Print_Print-Tips Spezial

Schmauchspuren #27

Nicht jeder beherrscht die englische Sprache. Übersetzer und Lektoren jedoch sollten auch beim gemeinen Thriller wissen, womit sie es zu tun haben - und wie man´s am besten auf deutsch sagt. Das meint jedenfalls unser Krimiexperte Peter Hiess.    02.07.2014

Peter Hiess

Charlie Huston - Das Clean Team

Heyne Tb. 2009

Leserbewertung: (bewerten)

Bevor wir uns kriminellen Details zuwenden: Es ist hoch an der Zeit, gegen die Ermordung der deutschen Sprache aufzutreten. Wo steht denn geschrieben, daß moderner Hollywood-Slang sich in der Übersetzung lesen muß, als hätte ihn die selige Berliner Synchron - häßlich modernisiert fürs Unterschichtenfernsehen - erbrochen?

Charlie Hustons Kriminalgroteske Das Clean Team - um einen schwer traumatisierten Ex-Volksschullehrer, der in L. A. demotiviert dahinlümmelt, bis er einen blutigen Job bei einer Tatortreiniger-Firma annimmt - ist eigentlich ein gutes Buch. Die Story um den depressiven Mistkerl, der sich erst wohlfühlt, als er an Verbrechensschauplätzen Knochenreste, Gehirnspritzer und andere körperliche Hinterlassenschaften wegputzen darf, und der in eine absurd-witzige Geschichte um eine Femme fatale, ihren vertrottelten Bruder und ein paar inzuchtgeschädigte Hinterwäldler-Gangster verwickelt wird, kommt im Original sicher spritzig und rasant daher. Aber so? Was ist denn zum Beispiel "ein Wüstenei" (S. 372)? Wo gibt´s dieses Ei? Warum hat hier das Lektorat geschlafen und nicht auf "die Wüstenei" korrigiert? Kann man das Steuer bitte herumreißen und nicht auch noch auf dem Buchmarkt den Piefke-Aggro-Rapper markieren? Charlie Huston hätte es verdient. Und nicht nur er.

Links:

Karl Heinz Weber - Auf eigene Faust/Bernd Diksen - Rache ist kein Kinderspiel

Das Neue Berlin Tb. 2009

Leserbewertung: (bewerten)

Zur allgemeinen Beruhigung tragen Originalfassungen bei - so oder so. Die deutsche Variante findet sich etwa in der liebenswerten Reihe "Blaulicht", die DDR-Kurzkrimis (das realsozialistische Äquivalent zum westlichen Heftroman) nachdruckt. Schon die Lektüre des schmalen Bändchens, das die zwei je 40 bis 50 Seiten starken Erzählungen Auf eigene Faust (ein Vergewaltigungsfall, beschrieben von Karl Heinz Weber) und Rache ist kein Kinderspiel (Attentat auf einer ländlichen Großbaustelle, aufgeklärt von Bernd Diksen) enthält, überzeugt den Genrefreund, daß es hier noch viele Schätze zu heben und weitere Folgen zu besorgen gibt. Und ganz ohne Ostalgie: Man sehnt sich nach einer Zeit und einer Welt, in der die Genossen Ermittler vernünftig und als moralisch ungebrochene Charaktere an ihre Fälle herangingen.

Links:

Time for Hardcase Crime


Charles Ardai - Fifty-to-One

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008

 

Lawrence Block - Killing Castro

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

 

Im kapitalistischen Westen war immer schon alles dunkler, wenn auch durchaus unterhaltsam - wie zwei weitere Folgen aus der US-Noir/Pulp-Reihe Hard Case Crime (dem ständigen Begleiter dieser Kolumne) sehr schön zeigen. Den 50. Band der Serie, Fifty-to-One, hat Mitherausgeber Charles Ardai selbst verfaßt. Dabei ist es ihm nicht nur gelungen, eine trashige Welt zu zeichnen, in der sein Verlag bereits vor 50 Jahren gegründet wurde (und der Verleger einer der Protagonisten ist), sondern auch, die Kapitel nach den bisherigen 50 Publikationen zu benennen, in der richtigen Reihenfolge und auch inhaltlich passend. Und das ist mehr als ein kleines Kunststück - wir gratulieren!

