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Schmauchspuren #3

Das Böse ist, wie wir wissen, überall. Manchmal kommt es als Gangster daher, manchmal als nette Nachbarin - und öfter, als man glaubt, stellt es sich in Gestalt einer Femme fatale ein.    15.01.2014

Peter Hiess

Jack Ketchum - Evil

Heyne Tb. 2005

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Es fängt an wie bei Stephen King: amerikanische Kleinstadt in den 50er Jahren, ein Bub an der Schwelle zum Erwachsenwerden, Sommerferien. Doch das Grauen, das sich auf den Seiten von Jack Ketchums Roman "Evil" breitmacht, entstammt weder dem Jenseits noch irgendwelchen Alpträumen, sondern dem ganz normalen Alltag. Die Geschichte von der Nachbarin, die zwei Waisenmädchen bei sich aufnimmt und die ältere der beiden im Keller zu Tode foltert, während ihre Söhne, die Nachbarskinder und auch der Erzähler - im Vertrauen darauf, daß die Erwachsenen schon wissen werden, was sie tun - dabei mitmachen, ist so herzzerreißend böse und wahr, daß sie tatsächlich nebenan passieren könnte. Man möchte beim Lesen zu weinen beginnen, in ohnmächtigem Zorn in die Handlung eingreifen - und versteht, warum Heyne seine neue Grusel-Thriller-Reihe "Hardcore" nennt. Meisterhaft.

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H. R. F. Keating - Inspector Ghote zerbricht ein Ei

Unionsverlag Tb. 2004

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Auch in einer Kleinstadt, aber im wahrsten Sinne des Wortes im hintersten Indien, spielt der Roman, in dem sich der bewährte Inspector Ghote aus Bombay aufs Land begeben muß, um dort einen Dorfbonzen des Mordes an seiner Frau zu überführen. Die Tat soll sich vor 15 Jahren ereignet haben, die Ermittlung ist eine politische Intrige, und der gute Polizist hat gegen den "Chairman" eigentlich keine Chance. Weil er sich aber mit gestelzter Würde trotzdem durchbeißt, bleibt Ghote auch hier liebenswert.

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Hector Macdonald - Der Kodex

Ullstein Tb. 2006

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Der Brite Hector Macdonald führt seinen Protagonisten Mark Weston, einen Globetrottel auf der Flucht vor Ehepflichten und den handelsüblichen Kindheitstraumata, ins Hinterland einer mittelamerikanischen Diktatur, wo ein amerikanischer Softporno-Milliardär anhand eines Modelldorfs eine bessere Welt schaffen will - und jedem, der seine Moralprüfung besteht, Geld für Gutmenschenprojekte verspricht. Weston ist natürlich ein Schwindler, so wie seine Mitreisenden. Ob und wie sie sich gegen den "Kodex" des reichen Irren behaupten, das ist stellenweise ganz spannend, obwohl man nie recht weiß, warum man überhaupt weiterliest ...

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Frédéric Neuwald - Götterschwert

Knaur Tb. 2005

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Beim "Mystery-Thriller" um das Schwert Alexanders des Großen, das einen jungen Archäologen (der aussehen dürfte wie The Rock) zu einer Expedition mit allzu bekannten Turbulenzen und Konkurrenten hinreißt, weiß man hingegen erst gar nicht, wieso man ihn überhaupt zu lesen begonnen hat. Der Plot ist weder geheimnisvoll noch spannend, der Stil ist banal, der Autor kommt laut Klappentext "vom Film" - und das Resultat wirkt wie die Buchumsetzung eines C-Movies, nachts um halbdrei bei RTL 2. Unfug.

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div. Hard Case Crime


Max Allan Collins - Two for the Money

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2004

 

Domenic Stansberry - The Confession

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2004

 

Day Keene - Home Is The Sailor

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2005

 

Da wenden wir uns doch viel lieber der chronologischen Aufarbeitung der "Hard Case Crime"-Reihe zu, diesmal mit den Bänden 5 bis 7. Buch- und Comic-Autor Max Alan Collins, ein Meister des literarischen Pastiches, nahm sich mit den Romanen "Bait Money" und "Blood Money" (1974 und 1981) eines seiner Lieblingsgenres vor: das des Hardboiled-Gangsterkrimis, wie man ihn aus Richard Starks "Parker"-Serie kennt. Sein Berufskrimineller Nolan muß einen letzten großen Coup begehen, um der Rache des Syndikats zu entgehen, arbeitet dabei mit ein paar jugendlichen (damals modernen) Hippies zusammen, verliert alles, entkommt, rächt sich - und bleibt stets Profi. Da stimmt jedes Wort.

Domenic Stansberrys psychoanalytischer Serienkiller-Pulp "The Confession", ein zeitgenössischer Hard-Case-Eintrag, ist genau das, was der Titel ankündigt: ein Geständnis. Als Leser wartet man bis zum Schluß auf die überraschende Wendung, aber die kommt nicht. Für die Wartezeit bis zum Anschlußflug mit flotten 218 Seiten eignet sich´s zwar trotzdem, aber mit der Konkurrenz von "Home Is The Sailor" (1952) des hierzulande praktisch unbekannten Autors Day Keene kann solch modernes Zeug nicht mithalten. Der bärenstarke Matrose Swede, der auf einer Farm seßhaft werden will, aber in die Fänge einer perfiden Femme fatale gerät, prügelt und säuft sich unbeirrbar wie Marv aus "Sin City" durch die Handlung und ist am Schluß wieder dort, wo er hingehört. Sowas kann man nur liebhaben.

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Alice Blanchard - Zahn um Zahn

Rowohlt Tb. 2006

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Derartige Gestalten hätten in einem Thriller wie Alice Blanchards "Zahn um Zahn" leider nichts verloren - weil sich manche Leute einfach zu ernst nehmen. Der Krimi spielt im Tornado-Country Oklahomas, wo eine Familie nach einem Sturm tot aufgefunden wird und der Polizeichef nicht an einen Unfall glaubt. Schön und gut, aber warum müssen da alle Männer betrunkene, brutale Loser sein, während die Frauen als arme, leidende Opfer durchs Bild taumeln? Soll das etwa das richtige Leben sein? Und wenn ja: Was hat ausgerechnet das in einem Spannungsroman verloren?

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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