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Schmauchspuren #28

Sind Krimihelden, wenn sie serienweise auftreten, von vornherein verdächtig? Dürfen wir nur den grübelnden Einzelgängern aus dem Noir-Genre glauben? Oder gerade denen nicht? Peter Hiess ermittelt.    09.07.2014

Peter Hiess

Martin Compart - G-Man Jerry Cotton

Lübbe 2010

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Der deutsche Krimi-Boom ist keineswegs etwas Neues. Seit 1954 schreiben gute deutsche Autoren gelungene Kriminalromane - unter einem Namen: Jerry Cotton. Die Serie überzeugt durch Rekordzahlen (mehr als 850 Millionen verkaufte Exemplare usw.) und erlebt gerade durch einen Kinofilm unsäglicher deutscher "Comedians" eine Renaissance. Aber immerhin - der Streifen ist Grund genug für das wundervolle Buch aus der Tastatur des Genre-Experten Martin Compart: G-Man Jerry Cotton. Eine Hommage an den erfolgreichsten Krimihelden der Welt. Compart beleuchtet darin Cottons Erfinder und Autoren, die Protagonisten und Gadgets, die klassischen Filme mit George Nader, die deutsche Unterhaltungskultur samt Kritikern und vieles mehr. Und der Heftroman "Süße Bienen, blaue Bohnen" liegt als limitierte Sammlerausgabe auch noch bei. Wenn Sie das verpassen, könnte demnächst das FBI vor Ihrer Tür stehen ...

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Seitenweise


Douglas Preston & Lincoln Child - Cult - Spiel der Toten

Droemer 2010

 

Lincoln Child - Nullpunkt

Wunderlich 2010

 

Der G-Man, der Sie dann betreuen wird, ist hoffentlich nicht so ein Typ wie Special Agent Pendergast, der exzentrische Serienheld des US-Autorenteams Douglas Preston und Lincoln Child, der die schwer geprüfte Leserschaft seit dem Erfolgsroman Relic - Museum der Angst begleitet. Die zwei können Thriller schreiben, das demonstrieren sie auch mit dem neuesten Werk Cult - Spiel der Toten wieder - aber Pendergast nervt mit seinem familiär vorbelasteten Southern-Gentleman-Genie-Schmäh gewaltig. Diesmal geht´s um Zombies, die in New York ihr Unwesen treiben, um eine uralte Sekte in einem vergessenen Winkel Manhattans, um geheimnisvolle Zeichen und Symbole; alles Dinge also, die ein guter Rätselkrimi braucht. Den Pendergast-Faktor haben die beiden diesmal ein wenig zurückgenommen, weil sie anscheinend selbst schon merken, daß auch das Bestseller-Publikum gereizt reagiert. Durchschnittlich gute Unterhaltung also, könnte aber besser sein.

So wie zum Beispiel in Lincoln Childs neuem Soloroman Nullpunkt, einem Science-Abenteuer-Thriller um eine Klimaforscher-Expedition, die in Alaska ein vorzeitliches Monster aus dem Eis befreit. Was sich dann abspielt, ist natürlich höchst vorhersehbar, aber trotzdem spannend bis zum Schluß. Und kälter als bei den skandinavischen Krimilangweilern.

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Ono Mothwurf - Werbevoodoo

Wunderlich 2010

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Viel wärmer und gemütlicher geht es im Lokalkrimi Werbevoodoo aus dem Gmeiner-Stall zu. Kein Wunder, ist der Protagonist des Autors mit dem unwahrscheinlichen Namen Ono Mothwurf doch ein Österreicher namens Thomas Wondrak, der als Kriminalhauptkommissar im bayrischen Fürstenfeldbruck arbeitet und eigenhändig für die höchste Mord-Aufklärungsquote Deutschlands sorgt. In seinem zweiten Fall geht es um eine Reihe mysteriöser Todesfälle in einer Starnberger Schicki-Werbeagentur - eine g´mahte Wiesen für den Autor, sozusagen, der selbst aus der Werbebranche stammt (und sie richtig gern hat). Das liest sich alles sehr freundlich, von der Vorliebe für guten Kaffee über die inspirierende Ermittlerkatze bis hin zum gut konstruierten Fall; leider geht Mothwurf gegen Schluß dann aber in in die Gutmenschenfalle, wo es heißen muß: Ach, was sind Zigeuner doch so liebenswert menschlich und mythisch und magisch! Und das verzeiht man ihm dann auch noch.

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Time for Hardcase Crime


Roger Zelazny - The Dead Man’s Brother

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

 

Donald E. Westlake - Cutie

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

 

Über jeden Zweifel erhaben sind die Autoren der zwei nächsten Romane, die in der US-Pulp-Taschenbuchreihe Hard Case Crime erschienen sind. (Beachten Sie auch die deutschen Ausgaben bei Rotbuch!). Roger Zelazny (1937-1995) hat sich als Science-Fiction- und Fantasy-Autor einen guten Namen gemacht; als in seinem Nachlaß allerdings das Manuskript zu The Dead Man´s Brother entdeckt wurde, durfte man das dem Krimifreund nicht vorenthalten. Zu Recht: Die Sixties-Geschichte um den New Yorker Galeristen und ehemaligen Kunstdieb Ovid Wiley, der im Auftrag der CIA im Vatikan und bei südamerikanischen Revoluzzern ein paar verschwundenen Dollarmillionen hinterherermitteln muß, funktioniert perfekt und zeigt, daß Zelazny praktisch alles konnte.

Bei Donald Westlake (1933-2008; veröffentlichte auch unter den Pseudonymen Richard Stark und Tucker Coe legendäre Krimis) ist das sowieso klar - und der erstmals 1960 erschienene Roman The Cutie ist einfach nur die willkommene Ergänzung der hoffentlich vorhandenen Sammlung. Stichworte: Profikiller für den Mob sucht einen miesen Killer und die wahre Liebe. Purer Existentialismus in Noir-Verpackung.

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James Sallis - Dunkle Schuld

Heyne Tb. 2009

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Schließen wir’s literarisch ab: James Sallis, der nicht umsonst für Driver den Deutschen Krimipreis erhielt, ist ein wahrer Dichter. Und sein Roman Dunkle Schuld, um einen Ex-Cop und -Sträfling, der sich in den Südstaaten in die Aufklärung eines scheinbaren Ritualmords hineinziehen läßt, ein wahres Gedicht - ohne je prätentios zu sein. American Gothic im 21. Jahrhundert.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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