Musik_Madrugada - The Deep End

Auf die heißkalte Tour

Dieser Stimme folgt man gern überall hin. Sivert Höyem führt seine Band durch die Rock-Abteilung erster Klasse und landet in "The Deep End".    13.04.2005

Oslo an einem August-Abend, der sich allmählich zur Mitternacht neigt: Endlich gibt sich die Sonne geschlagen und versinkt im Fjord. Fast scheint es so, als hätte die Band, die da vor einem auf der Festival-Bühne steht, ihren Untergang beschworen. Rühren die Schauer, die einem über den Rücken rieseln von der lauen Meeresbrise oder von der Musik, die einem in die Magengrube schlägt? Schwer zu sagen ... Bloß nicht über die Absperrung auf die Bühne türmen! Dort oben rocken nämlich gerade My Midnight Creeps mit diabolischem Funkeln. Was das alles mit Madrugada zu tun hat?

My-Midnight-Creeps-Sänger Robert Burås ist Gitarrist von Madrugada und hat die Erdung aus seinem Nebenprojekt mit auf "The Deep End" gezogen. Ausdrucksstark war Madrugada-Sänger Sivert Höyem ja schon immer, doch hat er seine komprimierten Emotionen noch nie derart wolkenbruchartig entladen wie in "Ramona", zu dem im übrigen Burås die Lyrics beigesteuert hat. Die Räudigkeit des Songs kann Siverts Stimme nicht in den Dreck ziehen. Sie ist von einer kalten Klarheit, die durch ihre variationsreichen Schlingungen trotzdem wärmt. Nur zu einem ist sie nicht fähig: zur Unsicherheit. Ob ihn der Himmel geschickt hat? Nein, er entstieg wohl eher den dunkleren Ecken, in die ihn Bass und Gitarre vor Tagesanbruch wieder zurücktreiben. Genau in dieses Zwielicht hinein schreiben Madrugada ihre Songs. Da der Tag nicht nur im Norden graut, wird bei "Stories From The Streets" zur Flamenco-Gitarre gegriffen. Die wird auf dem galoppierenden "Hard To Come Back" zwar wieder beiseite gelegt, doch mischt sich der Background-Chor unenglisch ein. "Slow Builder" steigt von einem Flirt mit der Nacht zu Gospel-Höhen auf. Bei "Subterranean Sunlight" füllt Courtney Taylor-Taylor unmerklich den elektrifizierten Hintergrund auf. Das Gesumme in "Running Out Of Time" verwechselt sich selbst mit dem Wind, der über den Zug der Verdammten durch die Prärie fegt. Langsam, aber mühelos schleppt sich die Melodie vorwärts, bis sie ins versöhnliche "The Lost Gospel" übergeht, das kurz davor steht, Schmalz anzusetzen. Wenn da live nicht mal zumindest entflammte Feuerzeuge glasigen Blickes in die Höhe gehalten werden! "Elektro Vakuum" gibt sich weise und versteht es im Gegensatz zu "The Lost Gospel", die Rührung in die richtige Bahn zu lenken, ohne dabei auszurutschen.

Madrugadas Album Nummer vier vereint die Stärken seiner Vorgänger. Den Norwegern ist gelungen, die Geeintheit des Debüts "Industrial Silence" mit der auf den beiden Nachfolgern erbrachten Konzentration auf das Hervorheben einzelner Songs zu vereinen. Die Aufmerksamkeit wird auf "The Deep End" von jedem der zwölf Stücke eingeladen, Halt zu machen - und bleibt doch im Fluß.

 

Madrugada live

Wann: Di., 7. Juni 2005

Wo: Szene Wien, Hauffgasse 26, 1110 Wien

Bernadette Karner

Madrugada - The Deep End

ØØØØ 1/2


EMI (Norwegen 2005)

 

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Kommentare_

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