Patrick Süskind - Der Kontrabaß
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Diogenes Verlag (Zürich 2005)
Photo © Philipp Keel
Der Name des Autors steht für mehr als nur "Das
Parfüm". Neben dem bekannten Roman hat er auch einen Einakter geschrieben. Und der hat´s in sich.
11.01.2006
"Das Parfüm?" meint ein besonders kritischer Freund.
"Maturantenprosa. Die ersten 10, 20 Seiten unterhält man sich noch, aber bald danach geht einem diese patscherte Möchtegernschreibe auf den Wecker."
Hab´ ich was verpaßt? Zugegeben - es ist lange her, daß ich Patrick Süskinds im Frankreich des 18. Jahrhunderts angesiedelten Erfolgsroman gelesen habe. Damals gefiel mir, daß einem das Buch ganz neue "olfaktorische Erlebniswelten" eröffnet, soll heißen: daß man plötzlich Dinge erschnüffelt, die man nie zuvor gerochen hat. Ist natürlich nicht immer angenehm. Vor allem aber hatte ich mich - meiner Erinnerung nach - mit den zum Teil grotesken Ideen und Spintisierereien bestens unterhalten.
Aber reinschauen in das Buch mag ich heute auch nicht mehr. Was, wenn es sich doch als Schund herausstellt? Wenn ich daran denke, was für selige Lektüreerlebnisse mir Karl May mit seinem Personeninventar von Old Shatterhand bis Kara Ben Nemsi einst beschert hat - und wie albern mir das Zeug später erschienen ist ...
Nachdem ich aber nun die Neuauflage eines 1981 in München uraufgeführten Einakters aus derselben Feder gelesen habe, behaupte ich guten Gewissens: Bitteschön, der Mann kann schreiben. Von wegen Maturantenprosa. Und offenbar ist er von der Natur noch mit einer ganz besonderen Gabe bedacht: Was er auch angreift, wird zu Gold.
Angeblich - so belehrt ein Nachwort - handelt es sich bei dem sperrig mit "Der Kontrabaß" betitelten Stückchen um "eines der meistgespielten deutschen Stücke in ganz Europa". Das erstaunt. Erstens ist das Stück nicht mehr als ein Monolog vor einem imaginären Zuhörer, für den das Publikum herhalten muß. Und zweitens mangelt es dem Inhalt an Action jeglicher Art: Ein Kontrabassist spintisiert über sein patschertes Leben und über sein Instrument, das ihm Freund und Feind zugleich ist und weitgehend soziale Kontakte zu ersetzen wie auch zu verhindern scheint.
Um gleich einmal den Vorwurf der "Maturantenprosa" zu entkräften: Der Stil liegt, so seltsam es scheinen mag, gut gebettet zwischen einer kurzweiligeren Ausgabe von Thomas Bernhard und einer ernsthafteren Version von Wolf Haas. Der Text ist also zum einen reich an Rhythmus und inhaltlichen wie auch wörtlichen Wiederholungen (wer mag, kann "Redundanz" dazu sagen) und hat zum anderen mitunter das Stakkatohafte und Elliptische, das am Haasschen Brenner-Bashing so erfreut.
Dargeboten wird all das von einem recht unmusisch wirkenden Kontrabassisten, der sich im Laufe eines Monologs vor einem unsichtbar bleibenden Gegenüber über sein Instrument und sein Schicksal ausläßt und dabei - vorgeblich der dringend notwendigen Flüssigkeitszufuhr wegen - dem Alkohol zuspricht. Haßliebe scheint ihn an sein Instrument zu ketten, wobei der Haß überwiegt - und gleichzeitig eine Art von Identifikation mit dem Instrument vorhanden scheint: "Ich hab body, beziehungsweise mein Instrument hat body. Und das ist das einzige, was mir daran gefällt. Sonst hat es nämlich nichts. Sonst ist es eine einzige Art von Katastrophe."
Im Endeffekt also eine ganz normale Beziehung. Dazu paßt es auch, daß das störrische Saiteninstrument Nebenbuhlerinnen partout nicht dulden will: "Wenn Sie mit einer Frau allein sein wollen, steht er dabei und überwacht das Ganze." Der Erzähler ergeht sich folglich in unausgeführt bleibenden Mordplänen an einem Instrument, das Schicksal wurde: "Zersägen. Zerhacken. Zerkleinern und zermahlen und zerstäuben und in einem Holzvergaserwagen ... verfahren!"
Daß Musiker die hübschesten Mädels abbekommen, trifft hier ausnahmsweise nicht zu. Die bekommen nämlich - in der klassischen Musik - die Cellisten. Weil es für sie, im Gegensatz zu den Kontrabassisten, auch Solostellen gibt. (Schon Frank Zappa wußte ja, daß Soli vor allem der Animation zum Blowjob danach dienen.)
Was das Stück auszeichnet und zum Teil den Witz ausmacht, ist die große Sachkenntnis des Autors. Es liest sich, als hätte er den Beruf des Orchestermusikers selbst jahrelang ausgeübt. So wird in der detaillierten Schilderung das hierarchisch gegliederte Orchester zu einem Abbild der menschlichen Gesellschaft und die künstlerische Tätigkeit eines Kontrabassisten zur Chiffre für die Entfremdung in einer arbeitsteiligen Welt. Wie gern würde man tauschen - und hält doch den einem zugeteilten Platz. Deutlicher wird dies im Laufe des Stücks, in dem sich der Schauspieler direkt ans Publikum wendet, wobei der Monolog zur Publikumsbeschimpfung wird: "Warum soll es mir besser gehen als Ihnen? Ja, Ihnen! Sie Buchhalter! Exportsachbearbeiter! Fotolaborantin! Sie Volljurist!" Hier wiegt die Diskrepanz zwischen Erträumtem und Verwirklichtem freilich noch schwerer: Der Kontrabassist leidet am Kontrast zwischen den für genialisch erklärten Komponisten, deren Werke er abspult, und einem verbeamtetem Musikerberuf als Mitglied eines Staatsorchesters.
Übrigens schreibt Patrick Süskind auch fürs Fernsehen und war so unter anderem Ko-Drehbuchautor von heute legendären Serien wie "Monaco Franze" und "Kir Royal". Mitgeschrieben hat er auch an einem Film, der vor nicht allzu langer Zeit im Kino lief und den schmalzigen Titel "Vom Suchen und Finden der Liebe" trägt. Dem Vernehmen nach ist das Schmalz in diesem Fall mythologisch (Orpheus und Eurydike) angehaucht. Aber das seh´ ich mir lieber nicht an. Man will sich ja nicht die Erinnerung ans "Parfüm" verderben ...
Patrick Süskind - Der Kontrabaß
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Diogenes Verlag (Zürich 2005)
Photo © Philipp Keel
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