Stories_Gem/Interview

Geschliffener Rohdiamant

Kämen die fünf Mittzwanziger statt aus Holland von der Pop-Insel, wären sie bereits in aller Munde. So aber muß Leadgitarrist Bas de Graaff noch Aufklärungsarbeit leisten.    07.06.2005

EVOLVER: Wofür stehen die drei Buchstaben in eurem Namen? Was bedeutet er?

 

Bas de Graaff: Im Englischen bezeichnet Gem einen Edelstein, einen Diamanten, einen Brillanten etc. Wir schreiben kurze, melodische Songs, die jeder für sich kleine Brillanten sind, und so gesehen paßt es auch. Außerdem ist der Name kurz und klingt nicht übel.

 

EVOLVER: Stimmt es, daß es Gem erst seit zwei Jahren gibt?

 

Bas de Graaff: Anfang 2003 haben wir so richtig begonnen, eine Gruppe zu sein. Davor haben Vincent Lemmen (Rhythmusgitarre) und ich eine Zeitlang gemeinsam in anderen Bands mitgemischt und Stücke geschrieben. Wirklich zufrieden waren wir damit aber nicht. Deshalb haben wir Schluss gemacht, um eine richtige Rock-´n´-Roll-Band ins Leben zu rufen. Bei uns in den Niederlanden gibt es davon sowieso zu wenige! Wir aber lieben britische Musik – Beatles, Sex Pistols oder Gruppen neueren Datums.

 

EVOLVER: Wir habt ihr die restlichen Musiker gefunden? Irgendwo habe ich aufgeschnappt, daß ihr beiden per Inserate nach den anderen gesucht habt. Mit welchen Worten habt ihr sie da geködert?

 

Bas de Graaff: "Condemned to Rock´n´Roll" stand in fetten Buchstaben überm Inserat. Wir suchten darin nach einem Sänger mit Ausstrahlung, der sich der richtigen Musik verschrieben hatte. So schneite Maurits Westerik bei uns herein - kein Zweifel, er mußte dabei sein. Jeroen Kikkert (Bass) und Ilco Slikker (Drums) kannten wir von früher und haben sie einfach angesprochen.

 

EVOLVER: Habt ihr vor Gem in vielen anderen Bands mitgemischt?

 

Bas de Graaff: Sicher, sicher, wohl jeder von uns. Irgendwas fehlte aber immer, um mit dem Projekt zufrieden zu sein. Bei Gem ist das anders.

 

EVOLVER: Könnt ihr euch dann überhaupt noch ein Leben ohne Gem vorstellen?

 

Bas de Graaff: Nein, weil wir genau das tun wollen, was wir tun. Wir spüren einfach, daß die Richtigen zusammen gefunden haben und wissen um unsere Stärken. Wir fokussieren 100% auf Gem. Einen normalen Job können wir immer noch suchen, wenn wir mal grauhaarig sind.

 

EVOLVER: Euer erster Auftritt war ein Support-Einsatz für die Libertines. Wie habt ihr euch den denn geangelt?

 

Bas de Graaff: Damals hatten wir noch keinen fixen Drummer. Alles, was wir hatten, waren acht Songs und eine Demo-CD mit drei Nummern. Wir haben den Veranstaltungsort, in dem die Libertines auftreten sollten, angeschrieben und ihnen klar gemacht, daß wir die einzige Band wären, die ins Vorprogramm paßt. Sie haben sich die MP3s angehört und uns kurz darauf am Telefon mitgeteilt, daß wir spielen dürften. Das war natürlich fantastisch, vor allem, weil wir die Libertines selbst großartig fanden. Wir haben danach genauso viel Presse wie sie erhalten und sollen sogar besser als sie gespielt haben. Seitdem ist der Ball am Rollen.

 

EVOLVER: Wie schwierig ist es in den Niederlanden für junge einheimische Bands, von Publikum, Labels und Clubs akzeptiert zu werden? Mir fallen ja nicht gerade viele Namen ein, wenn ich über niederländische Bands nachdenke.

