Platten_Lunatica - Fables & Dreams

Wer hat´s erfunden?

Monatelang in den Schweizer Charts - da mußte doch endlich einmal ein Label auf die Melodic-Metaller aufmerksam werden und sie weltweit vertreiben.    17.10.2004

Nein, nicht Ricola und auch nicht die Schweizer haben ihn erfunden, den Metal mit Frauengesang. Auch nicht die Finnen, obwohl Lunatica nicht verleugnen können, in den Spuren der finnischen Nightwish zu stapfen. Aber so wie Nightwish ist selten eine Band, also sind auch die Schweizer von Lunatica anders. Sängerin Andrea gibt keine Arien von sich, sondern hat vielmehr eine kehlige, süße Stimme. Aber immerhin kann man den orchestralen Metal-Sound mit den finnischen Pendants vergleichen. Also alles wie gehabt? Harte Musik, Mainstream-tauglich, sowohl für Schwarzkittel in der Gruft als auch für Peter Punk in seinem besetzten Haus geeignet?

Ja. Jedenfalls, wenn "Avalon" erklingt, denn das ist Pop mit Doublebase. Wir haben zwar nicht danach gefragt, und niemand wird zugeben, sich so etwas gewünscht zu haben, doch Lunatica liefern ihn: einen sehr guten Popsong im metallenen Gewande. Und wir sind zufrieden. Weil unsere Erwartungshaltung nach dem Intro "The Search Goes On" ja ohnehin ins Unermeßliche gestiegen ist. Der Track ist so etwas wie der Übergang vom Vorgängeralbum "Atlantis" zum aktuellen "Fables & Dreams". Der erste Eindruck ist eher zwiespältig, weil da ein fürchterlicher Sprecher seine deutschsprachigen Wurzeln mehr schlecht als recht kaschiert. Andererseits ist das vielleicht gut so, denn umso leichter verfallen wir den langen Instrumentalpassagen des Songs. Würden Filmmacher die hören, dann könnten sie gleich 90 Prozent der heutigen Soundtrack-Komponisten vor die Tür setzen. Selten etwas Schöneres und Intensiveres gehört - ehrlich! Darum auch die hohe Erwartungshaltung.

Eigentlich darf man aber nicht derart verwundert sein, saß doch hinter den Reglern ein Mann mit Gespür für epochale Melodien und deren exakte Umsetzung. Sascha Paeth, der mit Heaven´s Gate und Virgo selbst die Bühnen dieser Welt enterte, verhalf Bands wie Rhapsody, Angra oder Edguy zum perfekten Sound.

Seine Schützlinge Lunatica jedenfalls können den vom Intro selbst gestellten hohen Level nicht halten. Aber unter uns gesagt: Der Mount Everest wird sich auch nicht als höchster Berg übertreffen können, oder? Eben! So weist "Elements" zwar alle guten Trademarks der Schweizer auf, nur ist er mit seinen beinahe sieben Minuten fast schon zu lange geworden. "Fable of Dreams" ist eine Ballade, die sich in Pop-Gefilden versucht und selbst einen harten Kerl irgendwo ganz tief drinnen berührt. Leider nur irgendwo. Und irgendwie.

Die großen Momente haben Lunatica immer dann, wenn Axel Seiberl ganze Orchester aus seinen Keyboards hervorzaubert und sich in all diesem Bombast schön dreckig gespielte Gitarren suhlen. Bevor die Band mit "A Little Moment of Desparation" ihre letzte große Karte auf den Tisch legt, covert sie noch "Hymn" von Ultravox. Bei diesem Song kann man eigentlich nichts falsch machen; er funktioniert als synthpoppiges Original ebenso wie als alternative Coverversion oder als Metal-Nummer mit Frauengesang.

Wer den Metal mit Frauengesang erfunden hat, der mittlerweile so vielen gefällt, bleibt also weiterhin dahingestellt. Diese Schweizer waren es jedenfalls nicht. Aber sie spielen ihn ausgesprochen gut!

Milan Knezevic

Lunatica - Fables & Dreams

ØØØ 1/2


Frontiers Records

(CH/17. 10. 2004)

 

Links:

Kommentare_

Platten
Such A Surge - Alpha

Im Trend gelegen

Die einstigen Crossover-Helden aus Braunschweig zeigen, daß sie auch musikalisch noch am Leben sind und retten sich damit vor der Bedeutungslosigkeit.  

Platten
Schneiderberg - Amok-Yo

Kreuzüber in den Sozialismus

Im Jahr 2000 wurden sie gefeiert. Dann lösten sie sich einfach auf. Oder machten eine Zwangspause. Und jetzt sind sie wieder da.  

Platten
Freedom Call - A Circle Of Life

Aufs Korn genommen

Powermetal mit Humor gibt es nicht? Dann sollten Sie in die vorliegende Platte reinhören. Die kann es noch dazu mit fast jedem Klassiker des Genres aufnehmen.  

Platten
Ektomorf - Instinct

Metal Gulasch

Der Mensch wird zum Tier. Denn Urgewalten rasen aus den Lautsprechern, wenn im Laufwerk die neueste Scheibe der Ungarn rotiert.  

Platten
Fettes Brot - Am Wasser gebaut

Geh bitte!

Kann das denn sein, find ich den Reim nicht? Was ist bloß los, ich bin doch famos, nicht? Denn ich mach HipHop und bin immer top. Oder?  

Platten
Stereophonics - Language, Sex, Violence, Other?

Brit-Pop versus Brit-Rock

Viele Bands erleben mit neuen Musikern ihren zweiten Frühling. Leider scheint in Wales immer noch tiefster Winter zu herrschen.