Musik_Wunderkammer - Today I Cannot Hear Music

Aus dem Raritätenkabinett

Eine vielköpfige Band mit starker Verwurzelung in der Gegend um Stavanger wagt sich an eine Mischung aus Klezmer, Polka, Rock und Untergangsstimmung.    10.12.2003

Nein, die Rede ist nicht von Kaizers Orchestra, obschon die ebenfalls unter das erwähnte Suchraster fallen würden. Während die Kapelle um Janove Ottesen aber eine nationale Auszeichnung um die andere einstreicht und drauf und dran ist, sich mit ihren verhängnisvoll klingenden norwegischen Texten auch kontinentabwärts ein festes Publikum zu erspielen, halten Wunderkammer bislang lediglich Kritikerlob schwarz auf weiß in Händen. Mit vergleichbaren Verkaufszahlen können sie nicht aufwarten. Das ist aber eine mittlere Ungerechtigkeit, denn Gerüchte wollen wissen, daß die Kaizers erst nach einem Wunderkammer-Konzerterlebnis von durchschnittlichem Pop zu ihrem aktuellen Osteuropa-Sound mit Tom-Waits-Einsprengseln konvertiert sein sollen.

Ursprünglich galt der Band-Name als Bezeichnung für Prunkräume reicher Leute, in die alles gestopft wurde, womit sich ausgiebig prahlen ließ. Breitrahmige Gemälde zwängten sich dort zwischen ausgestopftes Großwild und seltene Artefakte aus aller Welt. Die Band hält sich bei der Illustration ihrer Werke an die niederen Stufen im Tierreich, betreibt sozusagen Insektenspießen zwischen Miniaturinstrumenten und kleinformatigen Fundstücken, als Vorbereitung auf die auf "Today I Cannot Hear Music" vereinte Richtungsvielfalt.

Sänger und Song-Schreiber Pål Jackman nimmt sich bei alledem im Ausdruck trotzdem bewußt nicht zurück und streut lieber ausladende Gesten, anstatt die Stärke des auf CD gepreßten Gefühls den kleinen Cover-Motiven anzupassen. Erlaubt ist, was (ihm) gefällt: Geigenreiche und sägenversetzte Instrumentals (wie das sich immer schneller um die eigene Achse drehende "Sheepster & Wolff") trennen Eigenkompositionen von Gedichtvertonungen (E. A. Poes "A Dream Within A Dream"). Gesungen wird in Englisch und der eigenen Muttersprache; das selbstbetitelte Vorgängeralbum beeindruckte übrigens noch mit einer lässig hingerotzten Version des "Erlkönigs". Mit solcherlei Einzelteilen befüllt sich ein komplettes, herzergreifendes Album, das unmittelbar eingängige, melancholische Melodien kredenzt.

 

Bernadette Karner

Wunderkammer - Today I Cannot Hear Music

ØØØØØ


HoneyMilk (Norwegen 2003)

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Kommentare_

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