 

Bas de Graaff: So siehts aus. International erreichen nur wenige Niederländer etwas. In der Dance-Abteilung waren wir immer gut mit DJs vertreten, aber sonst? Ehrlicherweise muß ich zugeben, daß es auch gar nicht wahnsinnig viele gute Bands gibt. Den Stil mögen wir vielleicht ganz gut finden, nur im Ausland wartet halt keiner drauf. Dabei darf nicht unter den Tisch gekehrt werden, daß die Obrigkeit sehr wohl die Musik unterstützt, auch mal finanziell. Wenn ich das vergleiche mit anderen Ländern ... Auch unsere Clubs sind sehr gut. Wie überall anders in der Welt gehts der Musikindustrie generell schlecht.

 

EVOLVER: Ihr kommt aus Utrecht - die "Rock City" der Niederlande. Ist das ausschlaggebend oder könnte Gem überall passieren?

 

Bas de Graaff: Vielleicht, weiß nicht so recht. An Utrecht aber gibts diesbezüglich nichts spezielles. Bands, die guten, melodischen Rock´n´Roll machen sind im ganzen Land spärlich geseht.

 

EVOLVER: Ist das Tempo, mit dem Gem bekannter wird, manchmal nicht ein wenig furchteinflößend? Oder hat der Hype in eurer Heimat keine Auswirkungen?

 

Bas de Graaff: Angst haben wir sicher keine. Alles geht zwar sehr schnell, das wollen wir aber auch so. In diesem Augenblick sind wir voller Energie mit dem Willen, größer und besser zu werden. Als Songwriter haben wir uns beachtlich entwickelt. Mit dem zweiten Album sind wir schon fast fertig. Wir sind sehr, sehr stolz auf die Nummern, die wir geschrieben haben. Ein Hype ist sowieso eine reine Medienangelegenheit. Liebhaber guter Musik kümmern sich einen feuchten Dreck darum, was vorgeschrieben wird. Sie wollen nur die Musik selbst genießen, und dafür sorgen wir.

 

EVOLVER: Hört ihr euch eigentlich die gleichen Platten an? Habt ihr gemeinsame Vorbilder?

 

Bas de Graaff: Wir sind uns zwar über die Richtungen einig, mögen aber verschiedene Interpreten. Maurits beispielsweise findet Bob Dylan ganz großartig. Vincent und ich hören vor allem britische Bands, Jeroen und Ilco amerikanische Sachen wie Queens of the Stone Age. Gemeinsam haben wir ein Ziel vor Augen - gute Nummern zu schreiben, die uns allen gefallen.

 

EVOLVER: Gem wird gerne mit Oasis und den Strokes verglichen. Wird das nicht auf Dauer ein wenig langweilig?

 

Bas de Graaff: So schlimm find ich das gar nicht. Leute, die uns noch nicht kennen, wissen dadurch, was für eine Band wir sind. Meiner Meinung nach rocken wir aber mehr. Live spielen wir alles in Grund und Boden, haben wirklich energiegeladene Shows. Von Oasis oder den Strokes kann man das ja nicht gerade behaupten, was mir eigentlich auch egal ist. Jedem das seine.

 

EVOLVER: Euer Debütalbum nennt sich "Tell Me What´s New". Welche Neuigkeiten sind darauf zu finden?

 

Bas de Graaff: Es ist genau andersrum! Viele Bands behaupten ja, etwas vollkommen neues zu machen und einzigartig zu sein. Kompletter Unsinn, jeder ist von anderen Bands beeinflußt, schaut gewisse Dinge ab. Man darf aber beim Schreiben nicht vergessen, den Songs einen besonderen Anstrich zu geben. Einfach gute Songs schreiben und sich dadurch von den anderen abheben – das ist wichtig.

Bernadette Karner

Gem - Tell Me What´s New


Excelsior/Haldern Pop/Ixthuluh (Niederlande 2005)

 

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