Stories_Schlaflos #3

Flotte Bienen, fiese Gangster

Was das deutsche Sixties-Kino an der Figur des Dr. Mabuse verbrochen hat, läßt sich leider nicht wieder gutmachen. Die Eichborn-Hörstückreihe tut trotzdem ihr Bestes.    10.04.2006

Hörbücher und -spiele mögen ein Popularitätshoch erleben - von der Machart her sind sie dennoch oft genug Schlaftabletten. Im (Schlaf und Nerven kostenden) Selbstversuch macht sich Reinhard Ebner daher auf die Suche nach Hörkunstwerken, die auch zu fortgeschrittener Stunde garantiert wachhalten.

 

Der Abend davor: Vom Fernsehen kenn´ ich die Dr.-Mabuse-Storys quasi flüchtig und weiß daher: Gangster kommen prinzipiell einmal aus Chicago (das aus diesem Grund ja auch nicht Wien werden darf), flotte Bienen werden unglaublich flott angemacht ("Journalistin sind Sie? Schade. So schöne Beine und so ein ernster Beruf passen gar nicht zusammen"), und die männlichen Protagonisten manövrieren sich nicht nur ständig in die Scheiße - sie kommen da auch noch unbeschadet wieder raus.

So sieht sie aus, die Welt des Dr. Mabuse, wie sie sich das deutsche Kino vorstellte. Mit der abgründigen, vom expressionistischen Film angehauchten Welt der ersten Fritz-Lang-Verfilmung hat das schon rein gar nichts zu tun. In Erinnerung ist mir der 60er-Jahre-Mabuse als nicht mehr denn als ein lästiger Störenfried, der ab und zu Wellen schlagen durfte auf der glatten Wasseroberfläche bürgerlicher Idyllen.

Dennoch machen die ansprechend gestalteten Booklets und Kartonschuber der beiden Hörbücher "Im Stahlnetz des Dr. Mabuse" und "Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse" Gusto aufs Reinhören. Im Inneren der Beihefte finden sich Stills aus den Filmen und ein längerer Aufsatz über den 1880 in Luxemburg geborenen Autor und Mabuse-Erfinder Norbert Jacques. Aber dafür hab ich jetzt keine Zeit, die Zahnbürste wartet schon ungeduldig. Und dann ab ins Bett mit dem Discman.

 

Hörphase: Zugegeben - beim langsamen Tempo des Lesens wären diese Dr.-Mabuse-Storys völlig unerträglich. Die dicht an dicht gesetzten Klischees kämen einem schnell bei den Ohren wieder raus. So aber, als akustisch in Szene gesetzter Originalfilm respektive Hörstück mit deutlichen Anklängen an die filmischen Vorbilder, kommen sie in erster Linie zu den Ohren rein, und die Sache macht irgendwie Spaß. Ich frage mich, ob die Originalromane eigentlich eher Fritz-Lang- oder Artur-Brauner-mäßig ("Atze" war der Produzent der Kinofilmreihe) daherkommen.

Aber egal - ich will es gleich gestehen: Dieser Dr. Mabuse ist das reinste Vergnügen! Während ich im Dunkeln liege, die Stöpsel in den Ohren und die Decke überm Kinn, pfeifen mir die Kugeln um den Schädel, lassen Lex Barker und Gert Fröbe flotte Sprüche ab (und das nicht nur gegenüber Journalistinnen mit nicht berufsgerechten Beinen) und kriegen Gut wie Böse ordentlich ihr Fett weg. Selbstverständlich werden auch die Erwartungen an eine 60er-typische, leicht schwülstige Erotik bedient - etwa wenn sich der Unsichtbare (in "Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse") anschickt, Karin Dor beim Baden zu beobachten.

