Print_Print-Tips 2/2006

Lachhafte Lektüre

Das Leben ist ein Jammertal, die nächste Steuererklärung kommt bestimmt. Zuflucht bieten Alkohol und Humor - letzterer jedoch auch in der Literatur nicht immer freiwillig.    15.09.2006

 

Reinhard Ebner

Heiko Arntz (Hrsg.) - Reisen im Karton


Reclam (Stuttgart 2006)

 

Daniil Charms, Eugen Egner, Groucho Marx, Flann O´Brien, Boris Vian und F. T. Vischer in einem Band versammelt – das hat schon was. Heiko Arntz hat eine Vorliebe fürs Groteske und läßt den Leser mit seiner ebenso kleinen wie feinen Anthologie daran teilhaben. Gemeinsamkeit der ebenso phantasiereichen wie verrückten Geschichten: "Aus Gegenständen der uns vertrauten Welt wird eine neue erfunden." Das Ergebnis dieser Neuerfindungen sind Wälder, in denen "die Bäume umgestellt" werden, Landkarten im Maßstab 1:1, Häuser, die "von innen nach außen gekrempelt" wurden, Zeitreisende im Karton, Menschen, die mit ihren Fahrrädern verschmelzen und viele schöne Sätze (wie dieser von Eugen Egner: "Obwohl ich heute noch detailliert angeben kann, wie wir aussahen und was wir sprachen, vermag ich nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen, welcher von den dreien ich war.").

Die vielen Kürzesttexte und Textauszüge sättigen nicht, sondern machen erst Gusto - womit das wohlfeile Büchlein am Ende teuer zu stehen kommt. Der Reclam-Kauf zieht je nach Humorneigung weitere Anschaffungen nach sich, etwa Charms "Fälle", Vians "Aufruhr in den Andennen", O´Briens "Der dritte Polizist" oder Vischers "Auch einer". Zur Unterstützung beim Geldverplempern liefern wir in der Linkliste gleich noch die entsprechenden Amazon-Links.

 

Links:

Steffen Jacobs (Hrsg.) - Die komischen Deutschen


Gerd Haffmans bei Zweitausendeins (Frankfurt/Main 2004)

 

Ja, schon klar: Der Titel wirkt wie ein Widerspruch in sich. Der austriakische Hochmut diesbezüglich ist - könnte man einwenden - jedoch unbegründet. Eine Nation, die sich an pseudolustigen Kabarettfilmchen und Schmarrn-Serien wie dem einstigen "Tohuwabohu" delektiert, hat in Sachen Komik jegliches Mitspracherecht eingebüßt.

Wie gesagt, könnte man einwenden - wenn die bei Zweitausendeins vorliegende Sammlung "878 gewitzter Gedichte aus 400 Jahren" nicht ohnehin literaturimperialistischer Etikettenschwindel wäre. Soll heißen: Neben den üblichen Verdächtigen von Heinrich Heine bis Max Goldt (warum fehlt eigentlich sein kürzlich verstorbener "Titanic"-Kollege Robert Gernhardt?) finden sich Ösis wie Ernst Jandl und Franzobel ebenso wie Schwyzis (Gottfried Keller) Am besten in kleinen Dosen zu genießen. Kommt Komik so geballt daher, wirkt sie nämlich höchst ermüdend. Soeben erschienen: eine abgespeckte Hörbuch-Version mit 105 Gedichten, vorgetragen von stimmlichen Kapazundern wie Harry Rowohlt und Gerd Haffmans.

 

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Alexander von Schönburg - Die Kunst des stilvollen Verarmens


Rowohlt (Berlin 2005)

 

Pop in der Musik und Pop in der Literatur sind nicht unbedingt das gleiche. Eindrücklichstes Beispiel dafür ist Alexander von Schönburg, geschniegeltes Aristo-Bubi und seines Zeichens Mitglied des sogenannten "popliterarischen Quintetts" ("Tristesse Royale"). Da er nach dem Einbruch im Anzeigenmarkt zur Jahrtausendwende wie viele andere Journalisten auch seinen Job (als "FAZ"-Redakteur) verlor, mußte er sein Leben hinfort als "freier Autor" fristen - und wähnte sich dabei gleich als Verarmender. Kein Grund zum Verzweifeln für Menschen mit Manieren, Herzensbildung und einem mit Kultur- und Bildungsgut vollgestopften Hirn. Schönburgs Erkenntnis daher: Reichtum ist démodé (Normalsterbliche würden sagen "out"), "schön Essen gehen" kleinbürgerlich, Urlaub dumm, Nichtfliegen in Zeiten von Billig-Airlines ein Statussymbol und Prosecco proletarisch.

