung auf den Ausdruck, eine einzige kleine Stelle im Artikel Geschmack ausgenommen, die mir nicht ganz einleuchtete.
Da mir diese Anmerkungen so gut als fertig scheinen, so wäre die Frage, ob sie nicht gleich mit morgendem Posttag abgehen könnten. Ich habe fünfzehn Artikel darin gefunden die für sich selbst interessiren, und schon die Hälfte dieser Zahl würde die Anmerkungen gerechtfertigt haben. Auch schätz’ ich sie gedruckt auf wenigstens drei Bogen, welches reichlich genug ausgestattet heißt.
Leben Sie recht wohl und immer besser! Vergessen Sie nicht mir den Elpenor zu schicken.
Sch.
H 999 | S 1007 | B 1011
Weimar, den 23. April 1805
Was gestern von Leipzig angekommen theile ich mit. Göschen scheint auf die Anmerkungen zu renunciren, indessen ich fleißig daran fortgearbeitet habe. Sie liegen hier bei mir.
Haben Sie die Gefälligkeit sie durchzugehen und was Sie etwa für allzu paradox, gewagt und unzulänglich finden, anzustreichen, damit wir darüber sprechen können. Ich dächte man arbeitete diese vorliegenden Blätter, welche freilich noch nicht die Hälfte der im Dialog vorkommenden Namen erschöpfen, noch möglichst durch, und sendete sie ab: denn eigentlich sind die Hauptpunkte, worauf es ankommt, darin schon abgehandelt, das Übrige ist mehr zufällig und auf’s Leben bezüglich, wo wir doch in dieser Entfernung der Zeit und des Orts nicht auf den Grund kommen. Die Theaternamen, wie Clairon, Preville, Dumeuil, sind auch schon bekannt und selbst in dem Dialog nicht von der höchsten Bedeutung. Genug ich wiederhole, haben Sie die Güte die Blätter durchzulesen, die Sache durchzudenken und mit mir diese Tage darüber zu conferiren. Das beste Lebewohl.
G.
H 995 | S 1006 | B 1010
Weimar, am 20. April 1805
Für die Durchsicht der Papiere danke ich Ihnen recht sehr und es freut mich, daß wir wegen jener Obliegenheiten einerlei Meinung sind. Freilich ist es ein wunderbarer Blick in so kurz vergangene und doch in manchem so unähnliche Zeiten. Lassen Sie uns die Sache gelegentlich näher besprechen und ein Arrangement so wie die weitere Bearbeitung vorbereiten.
Die drei Skizzen zu einer Schilderung Winckelmanns sind gestern abgegangen. Ich weiß nicht welcher Maler oder Dilettant unter ein Gemälde schrieb: in doloribus pinxit. Diese Unterschrift möchte zu meiner gegenwärtigen Arbeit wohl passen. Ich wünsche nur, daß der Leser nichts davon empfinden möge, wie man an den Späßen des Scarron die Gichtschmerzen nicht spürte.
Ich habe mich nun über die Noten zu Rameau’s Neffen gemacht und komme da freilich in das weite und breite Feld der Musik. Ich will sehen nur einige Hauptlinien durchzuziehen und sodann sobald als möglich aus diesem Reiche, das mir doch so ziemlich fremd ist, wieder herauszukommen.
Ich wünsche Glück zur Arbeit und freue mich bald etwas davon zu sehen.
G.
H 994 | S 1005 | B 1009
Weimar, den 19. April 1805
Da bei Cotta’s nächster wahrscheinlicher Anwesenheit von einer Herausgabe meiner Werke die Rede seyn könnte, so finde ich es nöthig, Sie mit den ältern Verhältnissen zu Göschen bekannt zu machen. Ihre Freundschaft und Einsicht in das Geschäft überhebt mich die unerfreulichen Papiere gegenwärtig durchzusehen.
Außerdem bemerke ich, daß Göschen eine Ausgabe in vier Bänden unter den falschen Jahreszahlen 1787 und 1791 gedruckt, wovon niemals unter uns die Rede war. Alles Gute.
G.
H 993 | S 1004 | B 1008
[Weimar,] Am 27. März 1805
Lassen Sie mich doch hören, wie es Ihnen in diesen Tagen ergangen ist. Ich habe mich mit ganzem Ernst endlich an meine Arbeit angeklammert und denke nun nicht mehr so leicht zerstreut zu werden. Es hat schwer gehalten nach so langen Pausen und unglücklichen Zwischenfällen wieder Posto zu fassen, und ich mußte mir Gewalt anthun. Jetzt aber bin ich im Zuge.
Der kalte Nordostwind wird auch Ihnen, fürchte ich, wie mir die Erholung erschweren; doch habe ich mich dießmal noch leidlicher befunden als sonst bei gleichem Barometerstand mit mir der Fall ist.
Wollten Sie mir wohl den französischen Rameau für Göschen sende? Ich will ihm auf’s beste empfehlen, Ihnen die Aushängebogen, wie sie gedruckt werden, sogleich zuzuschicken.
Leben Sie recht wohl. Ich sehne mich nach einer Zeile von Ihnen.
Sch.
H 992 | S 1003 | B 1007