Kennzeichnend für die aus Original-Tonmaterial und Erzählsequenzen zusammengestellten Hörstücke ist der hohe Action-Anteil. Hier geht´s ständig zur Sache, als wäre ein "Best of" des jeweiligen Kinofilms Sinn und Zweck der Übung. Der Erzähler beschränkt sich denn auch auf die kurze Wiedergabe von Handlungselementen: "Ein Rohr schiebt sich aus einem neben der Straße parkenden Laster. Feuer schießt daraus hervor, die Agentin geht in Flammen auf." Den Rest erzählen die gellenden Schreie der Verbrennenden. Und aus.

Keine Introspektiven, keine umständlichen Beschreibungen. Mehr braucht´s auch nicht. Ökonomisch kompakte, idealtypische Hörstücke mit freundlichen Grüßen aus den 60ern - der bourgeoisen ersten Hälfte des Jahrzehnts, wohlgemerkt. Einziger Nachteil: An Schlaf ist hierbei wirklich nicht zu denken. Ich "verbrauche" beide CDs in einem Stück.

 

REM-Phase: Der Traum läßt freilich auf sich warten. Soviel geballte Anarchie weckt Tatendrang. Zur Weltrevolution fehlen mir nur leider Mittel und Wege. Außerdem ist die Verfolgung entsprechender Pläne schon Dr. Mabuse nicht gut bekommen.

Also muß ein wenig Schmalspur-Anarchie her: Ich stehe nochmals auf, setze mich an den Schreibtisch und gratuliere Papst Benedikt XVI. in einem Brief an den Vatikan zur ersten Enzyklika. Dabei nutze ich gleich die Gelegenheit, ihn um Genehmigung für einen Würstelstand am Petersplatz zu ersuchen. Selbstverständlich würden auch bayrische Bretzen verkauft, die Weißwürste dazu liefen in der Preisliste unter der Bezeichnung "Ratzis Spatzis" und würden entsprechend beworben. Genug für heute. Die große Revolution folgt später nach - wozu sind schließlich Träume da?

 

Der Morgen danach: Zu den "bedeutendsten Vertretern des deutschsprachigen Exotismus" zählt ein gewisser Prof. Dr. Günther Scholdt, der sich im CD-Booklet über Dr.-Mabuse-Autor Norbert Jacques auslassen darf, eben selbigen. Soll heißen: Jacques erlangte zu seiner Zeit vor allem durch sogenannte "Südseeromane" Bekanntheit - ein Genre, das vermutlich mit dem Aufkommen von Club Med und All Inclusive ausstarb.

Der erste Mabuse-Roman erschien 1921 in der "Berliner Illustrierten Zeitung", das große Leserecho rief schon bald das Kino auf den Plan. Freilich ist Dr. Mabuse keine Schöpfung aus dem Nichts; nicht zu Unrecht erinnert die Figur an den wandlungsfähigen Fantomas (noch eine im Grunde faszinierende Figur, die in albernen Filmen - in diesem Fall mit Louis de Funès - verheizt wurde) von Pierre Souvestre und Marcel Allain.

Die filmische Rezeption des Dr. Mabuse startete - so ergibt eine kurze Internet-Recherche - mit Fritz Lang: Bereits 1922 kam der Stummfilm "Dr. Mabuse, der Spieler" in die Kinos, 1933 folgte der Tonfilm "Das Testament des Dr. Mabuse". Hier tauchte auch erstmals Kommissar Lohmann als Figur auf, die schon in "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" zugange war. 1953 verkaufte Norbert Jacques die Rechte an die Berliner CCC-Filmgesellschaft, und es entstanden sechs Schwarzweißfilme zwischen 1960 und 1964 unter den Regisseuren Fritz Lang ("Die 1000 Augen des Dr. Mabuse"), Harald Reinl, Paul May, Werner Klingler und Hugo Fregonese.

Reinhard Ebner

Susa Gülzow (Regie) - Dr. Mabuse

ØØØØ


Eichborn Lido (Frankfurt a. M. 2005)

 

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