Akzente_Liars live in Wien

Das echte Rock-Wunder

Nicht gelogen: Das neue Ding in der populären Musik für Junge und Junggebliebene ist da. Und wieder einmal haben´s fast alle verpaßt.    24.05.2004

Alle paar Monate liest oder hört man über das neueste Rock- oder Pop-Wunder und ist dann enttäuscht, wenn man die jeweilige Platte tatsächlich konsumiert. Oasis waren ja seinerzeit die Größten (Proleten, sollte man hinzufügen), die intellektuelle Variante waren die an sich respektablen Blur - doch die haben sich bei ihrem lustlosen Wien-Konzert selbst demontiert. Dann gibt es so sensationelle Entdeckungen wie die Vines, deren 12jähriger Sänger ungefähr 24 Stunden am Tag die Zunge raushängt und die Augen verdreht, weil er soooooo ein arger Typ ist und wahrscheinlich Magenweh von zu vielen Zuckerln hat. Weiters die Distillers, deren Frontfrau sowas wie die Micky-Maus-Version der 315. Generation von Rrrrriot Girl ist. Na, und nicht zu vergessen everybody´s Darling Mia mit der brechreizerregenden Frontfrau Mieze, das deutsche Indiepop-Wunder schlechthin. Mit ur-kritischen Texten und ur-innovativem Schlagerrock. Ach ja, und last but not least die "Spex"-Variante mit den arschgesichtigen Computernerds à la Console.

Ist man im Jahr 2004 dann auch noch älter als 16, dann denkt man mit wehmütigem Blick an große Zeiten zurück, als man beispielsweise Sonic Youth bei einem ihrer frühen Gigs in einer versifften Arena bewundern konnte. Oder an Laibach, die selbst die hartgesottenen unter den eh schon mutigen Fans zu schockieren vermochten, als sie in Lodenjanker und mit Hirschgeweih auf dem Kopf ihre martialischen Propaganda-Attacken ins Publikum schmetterten. Und dann gab´s da auch noch solche Pioniere, die die Elektronik in den Rock brachten, man denke nur an Cabaret Voltaire oder New Order.

Auf genau so etwas Neues mußte man ewig lange in der Musik warten. Bis jetzt: Am 22. Mai spielten die New Yorker Liars zum ersten Mal im Wiener Flex. Die Typen schauen sympathisch aus, Sänger Angus Andrew erinnert an einen frühen Gibby von den Butthole Surfers minus 50 Prozent Körpergewicht. Auf ihrer Website bewerben sie das (leider abgesagte) Festival RE-TG, bei dem die Industrial-Pioniere Throbbing Gristle ihren ersten Live-Auftritt seit 23 Jahren absolvieren hätten sollen. Ihre neue Platte handelt komplett vom Thema Hexenverfolgung, was ihre Faszination für die Bereitschaft der Menschen zum Aberglauben widerspiegelt. Und dann kommt noch was dazu: Das Cover ihrer Debüt-LP zierte kein geringerer als Neubauten-Logo Yü Gung, mit aufgemaltem Hut und dem Schriftzug "Einstürzende Neubauten" durchgestrichen und durch Liars ersetzt. Wie sympathisch kann eine Band bitte noch sein???

Bei ihrem Flex-Konzert schwärmten die Burschen, wie gut es ihnen in Wien gefiele und wie nett die Wiener alle seien. Und fügten noch hinzu, sie kämen gerade aus Deutschland, wo die Leute eher unsympathisch wären. Musikalisch bekam man das Innovativste zu hören, das seit vielen Jahren in den Ohren erklingen durfte. Sie alle sickerten da durch, Sonic Youth, die Buttholes, Cabaret Voltaire, und trotzdem bastelten die Liars daraus etwas eigenes und Neues. Wer das verpaßt hat, ist selber schuld und darf sich jetzt eine Woche lang kräftig in den Arsch beißen. Aber Entschuldigung fürs Fernbleiben gibt es keine, denn wenn sich der Autor dieser Zeilen mit Bronchitis ins Flex geschleppt hat, dann hätten alle Gesunden ebenso dort sein müssen. Die Zukunft der Rockmusik haben sie auf jeden Fall verpaßt.

Walter Robotka

Liars live in Wien

ØØØØØ


Flex (Wien), 22. Mai 2004

Links:

Liars - They Were Wrong So We Drowned


Mute/EMI (USA 2004)

Links:

Kommentare_

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