Stories_Helldorado

Sympathische Wiederholungstäter

Die Behauptung, in Norwegen liege Schwermut in der Luft, hält sich hartnäckig. Helldorado bewegen sich nicht deshalb, sondern trotzdem auf der Schattenseite.    15.06.2005

Man kennt das ja: Bevor man eine Band nach ihren eigenen Qualitäten einschätzt, sucht man der Einfachheit halber lieber vertraute Vergleichswerte, um sich die Mühe zu ersparen, nach treffsicheren Formulierungen zu suchen. Das ist in Norwegen nicht anders, wo sich Helldorado laut Kritikermeinung auf Emmerhoff oder Tuco´s Lounge zu reimen hat. Daß ein Nebeneinander sehr wohl möglich und ob der geographischen Gegebenheiten auch wahrscheinlich ist, wird da gern verdrängt.

Tatsächlich gibt es bei Helldorado keine allzu zwingenden Ähnlichkeiten zu Bands aus dem eigenen Königreich. Der Unterschied manifestiert sich schon einmal in den Texten: Leichen pflastern den Weg der in Stavanger wohnhaften Musiker. Darüber, ob sie sich bereits im zweistelligen Opferbereich bewegen, herrscht Band-intern Uneinigkeit: "Bislang haben wir 14 Personen um die Ecke gebracht", sagt der eine. "Jetzt übertreibst du maßlos", meint der andere. "Nein, das stimmt schon, ich habe erst unlängst wieder nachgezählt."

Eine strafrechtliche Verfolgung haben Helldorado deswegen nicht zu befürchten, da sie die Lebenslichter natürlich nur in ihren Songs auslöschen. Die Band besteht aus Dag S. Vagle (voc, g), Bård Halsne (g, voc), Hans A. Wassvik (b) und Morten Jackman (dr). Und obiger Disput entstand auf Nachfrage vor dem Konzert im Wiener Chelsea, ob man in Zukunft in den Texten ähnlich schicksalsbestimmend bleiben würde. Die Antwort war letztendlich eine vages "sehr wahrscheinlich". Sehr wahrscheinlich ist auch, daß sich die Geschichten wie bisher einfach ergeben werden. Bei Gründung der Band wurde ja keine Absichtserklärung unterschrieben, welche Themen einzukreisen sind und von welchen Bereichen Abstand zu halten ist. Die Geschichten fanden sich einfach ein, nachdem klar war, in welche musikalische Richtung es mit Helldorado gehen soll.

 

Die dramatischen Zeilen stellen sich der Melodie jedoch nicht in den Weg, sondern spielen ihrer Vehemenz auf einer weiteren Ebene zu. Mord und Totschlag sind also keineswegs ein hinter dem aktuellen Album "Director´s Cut" steckendes Konzept. Sehr wohl aber schwimmen diese Themen an die Textoberfläche und drängen sich als Inhalt auf, wenn es gilt, Worte zu finden, die zur Rock-Auslegung der Norweger passen. "Indie-Surfrock" stand als Kurzumschreibung in Reviews zu lesen. Solche Versuche, den Sound in nur einem Wort einzufangen, schlagen leicht fehl, da sie die Meinung gerne in die falsche Ecke leiten. Hört sich Indie-Surfrock nicht doch ein wenig nach kalifornischen Dauergrinsern an, die Nettigkeiten inklusive "yeah yeah" und "oh, baby!" von sich geben und sich dabei nicht sonderlich vom Boygroup-Gehabe abgrenzen?

Genau aber das ist das letzte, was von Helldorado zu erwarten wäre. Will man im Ein-Wort-Schema bleiben, kommt Revolver-Rock durch seine implizierte Heftigkeit dem Kern schon wesentlich näher. Der Name verpflichtet. Beelzebubs Vorzimmer wird zum gelobten Land, gewinnt durch den Charme der Band an Faszination, ohne aber dabei den Schrecken zu verlieren. Das Quartett hält die geerdete Rockmusik in gleichbleibender Spannung. Flirrende Gitarren treiben das Fieber in die Höhe. Baß und Drums sorgen dafür, daß Unruhe gehalten wird. Widerstand ist zwecklos; die Hölle mag ein fürchterlicher Platz sein, doch diesen Herren folgt man gern dorthin. Und wenigstens holt man sich dabei keine kalten Füße.

 

Zu einem solchen Ausflug verführt vordergründig vor allem die variantenreiche Stimm- und Ausdruckskraft von Dag S. Vagle. Heischt er in einem Augenblick noch um Mitleid, windet er sich im nächsten schon aus der Verzweiflung und jagt einem glasklare Schauder über den Rücken. Lockeres Schlenkern endet in einem dämonischen, in der Kehle sitzenden Lacher, der in einem Knurren ausläuft. Lassen sich die Nordländer aber einmal Zeit und drosseln das Tempo, dann geht Dag mit Geschmeidigkeit an die Gurgel oder zieht tränenlos Konsequenzen aus der festgefahrenen Lebenssituation.

Wieso kann er seinem Ärger mit zusammengebissenen Zähnen Luft machen? Gurgelt er heimlich mit Schwefelwasser? Vagle singt wie ein gefallener Engel mit einer Pistole im Anschlag. Es war schon seltsam, im Chelsea mitanzusehen, wie wenige Schritte eine Person verändern können. Aus dem freundlichen Gesprächspartner wurde auf den letzten Metern zur Bühne der Überbringer schlechter Botschaften. Ein Funkeln schlich sich in seine Augen, und daß die Körperhaltung dominanter wirkte, lässt sich wohl nicht nur durch den veränderten Blickwinkel erklären. Wie seine Mitstreiter hatte er es nicht nötig, sich in Szene zu setzen, weil er einfach präsent war.

 

Mit "Director´s Cut" haben sich Helldorado selbst für den Soundtrack eines noch nicht gedrehten Tarantino-Films vorgeschlagen. In Zukunft will man ein wenig mehr Stooges durchscheinen lassen, was aber auch noch ins gleiche Format passen würde. Die Musik schafft es grandios, auch ohne den mörderischen Text aufzufallen und das Gefühl zu vermitteln, daß Gefahr im Verzug ist. Diese schwelenden Gitarrensaiten! Diese selten, aber doch singende Säge! Dieser Baß, der stoisch und unerbittlich ins Dunkel zerrt! Und dann noch dieses im Hintergrund gewitternde Schlagzeug! Als Anzugträger mit ernster Miene würden sich die Musiker eigentlich auch fürs Tarantinosche Filmbild anbieten. Dann könnten sie ihre besungenen Moritaten rächen und beispielsweise am "Killer on the Highway" Selbstjustiz üben. Im Laufe des Albums und des Konzerts wechseln Helldorado gern die Position, wird Dag vom Opfer zum Täter. Auch zum Täter aus Notwehr, denn wer läßt sich schon gern widerstandslos zum Vampir machen? Na eben - also her mit dem Holzpflock und den am besten für den nächsten Tonträger gleich stecken lassen. Die Band arbeitet nämlich bereits an neuem Material, das - wenn alles ideal läuft - bereits im Herbst in Norwegen wie auch international veröffentlicht werden wird. Wer Kalender und Rotstift in greifbarer Nähe hat, sollte schon einmal eine Erinnerungsnotiz eintragen und die albumbegleitende Tour gleich mit eintragen.

Bernadette Karner

Helldorado - Director´s Cut


CCAP/Glitterhouse/Hoanzl (Norwegen 2004)

 

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Kommentare_

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