Übrigens auch zu Band 51, Lawrence Blocks wunderbar nihilistischem Killing Castro aus dem Jahre 1961, in der ein paar Profis, "drifter" und vom Schicksal geprügelte Männer den Auftrag zur Ermordung des kubanischen Parteivorsitzenden annehmen. Ohne Ardai und seinen Kollegen Max Phillips wäre dieses Buch wohl nie wieder erschienen. Und schade wär´s.

 

Links:

Gemischtes Doppel


Graham Brown - Black Rain

Blanvalet Tb. 2009

 

Scott Sigler - Virulent

Heyne Tb. 2010

 

Zur Unterstützung der gar nicht so weit hergeholten These, daß man sein halbes Leben (also: die Freizeit, den Rest kann man ja kein Leben nennen ...) mit der Lektüre abenteuerlicher Techno-Thriller verbringen kann und sollte, seien hier noch zwei beruhigend umfangreiche Taschenbücher angeführt, mit denen Sie problemlos Ferien, Flugreisen, Familienfeiern und andere Faxen hinter sich bringen.

Graham Brown, Pilot und Jurist, will der neue Michael Crichton werden (wer nicht?) und legt mit Black Rain seinen Romanerstling vor: Ein supergeheimer amerikanischer Wissenschaftsgeheimdienst, eine möglicherweise unerschöpfliche Energiequelle in einer mysteriösen Pyramide mitten im Amazonas-Regenwald, attraktive Forscherinnen und Ex-Supersoldaten, wilde Eingeborene und schreckliche Monster machen Browns Werk zur unterhaltsamen Zwischendurchlektüre, die einstweilen noch nicht mit Crichton in seiner besten Zeit, aber eventuell mit James Rollins mithalten kann.

Der Shooting-Star Scott Sigler, dessen Genre-Podcasts so erfolgreich waren, daß ihn die großen Verlage schnurstracks aus dem Internet wegengagierten, liefert mit Virulent die Fortsetzung zu seinem spannenden Killerparasiten-Alien-Invasion-Thriller Infiziert (ebenfalls bei Heyne). Und die müssen Sie schon deswegen gelesen haben, damit Sie wissen, wie ein ehemaliger Football-Star, der sich selbst kastriert hat, zum Helden werden kann. Fast 700 Seiten Spannung, wenn auch ohne viele Überraschungen. Aber man kann nicht alles haben.

Links:

"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 42

Du darfst ...

Gute Nachricht für alle Desorientierten und von Relikten der Vergangenheit Geplagten: Unser beliebter Motivationstrainer Peter Hiess zeigt Euch einen Ausweg. Und die erste Beratungseinheit ist noch dazu gratis!  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 41

Gleisträume

Will man sich in den Vororten verorten, dann braucht man auch die praktische Verkehrsverbindung. Der EVOLVER-Stadtkolumnist begrüßt den Herbst mit einer Fahrt ins Grüne - und stimmt dabei ein Lob der Vorortelinie an.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 40

Weana Madln 2.0

Treffen der Giganten: Der "Depeschen"-Kolumnist diskutiert mit dem legendären Dr. Trash die Wiener Weiblichkeit von heute. Und zwar bei einem Doppelliter Gin-Tonic ... weil man sowas nüchtern nicht aushält.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 39

Der Tag der Unruhe

Unser Kolumnist läßt sich von Fernando Pessoa inspirieren und stellt bei seinen Großstadtspaziergängen Beobachtungen an, die von ganz weit draußen kommen. Dort wirkt nämlich selbst das Weihnachtsfest noch richtig friedlich.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 38

Schneller! Schneller!

Wie man hört, trainieren US-Soldaten in Manövern für die Zombie-Apokalypse. In Wien scheint sie bereits ausgebrochen. Der EVOLVER-Experte für urbane Beobachtungen weiß auch, warum.  

Print
Klaus Ferentschik - Kalininberg & Königsgrad: Große Miniaturen

Keine Kleinigkeiten

Ein für seine Bücher über 'Pataphysik, die steirische Weltmaschine und die Welt der Kabel bekannter Autor ergeht sich mit seinen großen kleinen Geschichten über eine ehemals deutsche und heute russische Stadt nicht in larmoyanter Vergangenheitsbewältigung, sondern verpackt Kaliningrad in ein literarisches Meisterstück.