Seltsam anachronistisch wirkt ein Buch wie dieses, in dem jeder dritte Satz in etwa so beginnt: "Meine Großmutter mütterlicherseits, Fürstin Maya Galitzin, und ihre Schwestern kannten die Großfürstin Xenia noch gut ..." Und in dem Finanzschwachen ausgerechnet Joris-Karl Huysmans´ Dekadenzwerk "Gegen den Strich" als Lebensmodell anempfohlen wird. Das Ganze soll lustig sein, wirkt aber als Verhöhnung jener, die tatsächlich am Existenzminimum dahindümpeln. Gemeinplätze und Eitelkeiten um saftige 17,90 Euro. Praktische Frage: Warum hat man den vermeintlichen Ratgeber für Menschen mit leerem Börsel konsequenterweise nicht gleich als kostengünstiges Taschenbuch aufgelegt (und warum hat man´s nicht überhaupt bleiben lassen)?

 

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Sándor Márai - Schule der Armen

(A szegények iskolája)


Piper Verlag (München 2006)

 

Noch ein Ratgeber, der allerdings trotz schwarzhumoriger Abrechnung mit der Armut dennoch zum Trostbuch taugt - und bei gleichem Ansatz wie obiges Schönburg-Machwerk (pardon: "von"-Schönburg-Machwerk) einen eher gesellschaftskritischen als kalauernden (und damit den Status quo fortschreibenden) Ansatz verfolgt. Die Tatsache einer Neuauflage des Márai-Buchs nach mehr als 70 Jahren ist erfreulich und doch zugleich ein Armutszeugnis im doppelten Wortsinn für eine Gesellschaft, in der eine sich rasant öffnende Einkommensschere und die beschleunigte Polarisierung beim Eigentum Jahrzehnte der Umverteilungskämpfe auf einen Schlag obsolet machen. Schande über uns, wenn wir solche Verhaltensregeln für Verarmende tatsächlich notwendig haben sollten!

Márai predigt den Verzicht und findet dabei zu einer Art Gegenprogramm zur Konsumgesellschaft. Positiv vermerkt wird die Wiedergewinnung von Freiheit (der Freiheit von Verpflichtungen) und Freizeit. Verzichten müsse der arme Mann jedoch auch auf eine weibliche Gefährtin (Kostenfaktor). Tröstlicher Gedanke: "Es ist eine der Betrachtung würdige Tatsache, daß die Menschen im Allgemeinen kein Geld haben." Weniger tröstlich: Der in erster Linie posthum erfolgreiche Literat Márai nahm sich 1989 das Leben.

 

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Hannes Stein - Enyklopädie der Alltagsqualen


Eichborn (Frankfurt/Main 2006)

 

Autor und "Enzyklopädist" Hannes Stein ist ein gebürtiger Münchner, der in Salzburg aufwuchs und dort offenbar das bayrische Granteln zum österreichischen Raunzen perfektionierte. Das klingt dann so (Eintrag zu Dan Brown): "Seine Prosa ist platt wie ein Fahrradschlauch, der Bekanntschaft mit einer Flaschenscherbe geschlossen hat. Seine Plots wurden im Windkanal getest, ob sie auch haarsträubend genug sind. Seine Dialoge haben offenbar Ölsardinen im Zustand geistiger Umnachtung verfasst." Die Qualität der Einträge mag durchwachsen sein, insgesamt ergibt das jedoch ein böses, hochgradig unfaires und gerade deshalb tatsächlich auch lustiges Buch mit therapeutischer Wirkung. Oder wie Stein meint: "Jammern ist ein Indikator des Wohlstandes."

