Print_Patricia Highsmith - Der Geschichtenerzähler

Per Eilzug in die Katastrophe

Diesen wunderbaren Roman nicht zu kennen, ist ein Vergehen, das sich durch Leselust-Entzug von selber ahndet. Wir haben das Versäumnis nachgeholt.    22.12.2006

Der Rezensent gesteht reumütig, nie in seinem Leben auch nur eine Zeile von Patricia Highsmith gelesen zu haben - bis ihm der neu aufgelegte "Geschichtenerzähler" in die Hände fiel. Aus denen legte er das Buch nicht mehr, bis es in einer nahezu schlaflosen Nacht ausgelesen war. Ein solches Lektüreerlebnis ist seit dem Ende der Pubertät selten geworden. Hiermit sei daher hoch und heilig Besserung gelobt: Ein gewichtiges Amazon-Paket mit Highsmith und nochmals Highsmith ist bereits auf dem Weg.

Da macht es auch gar nichts, wenn das vorliegende Buch in einer Leser-Rezension auf der Homepage des Online-Händlers als "mäßiger Highsmith-Roman" geschmäht wird. Dann kann es ja nur noch besser werden. Mäßig oder gar gemäßigt ist nämlich schon an diesem Buch nichts. Die Geschehnisse steuern von allem Anfang an auf eine Katastrophe zu; das wird bereits deutlich, wenn eigentlich noch gar nichts geschehen ist.

Daß es um die Ehe des jungen Künstlerpaares Sydney und Alicia Bartleby nicht zum Allerbesten bestellt ist, zeigt sich schnell. Der amerikanische Möchtegern-Schriftsteller/Drehbuchautor und die britische Malerin bewohnen zusammen ein Häuschen in der Einöde Englands. Während Sydney mit seinen notorischen Mißerfolgen hadert, erhebt seine Frau Ambitionslosigkeit zum Programm.

Irgendwann beginnt er, sie für sein verpfuschtes Leben verantwortlich zu machen. Und plant ihre Ermordung - scheinbar nur als müßiges Gedankenspiel. Dennoch scheint Mord zu einer Obsession zu werden, als gäbe es keine andere Form der Auflösung einer Beziehung. Und dann verschwindet Alicia tatsächlich, und Sydneys Stern als Schriftsteller und Fernseh-Schreiberling geht auf. Blöd nur, daß ihn die alte Nachbarin spätnachts einen Teppich aus dem Haus schleppen sah ...

Die Auflösung sei hier nicht verraten. Sie spielt auch keine Rolle. Das ebenso Lust- wie Qualvolle am Roman liegt darin, eine nicht unproblematische Figur, der man gleichwohl mit einigem Verständnis gegenübersteht, dabei zu beobachten, wie sich diese sehenden Auges immer tiefer in die Scheiße reitet. Daneben gibt es freilich auch Mängel: Alicia ist nicht nur schwach charakterisiert, sondern gerade am Ende in ihren Handlungen nicht nachvollziehbar motiviert.

Dennoch packt das Buch bis zum Schluß, und das liegt wohl auch an der Bedeutung, die es für die Autorin selbst hatte. "Der Geschichtenerzähler" steckt voll autobiographischer Bezüge. Nicht nur in Sydney Bartleby, auch in Mrs. Lilybanks, die eines Tages in das verlassene Haus nebenan einzieht, scheinen sich Züge der Autorin zu finden. Wie das Nachwort von Paul Ingendaay erläutert, verarbeitete die Highsmith in ihrem Roman unter anderem die Erfahrungen einer vierjährigen, unglücklichen Liebesbeziehung. Die 1921 geborene Amerikanerin war zuvor einer Freundin wegen nach Südengland gezogen und dort hängengeblieben.

Die Schriftstellerin selbst fand es mitunter schwer, zwischen privaten Belangen, die sie in "diaries" festhielt, und literarischen Einfällen, für die sie "cahiers" führte, zu unterscheiden. Ähnlich geht es ihrem Protagonisten, der an einem Roman mit dem Titel "Die Planer" arbeitet. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die Erfahrungen sammeln, diese generalstabsmäßig planen und durchleben. Und wer wollte es nicht schon mal erleben, "das angenehme Gefühl, beides zugleich zu sein: künstlerisch kreativ und ein Mörder"? Na eben.

Reinhard Ebner

Patricia Highsmith - Der Geschichtenerzähler

ØØØØØ

(A Suspension of Mercy)


Diogenes (Zürich 2006)

 

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