Kolumnen_Breaking the News # 28

Die große Philosophen-Orgie

Nach den spanischen Massenbesäufnissen hat Europas Jugend ihren Sinn fürs Exzessive entdeckt. Die derzeit härteste Droge heißt Schopenhauer.    02.06.2006

Seltsame Wettbewerbe werden zur Zeit in Spanien ausgetragen - und sickern von dort ins restliche Europa. Per E-Mail und SMS verabreden sich Tausende Jugendliche zu Massenbesäufnissen, den sogenannten Macro-Botellóns. Wie den Medien zu entnehmen ist, treffen einander die Youngsters mit Hochprozentigem, Plastikbechern und Säcken voller Eiswürfel, um zunächst sich selbst im Alkohol und anschließend ganze Landstricke im Erbrochenen zu ersäufen.

"Immerzu müssen sie saufen, die jungen Leute. Haben die denn gar nichts anderes mehr im Kopf?" fragt sich der zuständige Stadtrat Manuel y Gasset aus Valencia, das zuletzt Schauplatz einer Alk-Orgie wurde. Haben sie, nur macht es das kein bißchen besser. Mittlerweile ist der neue Brauch auch in die Universitätsstädte gesickert und hat dort zu noch viel schlimmeren Varianten jugendlicher Massenexzesse geführt. So trafen sich jüngst 25.000 Studenten in Frankfurt am Main zum großen Schopenhauer-Lesen. Was nach einem Philosophie-Symposion klingt, endete in Panik, Chaos und Zerstörung.

"Man stelle sich vor: Tausende Menschen, die simultan unsägliche Schachtelsätze aus Schopenhauers gesammelten Werken lesen. Es war der reine Horror!" meint Penelope C., in Tränen aufgelöst. Die Publizistikstudentin war aus Versehen in die Veranstaltung geraten, die sie für eine Demo gegen Pelztiere hielt. Das Fazit der Stadtverwaltung: Zwölf Studenten haben sich entmannt und 25 entleibt. Rund 200 Teilnehmer wurden ins örtliche Spital eingeliefert. Noch Tage danach lag der Geruch nach Fäkalien, Erbrochenem und tiefer Verzweiflung über dem betreffenden Stadtteil.

"Mein Lebtag werde ich das nicht vergessen", so einer der Teilnehmer nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gegenüber OPA. "Die 'Prolegomena' waren super zum Vorglühen, bei der 'Welt als Wille und Vorstellung' waren dann allerdings schon nach der Hälfte des ersten Teils die Sicherungen raus." Erst zwei Tage später erwachte der junge Mann aus dem Koma. "Ich glaube, ich bin beim kategorischen Imperativ aus den Latschen gekippt", sagt ein anderer. Aber ist das nicht Kant? "Ja, stimmt ... deshalb hatte ich ständig das Gefühl, ich sei auf der falschen Party!"

Vorläufig hat die Exekutive keine Handhabe, um derartige Philosophen-Orgien zu untersagen. In Paris rüsten sich Spitäler und Einsatzkräfte bereits für eine angekündigte, mehrtägige Sartre-Massenlesung. Sartres Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" jagt den für die öffentliche Sicherheit Zuständigen den kalten Schauder über den Rücken: "Viel wird davon abhängen, für welche der beiden Alternativen sich die Teilnehmer entscheiden." Klar dürfte inzwischen sein: Was die Jugend auch anfängt, ob Saufen oder Lesen - exzessiv wird´s immer und in jedem Fall.

 

Reinhard Ebner

Quelle: OPA (Obskure Presseagentur)

Redakteur: Reinhard Ebner


 

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