 

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Heinz-B. Heller, Matthias Steinle (Hrsg.) - Filmgenres: Komödie


Reclam (Stuttgart 2005)

 

112 Artikel über Filmkomödien von den Anfängen bis zur "Fabelhaften Welt der Amélie" haben die Herausgeber versammelt und sind dabei mit keinem Wort auf die unsäglichen Beziehungs- und Romantikkomödien mit Doris Day eingegangen. Man muß ihnen das Fehlen der fast schon geschlechtslosen Spießbürger-Ikone als Verdienst anrechnen. Freilich wird man auch sonst so manche liebgewonnene Komödie vermissen, doch ist die nicht auf Vollständigkeit angelegte Sammlung exemplarischer Genrebeispiele gelungen. Zudem findet sich manches in anderen Bänden der Reclam-Filmreihe: "Shrek" etwa im Band über Animationsfilm, "Evil Dead" bei den Horrorfilmen und "Mars Attacks" (man wird das Fehlen der reichlich überdrehten Komödie locker verschmerzen) im SF-Band. Womit ein Grundproblem der Sammlung angedeutet ist: Die Komödie als Filmgenre ist ja an sich bloß ein Hilfskonstrukt. Andererseits kann jedes andere Genre bei entsprechender Aufbereitung zur Komödie (mit ihren Subformen wie Romanze, Satire, Parodie, Groteske etc.) werden.

Die Einzelartikel sind gewohnt kenntnisreich (in der Reihe bereits erschienen sind etwa die Bände zu Abenteuer- und Horrorfilm, Science Fiction und Western) und begeisternd, da offenbar von echten Cineasten verfaßt. Und sie zeigen auch die zeitliche Gebundenheit von Humor. Wer heute noch über das 1895er-Komödchen "Der begossene Gärtner" (Lausbub klemmt Gartenschlauch ab, Gärtner wird vollgespritzt) der Brüder Lumière lachen kann, braucht dringend einen Arzt. Zeitlos bleibt dagegen der Anarcho-Slapstick der Marx Brothers (gut, daß man in Zeiten der DVD die langatmigen Musiksequenzen überspringen kann).

 

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Aaron Allston - Star Wars: Rebellenträume

(The New Jedi Order - Rebel Dream)


Blanvalet (München 2005)

 

Komisch? Auf jeden Fall, wenn auch nur unfreiwillig! Wir schreiben das Jahr 25 nach dem Krieg dem Sterne. Abgehandelt wird dieses nicht mehr auf Zelluloid, sondern im Rahmen einer Paperback-Reihe unter dem Titel "Das Erbe der Jedi-Ritter", deren elften Band wir mit "Rebellenträume" in Händen halten. Rechnet man vorangegangene Buchreihen ("X-Wing", "Die Jedi-Akademie", "Die schwarze Flotte" usw.) dazu, läßt sich also eine ganze Menge Lebenszeit im papierenen Star-Wars-Universum verplempern.

Das Handlungsgerüst von Band 11: Während sich die Yuuzhan Vong (böse, böse) das Weltall unter den Nagel reißen wollen, schleust sich der "tollkühne" Luke Skywalker in den feindlichen Stützpunkt ein. Han und Leia sind auch dabei und auf Goodwill-Tour, um für die nächste Rebellion Stimmung zu machen. Luke ist übrigens verheiratet, hat einen Balg und wirkt irgendwie reaktionär und verbiestert. Aber die Entwicklung vom Berufsrevolutionär zum Reaktionär hat ihm ja bereits Fidel vorgemacht. Es herrscht Endzeitstimmung: "Wir stehen kurz vor der Vernichtung unserer gesamten Kultur, unserer Geschichte. Am Ende sind wir selbst Yuuzhan Vong." Wider Erwarten ist das Buch gut geschrieben und übersetzt. Sogar die obligatorischen Druckfehler vermißt man.

 

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Maxim Biller - Moralische Geschichten


Kiepenheuer & Witsch (Köln 2005)

 

"Tante Jolesch läßt grüßen" ist man versucht, zu schreiben. Aber Tante Jolesch würde Maxim Biller vermutlich nicht grüßen. Während Friedrich Torberg im "Untergang des Abendlandes" beschauliche Anekdoten aus der Welt des jüdischen Großbürgertums versammelte, fabriziert der Anti-Torberg Biller regelmäßig seine Grotesk-Geschichten aus dem jüdischen Kleingaunertum. Das Ergebnis ist im Fall der "moralischen Geschichten" wie immer sehr lustig, sehr dreckig und höchst effizient (mancher Text begnügt sich mit wenigen Sätzen). Hornstein wird nach Viagra-Genuß nicht einmal mit der Lektüre einer Golda-Meïr-Biographie seinen Dauerständer los, Teitelbom beim amourösen Infight mit der Cousine von einem Holocaust-Mahnmal erschlagen, und der beim anderen Geschlecht notorisch erfolglose Goldenberg versucht´s in seiner Verzweiflung mit Anfahren (mit seinem Saab) anstatt Anbraten.

 

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