Print_Ray Bradbury - Schneller als das Auge

Ray im Wunderland

Der legendäre SF-Autor ist ein verdammt guter Geschichtenerzähler - und er nervt. Wer Rays aufgeblähtes Ego zu ignorieren weiß, kommt jedoch voll auf seine Kosten.    06.09.2006

Nichts gegen Ray Bradbury - der Mann ist schlicht und ergreifend genial. Aber wenn er anfängt, Nachworte zu den eigenen Story-Sammlungen zu verfassen, sollte man ihm die Schreibmaschine wegnehmen. Das selbstgefällige Gesülze eines zugegebenermaßen und zu Recht erfolgreichen, aber leider auch entsprechend eingebildeten Autors verleidet einem die Lektüre nachträglich wieder ein wenig. Gott sei Dank hat man da das Buch schon ausgelesen.

"Warum ich so gute Bücher schreibe" betitelte einst ein syphilisbedingt unter Größenwahn leidender Nietzsche-Fritz ein Kapitel seines "Ecce homo". Wäre der Titel nicht schon vergeben gewesen, hätte Bradbury wohl darauf zurückgegriffen. So mußte er sich mit einem "Verlieren Sie keine Zeit, leben Sie!" begnügen. Unausgesprochener Subtext: Aber Sie können sich anstrengen, wie Sie wollen, so gut wie ich werden Sie doch nie; Ihr Ruhm wird niemals den meinen überstrahlen.

Gut, erstens braucht man das Nachwort ja nicht zu lesen. Und zweitens: Bevor man sich das bißchen ärgert, hat man schon etliche Lektürestunden lang - wie sagen doch unsere deutschen Freunde? - "Bauklötze" gestaunt. Bekannt ist und bleibt Mr. Bradbury für "Fahrenheit 451", in Cineastenkreisen vielleicht noch für sein Drehbuch zu John Hustons "Moby Dick". Suchtpotential weisen jedoch vor allem seine zahlreichen Kurzgeschichten auf, die eigentlich verschreibungspflichtig sein sollten.

Wo nimmt er bloß immer diese Ideen her? "Noch einmal legato" beispielsweise: Das handelt von besonders begabten Singvögeln, die ganze Symphonien pfeifen. Bradbury-typisch wird diese Ausgangsidee bis zum bitteren Ende durchgezogen: Wenn sich von den Musen zeitweilig vernachlässigte Komponisten um die Inanspruchnahme der Dienste unserer gefiederten Freunde zu befehden beginnen, wird die Sache erst interessant - und natürlich höchst komisch. Oder "Sanfte Morde", wo es um Eheleute im Methusalem-Alter geht, die einander am liebsten um die Ecke bringen würden. Weil aber immer etwas schief geht dabei, müssen sie bald ein Massengrab im Garten ausheben, um die zahlreichen menschlichen "Kollateralschäden" im Freundes- und Bekanntenkreis zu verscharren. Oder die Geschichte von den "Architekten", die - in einem unterirdischen Bunker hausend - die Weltgeschicke vom Erdbeben bis zum politischen Beben herbeiführen und lenken ...

Seit "Fahrenheit" wird Bradbury gern als Science-Fiction-Autor wahrgenommen. Das ist er nicht, auch wenn manche seiner Geschichten in der Zukunft spielen mögen. Andere wiederum widmen sich aber der Welt zwischenmenschlicher Beziehungen und versehen diese mit einer ebenso feinen wie überraschenden Pointe. Geistergeschichten finden sich im Erzählband "Schneller als das Auge" (ebenfalls unbedingt lesenwerte Bände: "Die Laurel & Hardy-Liebesgeschichte", "Geisterfahrt" und "Der illustrierte Mann") neben Semi-Autobiographischem oder historischen Skizzen. Gemeinsames Merkmal: Bradbury hat ein unglaubliches Talent, eine noch so absurde Grundidee glaubhaft zu machen und auf realistische Art und Weise bis zu den verstiegensten Konsequenzen durchzuspielen. In gewisser Weise stehen seine Stories in der Tradition der klassischen Novelle: In die reale, uns bis zum Überdruß vertraute Welt bricht das "Wunderbare" ein.

Zumindest in einer Hinsicht hat Bradbury bei seiner Selbsteinschätzung recht: "Ich bin kein Science-Fiction- oder Fantasy-Autor, kein Autor von Märchen und surrealistischen Gedichten, kein magischer Realist." Was aber ist er dann? Nach eigenem Dafürhalten: ein Zauberer. Ja, schon gut, aber muß er uns das denn so unter die Nase reiben?!

Reinhard Ebner

Ray Bradbury - Schneller als das Auge

ØØØØØ

(Quicker than the Eye)


Diogenes Verlag (Zürich 2006)

 

Links:

Kommentare_

Stories
Unterwegs mit Sherlock Holmes

Wenn sich Holmes mit Lovecraft ins Bett legt

Eine Autofahrt mit Thomas Fröhlichs neuem Hörbuch "Das Geheimnis des Illusionisten" ist gleichermaßen unterhaltsam wie lehrreich. Dennoch sei gleich einmal davor gewarnt: Der Ausflug ins Reich zwischen den Welten von Arthur Conan Doyle und Howard Philips Lovecraft kann teuer zu stehen kommen.  

Print
James Marriott/Kim Newman - Horror

Hundert Prozent Grauen!

Eine ordentliche Portion Zombies und Geister, ein Rudel Werwölfe, eine Prise Vampirismus, das Ganze abgeschmeckt mit Blut und Gedärm und appetitanregend dekoriert mit Serienmeuchlern und Folterknechten: Das Ergebnis heißt "Horror" und ist das Filmbuch, auf das wir schon lange gewartet haben.  

Akzente
Literatursalon im Gemeindebau

Kainsmale und Seelen-Strips

"Literatursalon im Gemeindebau" heißt eine Veranstaltung des Theaters Rabenhof. Große Namen aus der Schreiberzunft - wie Chuck Palahniuk - und unfade Literatur werden so vom 11. September bis zum 5. Dezember in einem Veranstaltungsreigen versammelt.  

Print
Hörbuch-Tips 1/07

Wer fühlen will, muß hören

Horror, Thrill, Humor: Mit den sommerlichen Hörbuch-Tips spielen wir ordentlich Gefühlsklavier - und das insgesamt 1722 Minuten lang. Außerdem haben wir etwas zu verschenken. Aber lesen Sie selbst.  

Stories
Schlaflos #9

Das Weltall ist nicht genug

Auch ein Perry Rhodan hat gelegentlich Sex - aber von Verhütung keine Ahnung. Das Ergebnis des außerehelichen Gspusis ist der "Sternenbastard". Und der spielt die Hauptrolle in einer höchst unterhaltsamen Hörbuchserie.  

Akzente
Tower of Power ´07

Noch ein Sommer im Narrenturm

Bereits zum zweiten Mal darf der EVOLVER zu einer Veranstaltungsreihe im Pathologisch-anatomischen Bundesmuseum, besser bekannt als "Narrenturm", laden. Freunde des Ab- und Jenseitigen werden auch diesen Sommer nicht zur Ruhe kommen.