Kolumnen_Breaking the News # 32

Zurück in die Gegenwart

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war: Herr Kohelet aus Obergrünburg hat sie sich angesehen. Sein Zeitreisebericht rechnet ab mit der schönen neuen Welt.    30.06.2006

Donnerstag, 15.07 Uhr MEZ im oberösterreichischen Obergrünburg: Scharen von Reportern, Schaulustigen und Familienmitgliedern drängen sich auf dem Parkplatz des örtlichen Gemeindeamtes und erwarten die Wiederkunft des Fritz Kohelet, wohnhaft einige Häuser weiter. Allzulange müssen sie nicht warten, denn Kohelet ist gerade mal sieben Minuten vor seiner Rückkehr aus dem Jahr 2106 aufgebrochen. So lange dauert die Reise um exakt 100 Jahre in die Zukunft und wieder zurück. Das Jahr, das er dort zugebracht hat, geht an den in der Gegenwart Verbliebenen spurlos vorüber. Selbiges wird allerdings auch der Zeitreisende behaupten, nachdem er wohlbehalten wieder im Jahre 2006 gelandet ist.

Bis zum Stumpfsinn gelangweilt sieht Herr Kohelet aus, als er mit seinem Chronomobil, einer Kreuzung aus Schreibtischsessel und Spinnrad, vor dem Gemeindeamt landet. In die Mikrophone der TV-Stationen ruft er verächtlich: "Vergessen Sie die Zukunft, meine Herren!" Augenzeugenberichten zufolge trinkt er daraufhin an Ort und Stelle eine Flasche Slivowic aus und muß bewußtlos nach Hause getragen werden.

Wochenlang hört man nichts mehr vom ersten Zeitreisenden der Menschheitsgeschichte, bis sich seine Gattin Mitzi Kohelet in einer bunten Illustrierten zu Wort meldet: "Ich erkenne meinen Mann kaum wieder. Früher war er so voller Hoffnungen auf eine glorreiche Zukunft. Nun sitzt er den ganzen Tag vorm Fernseher, sieht sich Gerichts-Shows an und säuft uns ins Armenhaus." Was mag er wohl gesehen haben? Cyborgs, die endzeitliche Kämpfe mit den verbliebenen Menschen ausfechten? Unterwassersiedlungen und Villenviertel am Mond, in die sich die Reichen auf der Flucht vor der Überbevölkerung zurückziehen? Ein androgynes Menschengeschlecht, das sich durch Klonung fortpflanzt? Gehirne mit Festplattenspeichern, auf die man nach Bedarf virtuelle Erlebnisse und Erinnerungen vom PC lädt? Ein allgemeines Chaos, bedingt durch erschöpfte natürliche Ressourcen und das Überhandnehmen von Natur- und Klimakatastrophen?

Wir hatten Glück und bekamen Herrn Kohelet kurz ans Telefon. Seine Antwort auf die Fragen, mit denen wir ihn bestürmten, fiel einsilbig, aber gleichwohl aufschlußreich aus. "Pfeif auf den ganzen Science-Fiction-Mist", sagt er gegenüber OPA. "Die Zukunft - das ist ewig derselbe Trott, nichts ändert sich je. Es gibt nichts Neues unter der Sonne." Und das - wir haben´s nachgeschlagen - meinte schon sein Namensvetter im Alten Testament. Kohelet weiter: "Die Menschen der Zukunft sehen aus wie wir, sie stinken wie wir und sie trinken am Wochenende gern über den Durst. Die Amis haben wieder einen grenzdebilen Präsidenten, die Iraner auch." Und wie steht´s mit der Ölknappheit? "Öl gibt´s immer noch. Fragen Sie mich nicht, wo die das herhaben." Der einzige Unterschied: "Das mit dem Spam ist noch schlimmer in der Zukunft. In Texas werden Spammer rigoros hingerichtet." Immerhin ein Fortschritt.

Reinhard Ebner

Quelle: OPA (Obskure Presseagentur

Redakteur: Reinhard Ebner


 

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